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Fußball-WM der Frauen: Der Hochmut kam beim DFB vor dem Fall
Die deutschen Fußballerinnen haben einen erschreckenden Trend fortgeschrieben, weil Warnsignale nicht gehört wurden
Die Dunkelheit hatte sich am Freitag längst wieder über die Central Coast gelegt, als der Bus mit seinen deprimierten Insassen das letzte Mal um die Ecke bog. Wege über den Pacific Highway, vorbei an der Pferderennbahn, den Wohnhäusern bis zum Kooindah-Boulevard im unscheinbaren Örtchen Wyong sind für die deutschen Fußballerinnen nun Geschichte. Auf Ewigkeiten möchte wohl niemand mehr in das Golf-Hotel ans Ende dieser Sackgasse fahren. In einer solchen ist das Nationalteam des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) mit dem historischen Vorrunden-Aus bei der Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland jetzt jedoch gelandet.
In Frankfurt am Main ist der Scherbenhaufen nun noch größer, den der krisengeplagte DFB vor seinem teuren Campus liegen hat: Die Nationalteams der Männer und der Frauen haben sich beide schon nach der Gruppenphase von der WM verabschiedet, die Männer der U21 schafften das bei der EM. Die Fußballerinnen der U19 haben immerhin das EM-Finale gespielt. Aber hat das einer mitbekommen? Das Versagen der DFB-Frauen beim 1:1 gegen Südkorea sahen sich zur Mittagszeit hingegen wieder mehr als acht Millionen Menschen im ZDF an. Eine Traumquote für die Blamage in Brisbane.
Bei der Frage nach der Verantwortung zeigte Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg sehr rasch auf sich selbst. Die WM 2019 eingerechnet, hätte sie bei zwei Turnieren schließlich ihre Leistung nicht gebracht. Ein sehr selbstkritischer Ansatz. Die Fußballlehrerin hat aber große Rückendeckung, vor allem bei DFB-Präsident Bernd Neuendorf, der auf den erst kürzlich bis 2025 verlängerten Vertrag mit der 55-Jährigen verwies. »Wir haben ihr das Vertrauen ausgesprochen, das sie nach wie vor auch genießt.«
Mögen Doppelpässe auf dem Platz nicht mehr klappen, funktionieren sie außerhalb noch gut. Den vom Chef aus der Heimat gespielten Ball nahm mit Joti Chatzalexiou der Sportliche Leiter Nationalmannschaften noch am Brisbane River gerne an: »Ich bin dankbar, dass der Präsident diese Entscheidung entsprechend getroffen hat. Wir haben Martina letztes Jahr für eine tolle EM gefeiert.« Jetzt müsse man gemeinsam wieder aus der Talsohle herauskommen. Der 47-Jährige will an diesem Sonnabend zusammen mit der Trainerin im Wyong Race Club bei einer Pressekonferenz Rede und Antwort stehen. Vielleicht klärt sich die Kardinalfrage rasch, ob Voss-Tecklenburg die Kraft und die Überzeugung verspürt, die nächsten Aufgaben anzugehen.
Für die Olympia-Teilnahme 2024 in Paris ist – in diesem Fall deutsches Glück – erstmals nicht das WM-Abschneiden ausschlaggebend. Die zwei freien europäischen Startplätze werden über die neue Nations League vergeben. Die DFB-Frauen müssen für eine Qualifikation ihre Gruppe mit Dänemark, Island und Wales und anschließend die Playoffs gewinnen. Schon am 22. September geht’s bei den Däninnen los. Wäre es angesichts dieses Zeitplans Aktionismus, Voss-Tecklenburg zu schassen? Ihre Assistentin Britta Carlson ist keine für die erste Reihe – und hängt im Fehlersumpf zu tief mit drin. Das Duo muss sich allerdings neu erfinden, den Spielerinnen mehr abverlangen und weniger Rücksicht auf Vereinsbelange nehmen. Da könnte auch die zuständige DFB-Vizepräsidentin Sabine Mammitzsch mal sagen, was im Fußball der Frauen wirklich wichtig ist.
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Die Nationalspielerinnen haben mit ihren »blockierten Füßen« in einer der leichtesten Vorrundengruppen jedenfalls eine riesige Chance vertan. Ein Turnier, das erst ab dem Achtelfinale richtig Spaß macht, tobt sich ohne den zweifachen Weltmeister aus. »Früher gab es gefühlt nur Deutschland«, hat die als Mutter zur WM gereiste Melanie Leupolz kürzlich gesagt. Vergangenheit. Genau wie die Möglichkeit, als Gruppenerster das Achtelfinale gegen Jamaika sowie danach womöglich das Viertelfinale gegen Gastgeber Australien zu bestreiten – und die Frauen-Auswahl als erfolgreichen Gegenpol zur Nationalmannschaft der Männer zu etablieren.
Aber die Versäumnisse beider gleichen sich erschreckend. Es gibt keine Konzepte, sich gegen tief stehende Gegner spielerisch durchzusetzen. Es fehlen Außenverteidiger und -verteidigerinnen von Format – und die richtige Mentalität. Mit Kolumbien und Marokko sind zwei Teams aus Gruppe H weitergekommen, die es mehr wollten. Dabei schöpfen beide Nationen aus einem eher winzigen Reservoir mit teils amateurhaften Strukturen.
Chatzialexiou beobachtet die Entwicklung seit Längerem besorgt, doch ist dessen eigene Position nach fünf Jahren als Zuständiger der Nationalteams nun in höchster Gefahr. Vielleicht täte der DFB gut daran, eine resolute Frau dazuzuholen, die strukturelle Veränderungen nicht scheut. »Sinnvoll wäre das mit Sicherheit«, sagt Kapitänin Alexandra Popp. »Ich weiß, dass der DFB auf der Suche ist. Wir hoffen schon, dass wir jemand Vernünftigen finden.« Eine Person, die auch mal Tacheles redet – und mehr Leistung verlangt. Ihre ehemalige Mitspielerin Almuth Schult brächte dafür schon fast alles mit, sie müsste es statt ihrem Fernsehjob nur wollen – und mit bald drei Kindern regeln.
Voss-Tecklenburg kann anstelle des blassen Michael Urbansky zudem einen meinungsstarken Co-Trainer gebrauchen, der wie ihre charismatischen Unterstützer Thomas Nörenberg oder Patrik Grolimund bei der EM in England auch mal anderen Input vermittelt. Taucht Verbandschef Neuendorf in solch einer Aufarbeitung so tief ein? Der 62-Jährige hätte nie gedacht, dass ihm die Frauen solche grundsätzlichen Sorgen bereiten. Dass der DFB-Präsident erst zum WM-Achtelfinale nach Australien reisen wollte, sagt viel über den Hochmut einer längst tief gefallenen Fußball-Nation aus.
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