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- EU-Austritt mit Folgen
Großbritannien: Kritik am Brexit wächst
Zögerlich, aber beständig wächst die Bereitschaft, den EU-Austritt zu überdenken
Die Brexit-Anhänger geben nie auf. »Kein Zweifel: Der Brexit wird der Retter Großbritanniens sein«, behauptete die Tory-Abgeordnete Esther McVey vor einigen Wochen im Revolverblatt »Daily Express«. Sie glaubt in ganz Europa Nachahmer zu sehen, die den EU-Austritt als Vorbild nehmen – obwohl ein kurzer Blick in die Umfragen zeigt, dass dies pure Einbildung ist. Auch ihr Parteikollege David Frost, als Brexit-Chefunterhändler einst eine wichtige Figur in London und Brüssel, hält an der Überzeugung fest, dass der EU-Austritt ein »Erfolg« war. Letzte Woche sagte er in einem Radiointerview: »Wenn die Wähler zur Überzeugung kommen, dass der Brexit ein Reinfall war, dann wird diese Regierung den Preis zahlen.«
Nur stellt sich die offensichtliche Frage: Zu was für einer Überzeugung sollen die Wähler denn sonst kommen? Mehr als sieben Jahre nach dem EU-Referendum und zweieinhalb Jahre nach dem eigentlichen Austritt aus der EU hat der Brexit-Kater so richtig eingesetzt. Unternehmen klagen über mehr Bürokratie, obwohl der Brexit den Papierkram hätte reduzieren sollen. Musiker haben Visum-Probleme und müssen Touren im EU-Raum absagen. Britische Touristen stehen Schlange an den Zollkontrollen.
Die wirtschaftlichen Schäden sind mittlerweile gut dokumentiert. »Brexit hat eine große und anhaltende negative Wirkung gehabt auf die britischen Warenexporte, besonders für kleinere Firmen«, schrieb Jonathan Portes vom Thinktank UK in a Changing Europe Ende Juni.
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Ebenso sind die Investitionen stark zurückgegangen – möglicherweise wären sie heute zehn Prozent höher, wenn der Brexit nicht wäre, schreibt Portes. Das Ende der Personenfreizügigkeit hat in Sektoren wie der Gastronomie oder der Landwirtschaft zu Personalmangel geführt.
Diese Entwicklungen sind nicht an der britischen Öffentlichkeit vorbeigegangen. Schon seit geraumer Zeit nimmt der Enthusiasmus für den Brexit ab – und mittlerweile ist eine Mehrheit der Meinung, dass der Brexit gescheitert ist. Mitte Juli publizierte das Forschungsinstitut YouGov eine Umfrage, laut der 63 Prozent der Bevölkerung finden, der EU-Austritt habe mehr negative als positive Folgen gehabt. Selbst unter den Leave-Wählern von 2016 sagen 58 Prozent, dass die Regierung den Brexit vermasselt hat. Dieselbe Umfrage kommt zum Schluss, dass 57 Prozent der Bevölkerung den Brexit für einen Fehlentscheid halten – so viele wie noch nie zuvor. Im ganzen Land greift der sogenannte »Bregret« um sich – eine Kombination aus »Brexit« und »regret«, also Reue.
Lange Zeit war Westminster immun gegen solche Ernüchterung. Oder zumindest hielt man sich im Londoner Regierungsviertel daran, jegliche Kritik am Brexit nur zu flüstern. Das galt nicht nur für die regierenden Tories, sondern auch für die oppositionelle Labour-Partei. Diese will nicht den Eindruck erwecken, sie habe vor, den EU-Austritt wieder rückgängig zu machen. Man spricht von der Brexit-Omertà, eine Anspielung auf das Schweigegebot der Mafia.
Aber in den vergangenen Monaten haben sich manche Brexit-Kritiker vorsichtig aus der Deckung gewagt. Anfang Juli sagte der Tory-Abgeordnete Tobias Ellwood, Politiker sollten die »Charakterstärke« haben, einzugestehen, dass Brexit »offensichtlich nicht in die richtige Richtung geführt hat.« Bereits Wochen zuvor hatte er eine Rückkehr in den EU-Binnenmarkt geraten, um die Krise der Lebenshaltungskosten zu lindern. Er sagte, er kenne eine Reihe von Parteikollegen, die seine Kritik am Brexit teilen.
Die Labour-Partei geht demgegenüber noch vorsichtig vor. Ein Wiedereintritt in den Binnenmarkt oder die Zollunion sei nicht auf dem Tisch, sagt Parteichef Keir Starmer. Dennoch stellt die Opposition eine nähere Anbindung an die EU in Aussicht: Die erste Revision des Brexit-Abkommens 2025 sei eine Möglichkeit, »Sektor um Sektor« zu prüfen, wie man besser mit der EU zusammenarbeiten könne, sagte der Labour-Abgeordnete David Lammy.
Doch die Regierung von Rishi Sunak ist noch weit davon entfernt, irgendwelche Brexit-Bedenken öffentlich zu äußern. Stattdessen macht sie sich ganz im Stillen daran, einen Brexit-Plan nach dem anderen fallenzulassen. Erst letzte Woche fiel der Entscheid, die Einführung einer neuen britischen Produktezertifizierung vorerst aufzuschieben. Die Regierung hatte geplant, die in der EU geltenden CE-Zertifikate durch eine britische Version zu ersetzen.
Aber nach Warnungen von Unternehmern vor zusätzlichem Papierkram blies die Regierung das Vorhaben ab. Am Donnerstag folgte schon der nächste Rückzieher: Die Einführung der Zollkontrollen für Tier- und Pflanzenimporte aus der EU wurde zum x-ten Mal verschoben. Die Brexit-Kontrollen hätten eigentlich schon im Juli 2021 einsetzen sollen.
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