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Großbritannien: Des Königreichs versteckte Schätze
Das kleinste der vier Countries Großbritanniens hat den weltweit längsten Wanderweg an einer Landesküste, mehr als 150 Strände, die meisten Burgen in Europa und dank des Wasserreichtums die vermutlich grünsten Wälder
Vorbei an mittelalterlichen dicken, runden Türmen, über Schornsteine und Schieferdächer schweift der Blick zum Horizont aus Meer und Bergen. Und immer wieder fällt er auf das imposante Castell Conwy – das Englands König Eduard I. bauen ließ, als er im 13. Jahrhundert Wales eroberte. Ihren Namen hat die Festung von dem Fluss, der unterhalb von ihr ins Môr Iwerddon (Irische See) einmündet. Auch die Stadt, die ringsherum entstand, trägt dessen Namen. Nach wenig mehr als einer Autostunde vom Flughafen in Manchester stehen wir auf ihrer breiten, kilometerlangen Altstadtmauer.
Von Osten bis nach Westen zieht sich die Conwy-Mündungsbucht mit bunten Fischkuttern und weißen Segelbooten. Im Süden breitet sich das Land der »Adlerberge« von Eryri (Snowdonia) aus. Der Nationalpark, der es schützt, grenzt direkt an die Stadt. Wenig später starten wir in seine Richtung. Das Meer im Rücken, rollen wir auf schmalen Straßen durch das hügelige Weideland – weiß betupft mit unzähligen Schafen. In der Ferne recken sich die grünen Gipfel.
Allmählich geht es aufwärts. Durch die Autofenster strömt der Duft von Kräutern, Gras und Heu, gemischt mit einem Hauch von Mystik und Geschichte. Den versprühen all die vielen Burgen, Klöster und Ruinen hier. Der geheimnisvolle Zauber der oft mächtigen Gemäuer überträgt sich auf die ganze Landschaft.
- Reisezeit: Das wechselhaft maritime und oft feuchte Wetter sorgt von Frühjahr bis Herbst für üppig grüne Natur. Bei 18 bis 20 Grad regnet es am wenigsten von Mai bis Juni. Dann sind die Hotels am teuersten. Im Süden ist es immer etwas milder.
- Anreise: Zum Beispiel mit Ryanair (direkt) oder KLM (mit Stopp in Amsterdam) von Berlin nach Manchester, weiter per Mietwagen und zurück von Cardiff oder London.
- Übernachten: Mitten im Eryri Nationalpark übernachtet man in einfachen Zimmern über dem Pub des Dorfes Penmachno in »The Eagles Bunkhouse« (www.eaglespenmachno.co.uk). Das Gasthaus »Salutation Inn« aus dem 16. Jh. mit Terrasse zum Fluss und kleinen Gästezimmern in einem Neubau befindet sich bei Nanhyfer (www.salutationcountryhotel.co.uk). Am Meer bei Aberteifi liegt »The Cliff Hotel & Spa« mit Golfplatz. Alle 76 Zimmer haben Balkon oder Terrasse (www.cliffhotel.com).
Nahe Llandeilo steht das Boutiquehotel »Plough Rhosmaen«. Es hat ein ausgezeichnetes Restaurant und schöne Zimmer mit Landschaftsblick (www.ploughrhosmaen.com). - Essen und Trinken: Im walisischen Feinschmeckerparadies Abergavenny speist man vorzüglich im »The Gaff« (www.thegaffrestaurant.co.uk) oder im »Tapas Twist«. Im September findet in der Stadt ein Food-Festival statt (www.abergavennyfoodfestival.com).
- Auskünfte: www.visitwales.com, www.breconbeacons.org, www.pembrokeshirecoast.wales
Auch die knorrigen und moosbewachsenen uralten Bäume, die natursteingrauen Brücken, Mauern und ebensolchen kleinen Häuser mit viel zu großen Schornsteinen und üppig bunten Blumengärten machen Wales ganz unverwechselbar. Als Teil von Großbritannien ist es eng verbunden mit dem Königreich, das es sich einst einverleibte. Doch erkämpfte sich die selbstbewusste keltisch-britische Nation immer mehr Autonomie. Seit 1998 verfügt sie erstmals seit 600 Jahren über eine eigene Regierung und ein Parlament. Gleichfalls einzigartig ist die Sprache in dem Fürstentum von einst: Walisisch, für Nichteingeweihte eine wahrhaft harte Nuss.
»Wie kommen wir nach Bet…?« Der Zungenbrecher Betws-y-coed bleibt mir glatt im Halse stecken, als ich versuche, einen Mann am Straßenrand nach unserem Tagesziel zu fragen. Schließlich zeige ich es ihm auf meiner Karte. Geduldig folgt der nette Einheimische meinem Finger. »Bettüssekoid«, sagt er, verrät die beste Route in das belebte Urlaubsörtchen und empfiehlt uns: »Wenn Sie Ruhe suchen, übernachten Sie vier Meilen weiter in Penmachno!«
Prompt wird der Rat befolgt. Am ursprünglich geplanten Ziel schauen wir nur die beiden Wasserfälle an und fahren weiter in das stille kleine Dorf am Flüsschen Machno. Von hier aus wollen wir am nächsten Tag auf Tour durch den Eyriri-Nationalpark gehen. Das Typische an ihm sind die Berge, die sich in insgesamt neun Ketten aneinanderreihen. 15 ihrer Gipfel messen mindestens 900 Meter. Der mit 1085 Metern höchste ist Yr Wyddfa (Snowdon), zugleich die Nummer eins in Wales.
»An diesem Berg trainierten der Neuseeländer Edmund Hillary und der Nepalese Tenzing Norgay, bevor sie 1953 als Erste den Mount Everest erklommen«, erzählt uns Gary von The Eagles Bunkhouse, während er ein Madog’s Ale zapft. Als Favoriten unter Kletterern würden ebenso die Berge Tryfan sowie Cadair Idris gelten. »Die weniger bekannten sind allerdings nicht weniger ersteigenswert. Dort hat man obendrein den Vorteil, dass einem kaum jemand entgegenkommt«, erklärt der Wirt und Wanderer. Die Rundumsicht von ganz oben sei in jedem Falle faszinierend.
Und täglich grüßt ein Wasserfall
Das glauben wir ihm gern, doch wollen wir uns bei dieser kurzen Reise auf den Gipfelblick von unten konzentrieren. »Dann schaut euch die Wasserfälle an!«, rät Garry. Es gebe hier so viele unterschiedliche, dass niemand fürchten müsse, zweimal das Gleiche zu erleben. Und so starten wir, fast vor der Haustür, zum ersten Wasserfallspaziergang dieses Tages. Er führt durch den hochbetagten Wald zu einer Schlucht, in die der Rhaeadr y Graig Lwyd (Conwy Falls) – geteilt in Zwillingsströme – rauschend über einen Felsen fließt.
Von Bäumen unbeschattet sprudelt ein paar Meilen weiter der Cwmorthin Waterfall im stillgelegten Schiefersteinbruch westlich von Tanygrisiau – recht fotogen und passend zur Geschichte – über eine nacktsteinige Schieferhalde. Bis zum Rhaeadr Fawr (Aber Falls) unweit von Abergwyngregyn müssen wir ein Stückchen wandern. Als Belohnung winkt uns großes Kino von den zwei kleinen Flüsschen, die sich erst kurz zuvor vereinigen. Eingebettet in das dichte Grün von Berg und Tal, stürzt ihr Wasser 37 Meter in die Tiefe.
Der nächste Tag gehört der Ynys Môn (Insel Anglesey) ganz im Nordwesten von Wales. Sie ist bekannt für ihre Kult- und Weiheorte aus der Stein- und Eisenzeit, darunter Megalithanlagen, Königsgräber und Druiden-Opferplätze. Wir schauen uns das rekonstruierte Hügelgrab Bryn Celli Ddu sowie den Dolmen Bodowyr an. Nach einem Stopp im Örtchen Llanfairpwllgwyngyllgogerychwyrndrobwllllantysiliogogogoch, das außer seinem 58-buchstabigem Namen nichts wirklich Spannendes zu bieten hat, fahren wir nach Ynys Gybi (Holy Island).
Das Inselchen westlich vor Ynys Môn gilt als Pilgerstätte für Romantiker. Wir sind rechtzeitig dort. Denn als der Abendhimmel schon in allen Feuerfarben lodert, sitzen wir auf Mynydd Twr (Holyhead Mountain), der höchsten Inselklippe. 200 Meter unter uns umspielt das Meer das Mini-Felseneiland Ynys Lawd (South Stack) mit seinem Leuchtturm, ringsherum nur dunkle Wellen und die roten Wolken.
Steile Klippen, lange Strände
Von Wasser ist – bis auf die Ostgrenze mit England – ganz Wales umgeben. Die malerischsten Küsten hat es im Südwesten. Arfordir Penfro (Pembrokeshire Coast) heißt der Nationalpark, der sie seit 1952 als Schutzgebiet vereint. Hier gibt es eine Vielzahl maritimer Landschaften, vom goldfarbigen Sandstrand bis zur schwindlig hohen Klippe, von menschenleeren Inseln wie Ynys Bŷr (Caldey Island), wo Papageientaucher nisten, über scharfkantige, steilwandige Buchten, oft verwinkelt und versteckt, bis hin zu Wiesen voller Meerfenchel und Butterblumen, Moorland und von Wald gesäumten Flussmündungen.
Kein Privatland oder störende Bebauungen stehen uns im Weg, als wir bei Trewyddel (Moylgrove) nahe Casnewydd (Newport) ein Stück der traumhaft schönen Szenerie in aller Ruhe und zu Fuß erkunden. Das sei überall so am Sir-Benfro-Küstenwanderweg, verrät uns Andrew. Wir treffen den Touranbieter am Strand der Ceibwr Bay, wo er bunte Kunststoffbretter aus seinem Firmenwagen lädt. Gleich wird er eine Stand-up-Paddelgruppe durch die Bucht begleiten.
Der 300 Kilometer umfassende Abschnitt des fast fünfmal so langen Wales Coast Path sei der attraktivste Teil des berühmten Küstenwanderweges, so der lokale Outdoor-Spezialist. »Je nach Zeit, Gusto und Kondition kann man kurze oder lange, leichte oder sportlichere Routen wählen«, sagt der Touranbieter und schwärmt von immer wieder neuen Panoramen, die man ebenso per Kajak oder Paddelbrett genießen könne. »Jedes Licht setzt Meer und Felsen auf spezielle Art in Szene«, findet Andy. Auch Eissturmvögel, Kegelrobben und Delfine sehe man vom Wasser aus wie von den Faltenklippen.
Inzwischen stehen wir dort oben und schauen auf die Paddler unter uns im Meer, die plötzlich nacheinander von der Bildfläche verschwinden. Sie fahren durch den »Hexenkessel«, eine eingestürzte Meereshöhle, wie es sie zu Hunderten in dieser Gegend gibt.
Keine Seltenheit im Südwesten von Wales sind auch frühgeschichtliche Kulturdenkmale. Dazu zählen Megalithen-Monumente auf der Landzunge Penmaen Dewi (St. David’s Head), der Steinkreis Waun Mawn sowie das Dolmen-Trio in den Mynyddoedd y Preseli (Preseli Hills): Carreg Coetan Arthur, Llech-Y-Tripedd und Pentre Ifan, der größte und berühmteste. Unweit davon, bei Nanhyfer (Nevern), will uns die Ausgrabungsstätte Castell Henllys in die Eisenzeit zurückversetzen. Fünf Gebäude einer Wallburg – Rundhäuser und ein Getreidespeicher – wurden auf originalen, 2000 Jahre alten Fundamenten rekonstruiert.
Berge, Höhlen, wilde Pferde
Über 30 »stehende Steine« sind auch im dritten walisischen Nationalpark verteilt. Benannt ist er nach der Gebirgskette Bannau Brycheiniog (Brecon Beacons), die ihren Namen wiederum den mittelalterlichen Leuchtfeuern Brycheiniog (Beacons) verdankt. Im Angriffsfall loderten diese auf den roten Sandsteingipfeln. Landschaftlich bereichert wird die zauberhafte Bergwelt auch durch Moore, Wasserfälle wie der Henrhyd oder Tropfsteinhöhlen wie die 50 Kilometer lange, mehr als 300 Meter tiefe Ogof Ffynnon Ddu.
»Die meisten Wanderungen sind nicht schwierig«, meint Edward, unser Gastgeber in Cradoc nahe Brecon, und rät uns, den Parkplatz Pont ar Daf Car Park anzusteuern. Im weichen Licht der Abendsonne wandern wir von dort bequem den Pen y Fan hinauf. Mit 886 Metern ist er der höchste Berg im Nationalpark. Wie überall in Wales treffen wir Schafe. Doch wer grast da am Wegesrand? Es sind Welsh-Mountain-Ponys, die prominentesten Bewohner Bannau Brycheiniogs.
Die Vorfahren der kleinen wild lebenden Pferde waren vierbeinige Bergarbeiter, die ihr Leben lang in den Gruben schuften mussten. Heute helfen die robusten, anspruchslosen Tiere genauso wie die Schafe, durch Abweidung die Pflanzenwelt der Beacons zu erhalten. Dass wir sie spontan beim Wandern treffen konnten, bleibt uns in dankbarer Erinnerung.
Die Recherche zu diesem Beitrag wurde unterstützt von Visit Wales und Visit Britain.
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