- Berlin
- Wohngeld
Berliner warten auf das Wohngeld
Pankower Stadtrat kritisiert: Schnellere Bearbeitung scheitere an Platzmangel
Für Cornelius Bechtler zeige sich hier im Kleinen, warum Berlin nicht funktioniere. Von den 19 zusätzlichen Stellen, die der grüne Pankower Bezirksstadtrat für Bürgerdienste für die Bearbeitung von Wohngeldanträgen finanziert bekommen hat, hätte er nur fünf besetzen können. Der Grund: Die Senatsfinanzverwaltung verhindere, dass der Bezirk weitere Büros anmietet. »Ich kann ja niemanden in den Flur stellen«, sagt Bechtler zu »nd«.
Mehr Personal ist dringend nötig. Über 30 000 Wohngeldanträge sind berlinweit anhängig. Die durchschnittliche Bearbeitungszeit reicht je nach Bezirk von elf bis zu rund 26 Wochen. Mit der Reform des Wohngeldes zum Januar dieses Jahres hat sich der Berechtigtenkreis in Berlin verdreifacht. Schon vor der Reform hatten die Bezirke auf den erhöhten Personalbedarf aufmerksam gemacht. Dem Wunsch nach mehr Stellen wurde schließlich entsprochen.
nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik - aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin - ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.
Doch was nützen ausfinanzierte Stellen, wenn für das Personal keine Arbeitsräume angemietet werden können? Cornelius Bechtler sagt, sie hätten durchaus weitere Büros am Standort des Wohnungsamtes an der Storkower Straße anmieten können – vorausgesetzt, die Finanzverwaltung hätte ihre Zustimmung gegeben.
»Das Bezirksamt Pankow verfügt nach unserem derzeitigen Erkenntnisstand in den bereits angemieteten Flächen über ausreichende Kapazitäten, um die zusätzlichen 19 Beschäftigten, für die Bedarfe angemeldet wurden, unterzubringen«, heißt es aus dem Haus von Finanzsenator Stefan Evers (CDU) auf nd-Nachfrage. Der Bezirk nutze größere Flächen als der Durchschnitt anderer Bezirke, zu 60 Prozent Einzelzimmer, bei denen eine Reduzierung um fünf Prozent 71 zusätzliche Arbeitsplätze auf den vorhandenen Flächen geschaffen werden könnten.
»Um dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu genügen, soll deshalb zunächst eine Verdichtung erfolgen«, so die Sprecherin der Finanzverwaltung. Sollte allerdings eine Prüfung ergeben, dass keine Doppelbelegungen möglich sind, werde die Senatsverwaltung »erneut prüfen«.
»Es passt wirklich niemand mehr in das Büro«, sagt Bezirksstadtrat Bechtler. Die Senatsfinanzverwaltung verrechne sich. Der Anteil der Einzelbüros liege bei unter 40 Prozent, viele Zimmer würden bereits von zwei oder mehr Personen belegt werden. Für die tatsächlichen Einzelbüros begründe sich die Einzelbelegung teils aus der Tätigkeit, teils seien die Büros zu klein für einen zweiten Arbeitsplatz. »Die Situation des Wohnungsamtes Pankow wurde offensichtlich ohne Kenntnis der tatsächlichen Gegebenheiten beurteilt«, so Bechtler zu »nd«.
Selbst wenn die Finanzverwaltung dem Pankower Bedarf stattgeben würde, wäre fraglich, ob der Vermieter nicht längst andere Pläne mit den Räumen hat, die man anmieten wollte. »Pankow wird in den nächsten Jahren weiter stark wachsen, die Verwaltung muss das auch.«
Dass Antragsteller so lange auf die Bearbeitung der Wohngeldanträge warten müssen und die Ämter nicht hinterherkommen, hat weitreichende Konsequenzen. Bechtler sagt, dass im Wohnungsamt teils keine Abfrage nach dem Bezug anderer Sozialleistungen mehr durchgeführt werden kann. Beispielsweise ist der gleichzeitige Bezug von Bürgergeld und Wohngeld ausgeschlossen. Wenn beides missbräuchlich bezogen werde, entstehe »zum einen Schaden für das Land Berlin«.
Zum anderen wissen Antragsteller das zum Teil nicht. Wenn nach langer Zeit eine Rückforderung kommt, sind die Wohngeldbezieher nicht in der Lage, das Geld zurückzuzahlen. »Im schlimmsten Fall steht dann am Ende die Privatinsolvenz. Mehr Räume bedeuten daher am Ende auch, die Bürger besser schützen zu können.«
Bechtlers Lichtenberger Amtskollege Kevin Hönicke (SPD) macht noch auf ein anderes Problem aufmerksam: Vom Wohngeldantrag hängt auch ab, ob man das 9-Euro-Ticket bekommen kann. »Je länger die Bearbeitung dauert, desto länger muss man mit einem zu teuren Ticket fahren«, sagt Bürgerdienste-Stadtrat Hönicke zu »nd«. Anders als beim Wohngeld, das rückwirkend zum Monat der Antragstellung bewilligt wird, gibt es keinen Ausgleich für die Differenz zum 49-Euro-Ticket, das ansonsten das preiswerteste Monatsticket für den Berliner Nahverkehr ist.
Lichtenberg gehört zu den Bezirken mit der längsten Wartezeit. Stadtrat Hönicke erklärt das mit zahlreichen Anträgen, die bereits Ende 2022 eingegangen sind von Menschen, die schon in den Jahren zuvor Anspruch auf Wohngeld hatten und nicht erst seit der Erweiterung des Berechtigtenkreises. »Klar ist: Wir müssen jetzt schneller werden.«
Alle Stellen habe man in Lichtenberg noch nicht besetzen können, aber nun zumindest die nötigen Räume erhalten. »Es war auch bei uns ein Hin und Her«, sagt Hönicke. Im Februar habe man den Bedarf angezeigt, im Mai kam die Bestätigung und im September könnten die Räume dann bezogen werden. Hönicke sagt: »Vielleicht haben wir auch Glück mit unserem Antrag gehabt, weil wir lange keine zusätzlichen Räume angemietet haben.«
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.