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»Wir versuchen den Betrieb partizipativ zu gestalten«
Die Agraringenieurin Eva Köhler über Mitbestimmung, die Arbeit auf dem Acker und den Gender-Pay-Gap in der Landwirtschaft
Frau Köhler, was ist das überhaupt, solidarische Landwirtschaft?
Unser Hof gehört den Konsument*innen und Produzent*innen gemeinsam. Wir sind eine Genossenschaft mit 1800 Mitgliedern, die jede Woche einen Ernteanteil bekommen. Den baut ein professionelles Gärtner*innenteam an. Die Mitglieder tragen die Kosten für den Anbau zusammen, sie kennen den Etat, die Anbauplanung und können bei größeren Entscheidungen mitbestimmen. Wir teilen uns alle das Risiko. Die Mitglieder sind auch untereinander solidarisch: Durch ein Staffelpreissystem zahlen Leute mit weniger Geld weniger, Leute mit mehr Geld mehr.
Und was läuft in der konventionellen Landwirtschaft schief?
Der Einsatz von mineralischem Stickstoff ist gerade in Zeiten der Klimakrise sehr kritisch. Er ist in der Herstellung sehr energieintensiv und wirkt sich negativ auf den Boden und das Bodenleben aus. Ein anderer wichtiger Punkt sind die Arbeitsbedingungen. Die Löhne in der konventionellen Landwirtschaft sind schlecht, die Gewinnmargen niedrig, gerade bei Gemüsebaubetrieben. Zudem sind viele Betriebe sehr hierarchisch strukturiert. Vor allem Saisonarbeitskräfte, die nicht gut Deutsch sprechen, haben wenig Möglichkeiten, mitzubestimmen oder sich zu wehren.
Was macht die Kooperative Landwirtschaft (KoLa) anders, als andere Betriebe?
Eva Köhler ist Agraringenieurin und hat mit der Kooperative Landwirtschaft (KoLa) den größten solidarischen Landwirtschaftsbetrieb mitgegründet. Ursprünglich kommt sie aus der ökoanarchistischen Bewegung.
Wir versuchen den Betrieb partizipativ zu gestalten, mehr Mitbestimmung zu schaffen, faire Löhne zu zahlen. Außerdem haben wir eine transparente Lohnmatrix. Es gibt zwar unterschiedliche Löhne, denn in manchen Positionen muss man flexibler sein und mehr Verantwortung übernehmen, aber wir legen Wert darauf, dass der Unterschied nicht zu groß sein darf.
Wie sind Sie dazu gekommen, die KoLa mitzugründen?
Ich hab das erste Mal mit 19 im Gemüsebaubetrieb gearbeitet, dann Ökolandbau studiert. Später hab ich bei der Solidarischen Landwirtschaft (SoLawi) Rote Beete angefangen, weil ich das Konzept schon lange toll fand. Da kam irgendwann jemand vom Kirchenvorstand des Ortes in den Betrieb und fragte: »Wir haben 35 Hektar Land, wollt ihr das nicht ökologisch und solidarisch bewirtschaften?« Zwei Kollegen und ich waren interessiert, wollten aber zuerst Mitstreiter*innen finden. Der Stein kam ins Rollen, als sich immer mehr Leute dafür begeistert haben.
Waren Sie sich sofort sicher, als das Angebot kam?
Nein, ich hatte riesige Angst. Auch wenn ich heute darüber nachdenke, kommen mir fast die Tränen. Nach dem Angebot hab ich mich erst gar nicht damit beschäftigt, bin dann aber doch mal auf die Fläche gefahren, damals war hier nur ein Weizenacker. Der Boden sah schlecht aus, alles sehr verdichtet, trocken und monoton. Im Vergleich dazu hab ich die Rote Beete gesehen mit ihren bunten Hecken für Schmetterlinge, Vögel und Menschen, die sich da wohlgefühlt haben. Das hat die Motivation geweckt. Es war ein Prozess.
Sie hatten schon erwähnt, dass Landwirtschaft eine harte Branche ist. Trotzdem hat es Sie dahin gezogen?
Ich wollte immer etwas Nützliches tun und dachte, essen müssen wir immer. Ich liebe Natur, bin gerne draußen und mag die Verbindung. Gerade bei der ökologischen Landwirtschaft kommt man nicht um die Frage herum: Wie können wir unsere Lebensgrundlage erhalten und dabei Nahrung produzieren? Beim Konzept solidarische Landwirtschaft hat mich auch der soziale Aspekt angesprochen. Ursprünglich komme ich aus der ökoanarchistischen Richtung, ich war früher bei Castor-Demos und habe Schienen blockiert. Diese Themen beschäftigen mich, seit ich vierzehn bin, damals habe ich »Die Wolke« von Gudrun Pausewang gelesen.
Gab es in den letzten Jahren durch den Klimawandel bedingte Herausforderungen, mit denen das Team von KoLa nicht gerechnet hat?
Ja, tatsächlich die Hitze. Letzten Sommer hatte es teilweise 36, gefühlt 38 Grad, auf dem Acker. Die Pflanzen in den Folientunneln rollen dann ihre Blätter ein. Da kommt die Angst: Wenn es jetzt noch wärmer wird, dann sterben die Pflanzen. Da kann man auch nicht mehr viel machen. Außerdem treten vermehrt Starkwetter-Ereignisse auf, wo zum Beispiel Überschwemmungen die Aussaaten einfach wegspülen. Das gab es zwar früher auch, aber nicht in dem Maße.
Was wünschen Sie sich politisch in Bezug auf die Agrar- und Ernährungswende?
Cem Özdemir, der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, hat sich dafür ausgesprochen, dass die Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse abgeschafft wird. So etwas wäre toll, weil so eine Maßnahme gerade Leuten mit niedrigem Einkommen hilft, sich regionales Gemüse leisten zu können. Und in Schulen und Kindergärten sollte es ganz klar sein, dass dort lokales und ökologisch gesund produziertes Obst und Gemüse konsumiert werden. Das sollte staatlich gefördert werden, damit die Eltern die Kosten nicht tragen müssen. Wir müssen aufhören, unser Gemüse aus Gegenden zu beziehen, wo extremer Wassermangel herrscht. Es ist Wahnsinn, was in Spanien oder der Türkei los ist – da müssen wir den Leuten nicht noch das Wasser wegnehmen.
Kommen viele Leute zu Ihnen, die in Richtung Landwirtschaft umschulen wollen?
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Ja! Momentan haben wir sechs Auszubildende, davon kommt eine Person direkt aus der Schule. Die anderen haben alle davor studiert und wollen jetzt in der Landwirtschaft arbeiten. Ich denke, dass es viele Jobs gibt, in denen Menschen keinen Sinn sehen. Hier sieht man das Ergebnis der eigenen Arbeit. Dass wir jetzt selbst so viele Ausbildungsplätze anbieten können, das macht auch etwas mit der Zukunft der Nahrungsmittelproduktion. Man braucht Leute, die wissen, wie Gemüse angebaut wird. Als wir vor einer Weile angefangen haben, kamen kaum Bewerbungen aus Ostdeutschland, weil hier kaum im Bio-Gemüselandbau ausgebildet wird. Viele Menschen, die auf Gemüsebau umschulen, machen das aber nur einige Jahre und gehen dann noch mal in eine andere Richtung. Der Beruf ist körperlich sehr anstrengend und dem wird oft in Lebensabschnitten nachgegangen.
Sie sprechen aus eigener Erfahrung.
Genau, bei der Roten Beete habe ich als Gärtnerin gearbeitet und im Studium einige Praktika gemacht. Jetzt bin ich hier gerade im Büro gelandet, aber bald auch wieder mehr auf dem Acker. Die Büroarbeiten sind nicht so beliebt, weil die Leute lieber auf dem Acker arbeiten. Gleichzeitig darf man die Mitgliederwerbung aber nicht unterschätzen, das ist viel Arbeit. Was bei der Arbeitsteilung auch wichtig ist: Die Landwirtschaft ist eine Branche, wo Maschinenarbeiten meistens von Männern gemacht werden. Deshalb fällt der Gender-Pay-Gap recht groß aus, denn gerade bei den manuellen Arbeiten sind Leute viel eher austauschbar. Maschinist*innen, Traktorfahrer*innen werden immer gesucht, die sind sehr begehrt. Deshalb ist es uns wichtig, dass auch unsere nicht männlichen Auszubildenden Traktor fahren lernen, und das funktioniert auch gut.
Vermissen Sie es eigentlich, auf dem Acker zu stehen?
Auf jeden Fall! Ich will mich aber nicht beschweren, denn Büroarbeit hat den Vorteil, dass man nicht immer raus muss. Ich habe vor anderthalb Jahren ein Kind bekommen und danach relativ schnell wieder angefangen zu arbeiten. Drei Monate nach der Geburt hätte ich mich in keinster Weise fit gefühlt, um wieder auf dem Acker zu stehen! Es ist krass, dass das früher ganz normal war. Das ist sowieso ein Thema, zu dem ich meine Gedanken gerne mal aufschreiben würde. Ich lese manchmal Artikel, in denen Frauen dafür kritisiert werden, zu lange zu Hause zu bleiben mit ihren Kindern. Aus eigener Erfahrung muss ich aber sagen, dass es hart war, so früh wieder einzusteigen. Die Ansprüche an Frauen werden da überstrapaziert.
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