Klimagerechtigkeitsbewegung: Neue Strategien gegen das System

Wie weiter nach Lützerath? Um das herauszufinden, trifft sich die Klimabewegung in Hannover

  • Louisa Theresa Braun, Hannover
  • Lesedauer: 6 Min.
Der Eingang zum System-Change-Camp im Georgengarten in Hannover: Hunderte Klimaaktivist*innen kommen hier eine Woche zusammen, um sich zu vernetzen und weiterzubilden.
Der Eingang zum System-Change-Camp im Georgengarten in Hannover: Hunderte Klimaaktivist*innen kommen hier eine Woche zusammen, um sich zu vernetzen und weiterzubilden.

Eine Gruppe junger Menschen sitzt auf Strohballen oder auf dem Boden um ein großes Mindmap herum. Darauf stehen die Namen zahlreicher Klimagruppen, -initiativen und -NGOs von Fridays for Future bis Greenpeace. Nach und nach werden sie mit verschiedenfarbigen Klebepunkten versehen, die für Eigenschaften wie »resilient«, »disruptiv« und »institutionell« stehen. Welche Gruppe kann was? Wer übernimmt welche Aufgabe in der Klimabewegung? Das sind die Fragen, denen sich am Montag knapp 100 Aktivist*innen bei der Strategiekonferenz der Bewegung in Hannover widmen.

In Kleingruppen haben sie sich unter dem blau-weiß gestreiften Zirkuszelt im Georgengarten versammelt, um sie herum tröpfelt es leicht. Doch die Aktivist*innen haben andere Sorgen: »Es fehlt an langfristiger Organisation, da bräuchte es noch viel mehr Strukturen«, sagt eine von ihnen. Außerdem seien die einzelnen Teile der Bewegung nicht gut genug vernetzt. »Wovon ist die Klimabewegung denn eigentlich ein Teil?«, wirft eine Konferenzteilnehmerin ein und stellt fest: »Dieses Camp heißt ja nicht einmal mehr Klima-Camp. Es heißt System-Change-Camp.«

Unter diesem Motto lädt das Bündnis Ende Gelände, das sich vor allem gegen den fossilen Kapitalismus richtet, von Montag bis Sonntag zu Workshops und Vernetzung ein. Am ersten Tag sei laut Küchenteam für rund 600 Menschen gekocht worden, ausgelegt ist das Camp für bis zu 2000 Personen. Bis Mittwoch findet hier auch die Strategiekonferenz statt, die einen im Juni in Köln begonnenen Prozess weiterführen soll. »Es braucht mehr Raum dafür, dass alle miteinander reden«, sagt Johanna Inkermann zu »nd«, die die Konferenz mitorganisiert hat.

Aktivist*innen aus ganz Deutschland und von unterschiedlichen Gruppierungen wie Extinction Rebellion, Lützi lebt oder End Fossil Occupy kommen hier zusammen, um sich die zukünftige Strategie der Bewegung zu überlegen – und wie ihre unterschiedlichen Teile besser zusammenarbeiten können. Persönlich hält Inkermann eine Arbeitsteilung zwischen bürgerlichen Initiativen, die legale Demos machen, und radikalen Gruppierungen, die zum Beispiel Schienen blockieren, für sinnvoll.

Sehr gut funktioniert diese Zusammenarbeit oft schon bei Waldbesetzungen. So teilen sich ein paar Zelte weiter die lokale Initiative »Leinemasch bleibt!« und die autonome Baumbesetzung »Tümpeltown« einen Infostand. Beide wollen den Hannoveraner Wald Leinemasch vor dem Ausbau des Südschnellwegs retten – Erstere durch Petitionen, Demos und Mahnwachen, Letztere, indem sie seit fast einem Jahr ein Waldstück mit Baumhäusern besetzt halten. Dabei »kämpfen wir nicht nur für eine klimagerechte Mobilitätswende, sondern auch für eine Welt ohne Faschismus und Diskriminierung. Wir haben einen klar queerfeministischen und antirassistischen Selbstanspruch«, sagt eine der Besetzer*innen zu »nd«.

Am Montagnachmittag gibt es im System-Change-Camp auch einen Workshop zum Thema Waldbesetzungen. Rund 50 Aktivist*innen quetschen sich dafür in ein Zelt. Einige haben schon Erfahrung mit Baumbesetzungen im »Danni«, in »Lützi« oder der »Wuhli« und wollen sich über konkrete Taktiken und geeignete Baumarten austauschen. Andere planen eine Besetzung oder sind einfach am Crashkurs »ökoanarchistische Strategie« interessiert. Einen Dämpfer gibt es aber vorweg: »Es gibt keine Besetzung, die unräumbar ist. Das ist wie David gegen Goliath«, sagt die referierende Person.

So ging es der Klimabewegung schon häufiger, zuletzt bei der Räumung des rheinländischen Ortes Lützerath im Januar, der für die darunterliegende Braunkohle abgebaggert wurde. »Lützerath war über Jahre ein Zuhause für die Klimabewegung. Diesen Ort zerstört zu sehen, war traumatisch für die Bewegung«, sagt Ende-Gelände-Sprecherin Rita Tesch zu »nd«. Gleichzeitig hat »Lützi« noch andere Lücken hinterlassen. »Das Narrativ bei der Kohle war einfach«, sagt Tesch mit Blick auf die offensichtliche Zerstörung der Landschaft durch Tagebaue.

Nun steht auch die Gasindustrie im Fokus der Kämpfe. »Die Frage ist, wie wir zeigen, dass auch Gas dreckig ist.« Eine entsprechende Ende-Gelände-Aktion gegen LNG-Terminals im vergangenen Jahr in Hamburg erregte lange nicht so viel Aufmerksamkeit wie frühere Blockaden von Kohlebaggern. Das einwöchige Bildungs- und Vernetzungscamp soll daher auch Lösungen dafür finden, wie »Orte der Zerstörungen«, wie Tesch es nennt, besser sichtbar gemacht werden können.

Dabei geht es auch um koloniale Kontinuitäten und Rassismus, der in Verbindung mit Klimagerechtigkeit eine Rolle spielt. So gibt es zahlreiche Workshops von Aktivist*innen aus dem globalen Süden über antikoloniale ökologische Kämpfe, zum Beispiel gegen den Steinkohleabbau in Kolumbien und die Frage, wie deutsche Klimaaktivist*innen dabei unterstützen können.

Auch die Reflexion eigener Privilegien steht auf dem Programm. Leider »sind wir weit davon entfernt, gesellschaftliche Strukturen wie Rassismus und Sexismus zu ändern«, bedauert Tesch. Auch im Camp sind fast alle Aktivist*innen weiß und jünger als 40, ein großer Teil studiert vermutlich oder hat zumindest einige Jahre an der Uni verbracht. Ende Gelände versuche jedoch, durch Safer Spaces für Betroffene von Diskriminierungen, Awareness und die Verbindung von Kämpfen Veränderung voranzutreiben. In Workshops aufgegriffen werden unter anderem auch die Themen Vergesellschaftung von Konzernen oder Streiks für einen kostenlosen Nahverkehr.

Aber auch Theorie und Praxis – von Diskussionen rund um Demokratie und Degrowth bis hin zur Personalienverweigerung in der Aktion – kommen beim System-Change-Camp nicht zu kurz. Wichtig für die Hoffnung auf einen Systemwandel: »Ein gutes Menschenbild. Wir müssen davon ausgehen, dass die Menschen füreinander da sind«, sagt Nora vom Bündnis Gemeinsam kämpfen am Ende einer Diskussion über Feminismus und Ökologie.

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