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Den Bären auf der Spur
Im Nordosten Finnlands ist das Revier der Braunbären. In der Nähe von Kuusamo kann man mit einem Guide auf Bärenjagd gehen, natürlich nur mit der Kamera
Pekka sieht so aus, wie man sich einen Bärenjäger vorstellt. Er ist groß, muskulös und cool. Und er spricht wenig: »Du musst ruhig sein«, ermahnt er mich.
Pekka ist der Bärenmann. In der Nähe von Kuusamo in Nordostfinnland bietet er seit einigen Jahren Bärenbeobachtungen für Touristen an. Vorher hat er das getan, was zu seinem Aussehen passt – er war Bärenjäger. Schießen würde er heute keine Bären mehr. »Sie sind meine Freunde geworden«, sagt er.
Auch auf dem Weg zu der Beobachtungshütte im Wald gibt er mir flüsternd ein paar Sicherheitsanweisungen. Falls mir ein Bär auflauern würde, solle ich vor allem ruhig bleiben, ein bisschen mit dem Bären reden und vor allem nicht weglaufen. Kein Problem, dann bleibe ich eben cool.
Raben sind ein gutes Zeichen
Doch schon bald haben wir die am Rande einer Lichtung stehende Hütte erreicht. Leise schließt Pekka die Tür auf, vorsichtig rückt er die Stühle zurecht und öffnet die Beobachtungsluken. Ungefähr 100 Meter entfernt hat Pekka vor einigen Tagen einen Köder ausgelegt: Schönes altes Elchfleisch. So etwas mögen die Bären. Und die Raben auch, die den Kadaver umkreisen. Es sei wichtig, dass die Vögel da seien, erklärt Pekka. Denn dann fühlten sich die Bären sicher.
Damit die großen Raubtiere den Kadaver nicht einfach in den Wald schleppen und dort hinter Bäumen versteckt verspeisen, hat Pekka den toten Elch mit einer dicken Eisenkette an einem Baum befestigt. Dann ist erst einmal genug gesagt. Pekka beginnt ausgiebig zu schweigen und sucht durch sein Fernglas immer wieder den Horizont ab.
Langsam senkt sich die Dämmerung über den finnischen Spätsommer. Der Wald verwandelt sich in ein Reich der Schattenwesen und ein paarmal glaube ich am Waldrand etwas zu erkennen. Doch jedes Mal Fehlalarm. Die Bären, die ich zu erkennen glaube, lösen sich spurlos im Dämmerlicht auf. Weiter sitzen wir schweigend da. Zwei Männer im finnischen Wald auf der Suche nach dem größten Raubtier Europas.
- Touristeninfo Kuusamo: www.kuusamo.fi
- Bärensafari: www.karhujenkatselu.fi
- Allgemein: www.visitfinland.com/de
Irgendwann kramt Pekka aus seinem Rucksack ein großes Messer und einen riesigen Schinken hervor. Er schneidet ein Stück davon ab und reicht es mir. »Elch« sagt er und fügt noch hinzu »selbst geschossen«. Seit die Bären seine Freunde sind, jagt Pekka nur noch Elche.
Das Elchfleisch schmeckt ausgezeichnet und zudem schweißt gemeinsames Essen offenbar zusammen. Pekka wird redselig und erklärt mir die Vogelwelt. Neben den Raben rasten noch vier Krickenten auf dem winzigen Tümpel, der zwischen uns und dem Elchkadaver liegt. Und dann ist dann noch ein seltener Bruchwasserläufer. Der kleine braun-weiße Vogel muss bis auf Weiteres in Ermangelung größerer Tiere als Pausenfüller dienen.
Pekka erzählt mir, dass es in der finnischen Sprache 200 Ausdrücke für das Wort »Bär« gibt. Das eigentlich hochsprachliche Wort »Karhu« durfte man früher nicht in den Mund nehmen. Wer das tat, beschwor mutwillig einen Bärenangriff herauf.
Ein Bär im Regen
Dann beginnt es zu nieseln, und Pekka wird pessimistisch: »Bei Regen bekommen Bären eine nasse Schnauze, und das mögen sie nicht. Deswegen bleiben sie lieber im Unterholz.« Jägerlatein? Jedenfalls taucht immer noch kein Bär auf. Allerdings haben die auch ein paar Kilometer Anmarsch, denn ihr eigentliches Verbreitungsgebiet liegt jenseits der Grenze in Russland. Trotzdem gehören 10 bis 15 Bären zu Pekkas Stammgästen beim Elchdinner.
Nicht jeden scheint der Regen zu stören. Ein Fuchs ist der Nächste, der sich am Elchfleisch gütlich tut. Doch offenbar belebt Konkurrenz das Geschäft. Der kleine Räuber macht sich noch immer an dem Kadaver zu schaffen, als mich Pekka keine fünf Minuten später vorsichtig anstößt und mit seinem Finger in die Ferne weist.
Und wirklich: Etwa 300 Meter entfernt taucht am Waldrand ein Bär auf. Im Gegensatz zu den vielen Bären, die ich vorher glaubte, gesehen zu haben, verwandelt er sich auch nicht urplötzlich in einen Waldgeist, der im Gewirr der Bäume verschwindet. Gemächlich trottend kommt er näher.
Eigentlich ist er aber eine Sie. Pekka hat allen seinen Bären Namen gegeben und erkennt sie schon von Weitem. »Das ist Nätti«, stellt er mir die Bärendame vor. Nätti heißt auf Finnisch in etwa »die Schöne«, und genau das ist die Bärin jetzt für mich. Schließlich habe ich lange auf sie gewartet. Mehr als drei Stunden sitze ich mit Pekka schon in der Hütte. Dafür lässt sich Nätti jetzt auch genau beobachten. In aller Ruhe macht sie sich über das Fleisch her. Mal dreht sie sich nach links, mal nach rechts, zeigt sich von allen Seiten. Sie hat es so gar nicht eilig beim Fressen. Sie weiß, dass sie die Königin des nordischen Waldes ist. Und offenbar weiß sie auch, dass Pekka die Bärenjagd aufgegeben hat.
Die Recherche wurde unterstützt von Visit Finland.
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