Saisonarbeit: Arbeiten, wo andere Urlaub machen

Schlechte Arbeitsbedingungen für ausländische Saisonarbeitskräfte in der Tourismusbranche

  • Christopher Wimmer
  • Lesedauer: 5 Min.
Viele Saisonbeschäftigte im Hotel- und Gaststättengewerbe leiden unter schlechten Arbeitsbedingungen
Viele Saisonbeschäftigte im Hotel- und Gaststättengewerbe leiden unter schlechten Arbeitsbedingungen

Laut Präsident des Deutschen Tourismusverbandes (DTV) Reinhard Meyer erwartet die Tourismusbranche 2023 wieder ein Umsatzniveau auf der Höhe vor der Coronakrise. Gute Nachrichten also für die Branche – und damit auch für die hiesige Wirtschaft. In der Bundesrepublik umfasst der Tourismus nach Berechnungen des Bundesverbandes der deutschen Tourismuswirtschaft etwa drei Millionen Beschäftigte und erwirtschaftet 290 Milliarden Euro Umsatz. Das entspricht rund fünf Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts.

Doch es gibt ein Problem, das diese guten Aussichten trübt: Ein Mangel an Arbeitskräften. Service, Küche oder Zimmerreinigung – überall dort könnten Stellen unbesetzt bleiben, warnt der Tourismusverband. »In der Gastronomie und bei anderen Dienstleistern könnte es deswegen zu eingeschränkten Öffnungszeiten kommen.« Gastronomen und Einzelhändler in touristischen Orten sollten sich abstimmen, damit nicht alle gleichzeitig schließen, empfiehlt der DTV-Präsident.

Besonders jetzt, während der sommerlichen Ferienzeit, steigt in vielen deutschen Urlaubshochburgen die Nachfrage nach Arbeitskräften. Hotels, Bars oder Restaurants greifen daher häufig auf Saisonarbeiter*innen aus dem Ausland zurück. Flacht der Arbeitsaufwand wieder ab, haben sie für diese zusätzlichen Mitarbeiter*innen meist keine Verwendung mehr.

Wie viele ausländische Saisonarbeiter*innen es in der deutschen Tourismusbranche gibt, weiß so genau offenbar niemand. Auf Anfrage verweisen der Tourismusverband und der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) auf die Bundesagentur für Arbeit. Dort heißt es jedoch, der Verband müsse Zahlen haben.

Auch die zuständigen Gewerkschaften Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) und Verdi haben keine verlässlichen Zahlen, verweisen indes auf eine Studie der Hans-Böckler-Stifung zur Thematik. Ihre »Branchenstudie Gastgewerbe« stammt allerdings von 2013 und gibt die Zahl der Saisonarbeitskräfte im Gastgewerbe mit 24 739 Beschäftigten an – unter ihnen 12 196 Kurzzeit-Beschäftigte aus dem Ausland. Laut dieser Studie kommen die Angestellten vorrangig aus Bulgarien, Polen, Rumänien, Slowenien, der Slowakei, Tschechien, Ungarn und Kroatien. Für Oktober dieses Jahres wird eine Neuauflage erwartet, darin werden dann wohl aktuelle Zahlen zu finden sein.

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Offiziell gilt in der Saisonarbeit der gesetzliche Mindestlohn. Dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich um deutsche oder ausländische Beschäftigte handelt. In einigen Bundesländern, wie etwa in Baden-Württemberg, ist die Saisonarbeit sogar tarifvertraglich geregelt. Viele ausländische Saisonarbeitskräfte leiden jedoch unter prekären Bedingungen, heißt es von der Gewerkschaft NGG. Löhne, die nicht rechtzeitig, nicht in der richtigen Höhe oder gar nicht ausbezahlt wurden, und fehlender Krankenversicherungsschutz haben in der Vergangenheit immer wieder – vor allem in der Landwirtschaft – für Kritik gesorgt. In der Tourismusbranche berichten Beschäftigte zudem von Schwarzzahlungen, unbezahlten Überstunden und davon, dass Ruhezeiten nicht eingehalten würden.

Vielen Saisonarbeitskräften fehle laut Gewerkschaft das Wissen über eigene Rechte und die besonderen arbeitsrechtlichen Bestimmungen bei der Saisonarbeit. Dies bestätigt auch Susanne Ferschl. Sie ist Abgeordnete der Linken im Bundestag und leitet dort den Arbeitskreis Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie. »Unabhängig von der Einsatzbranche sind ausländische Beschäftigte, vor allem im Niedriglohnsektor, besonders stark von Ausbeutung bedroht. Das Arbeitszeitgesetz oder der gesetzliche Mindestlohn existieren für Saisonbeschäftigte oft nur auf dem Papier«, sagt Ferschl im Gespräch mit »nd«.

Die Situation werde durch fehlende Sprachkenntnisse und daraus resultierende Sprachbarrieren noch verschärft. Gerade in Großstädten oder auf den Inseln – beides Tourismushochburgen – haben Saisonarbeitskräfte darüber hinaus angesichts des angespannten Wohnungsmarktes meist Schwierigkeiten, eine Wohnung zu finden. Sie sind daher oft darauf angewiesen, dass die Unternehmen Wohnraum zur Verfügung stellen.

Bereits im April hatte die EU-Kommission in Brüssel mitgeteilt, dass Saisonarbeiter*innen in der Bundesrepublik unzureichend geschützt seien. Deutschland und neun weitere EU-Staaten kämen Verpflichtungen der Richtlinie über Saisonarbeitskräfte nicht ordnungsgemäß nach, hieß es. Man habe gegen diese Länder ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, an dessen Ende eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof stehen kann.

Die Ampel-Koalition hat Verbesserungen in Aussicht gestellt und bereits im Koalitionsvertrag für Saisonbeschäftigte »den vollen Krankenversicherungsschutz ab dem ersten Tag« festgeschrieben. Aus Regierungskreisen heißt es zudem, die Ampel-Koalition arbeite an weiteren Maßnahmen. Dazu seien mehr Kontrollen nötig, um Verstöße beispielsweise gegen den Mindestlohn zurückzudrängen. Entsprechend seien mehr Stellen beim Zoll bereits beschlossen.

Bislang sei jedoch nichts in diese Richtung passiert, kritisiert Linke-Politikerin Ferschl. »Von der vollmundigen Ankündigung sind schmallippige Antworten auf meine Anfragen übrig geblieben«, erklärt sie. Der Bundesregierung attestiert Ferschl »Arbeitsverweigerung« und fordert, geltendes Arbeitsrecht wirksam durchzusetzen.

Die Linke sehe insbesondere im nicht umgesetzten Krankenversicherungsschutz und im fehlenden Aufbau von Rentenansprüchen, teilweise über Jahre hinweg, ein großes Problem der kurzfristigen Beschäftigung, die steuer- und sozialversicherungsfrei gestellt sei. Dadurch vermeiden die Unternehmen, Abgaben an die Sozialversicherung zu zahlen. Für Ferschl ist das Konstrukt der versicherungsfreien kurzfristigen Beschäftigung unnötig. Wenn Unternehmen für einen kurzen Zeitraum Arbeitskräfte suchen, könnten sie diese befristet einstellen.

Auch aus der Tourismusbranche gibt es Appelle an die Bundespolitik. DTV-Präsident Meyer forderte, die Zahl ausländischer Saisonarbeitskräfte zu erhöhen: »Ohne Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland wird das Angebotsniveau im Tourismus nicht aufrechtzuerhalten sein.« Entscheidend sei eine geordnete und gezielte Zuwanderung. Für Ferschl und die Gewerkschaft ist es jedoch entscheidend, dass in der Branche höhere Löhne gezahlt und bessere Arbeitsbedingungen geschaffen werden, um alle Stellen zu besetzen. Der Spielraum dafür scheint gegeben zu sein, denn die Branche boomt wieder.

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