Umweltschutz geht nur gemeinsam

Entscheidet jeder Mensch nur für sich allein über sein Verhalten? Die Nachhaltigkeitspolitik steckt in einer Individualisierungsfalle

  • Melanie Jaeger-Erben
  • Lesedauer: 3 Min.

In der Politik wird mit bestimmten Annahmen über Menschen, ihre Motivationen und Werte gearbeitet. Im besten Fall beachten sie differenzierende Perspektiven, im schlechtesten Fall beruhen sie auf Stereotypen. In den Kontroversen um die Klima- und Nachhaltigkeitspolitik scheinen zwei Typen von Menschenbildern auf, die nicht nur undifferenziert, sondern auch noch kontraproduktiv sind.

Der erste ist der homo oeconomicus, der ökonomische Mensch, der mit Blick auf die Verhaltenskosten auf der einen und seiner Motivationen auf der anderen Seite die Entscheidung trifft, die seinen Eigennutzen maximiert. Er muss überzeugt werden, dass politische Veränderungen im Bereich Umwelt und Nachhaltigkeit ihm nützen.

Melanie Jaeger-Erben

Prof. Melanie Jaeger-Erben lehrt Technik- und Umweltsoziologie an der Brandenburgischen TU Cottbus-Senftenberg. Von jetzt an gehört sie zum Autorenkreis der nd-Klimakolumnen.

Der zweite ist der homo liber, der freie Mensch, der insbesondere in Debatten um mögliche Einschränkungen aufgerufen wird und es auf gar keinen Fall hinnehmen kann, auf eine bestimmte Option zu verzichten. Das fängt bei der Currywurst in der Kantine an und endet bei der Frage, wie viele Jahre noch fossile Energietechnik im Eigenheim eingebaut werden kann. Der homo liber braucht Wahlfreiheit, die die Politik nur bedingt und mit dem Eröffnen anderer Konsumoptionen einschränken dürfe.

Auch wenn es zunächst gut klingen mag, dass Politik versuchen möchte, Bürger*innen vom Eigennutzen ihrer Maßnahmen zu überzeugen oder Freiheiten möglichst wenig einzuschränken, schießt die konzeptionelle Vereinzelung von Menschen der Klimapolitik ins Knie. Wer politisch nur das Individuum mit seinen Interessen im Blick hat, darf sich nicht wundern, wenn nur das auf Eigennutz konzentrierte Individuum antwortet.

Das Sondergutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen ist hier leider keine Ausnahme. Unter dem vielversprechenden Titel »Politik in der Pflicht: Umweltfreundliches Verhalten erleichtern« versucht es, das Thema Verhaltensänderung auszubuchstabieren. Doch das dabei präsentierte Menschenbild ist erschreckend eindimensional, denn es gibt hier nur das Individuum und sein individuelles Verhalten. Da hilft auch ein integrierter Erklärungsansatz mit zwölf Einflussfaktoren nicht. Trotz komplexer Pfeildiagramme ist es weiterhin der homo oeconomicus, der die Situation bewertet und aufgrund dessen Umweltfreundliches zu tun bereit ist. Fundamentale soziale Aspekte – etwa Sozialisation, soziale Kooperation, Einflussnahme – spielen nur Nebenrollen.

Das Fatale daran ist nicht nur die Reduktion von Gesellschaft auf eine Versammlung von Individuen. Es verkennt auch, dass Menschen im Alltag in vielfältige soziale Situationen eingebettet sind, in denen sie eher sozial erlernte Routinen reproduzieren, als bewusste Entscheidungen zu treffen; in denen sie kooperieren, statt ihren Eigennutzen durchzusetzen; in denen vorm individuellen Handeln die soziale Aushandlung kommen muss. Im Alltag sind Menschen selten Individuen, sondern Angestellte, Kollegin, Mutter, Mitfahrer, Nachbarin und Kunde. Diese sozialen Rollen gehören zum Kern des Handelns.

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Wenn es die Politik mit ihrem Transformationsanspruch ernst meint, dann müssen zuallererst die Menschenbilder transformiert werden. Mit einer Versammlung vereinzelter Individuen lässt sich kein Wandel gestalten, denn der Freiheitsbegriff des homo liber orientiert sich an der Fixierung auf den Eigennutzen des homo oeconomicus. Seine Freiheit ist vor allem die eigene Freiheit, die sich gegenüber den Ansprüchen anderer durchsetzt.

In die Nachhaltigkeitspolitik sollte endlich der homo cooperans Einzug halten, der kooperierende Mensch. Denn letztlich werden nicht Eigennutzen oder Wahlfreiheit die Menschen zur Transformation befähigen, sondern vor allem das soziale Kapital. Transformation im Alltag umzusetzen beruht viel eher auf Aushandlung als auf Entscheidung, folgt eher einem sozialen Sinn als persönlicher Norm. Sie ist ein Kraftakt, der nur kollektiv geleistet werden kann.

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