Amazonas-Gipfel: Wo Regenwald zur Savanne wird

Beim Amazonas-Gipfel in Belém soll ein Stopp der illegalen Abholzung bis 2030 beschlossen werden. Experten zufolge ist das viel zu spät

  • Norbert Suchanek, Rio de Janeiro
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Wald auf der Insel Combu am Ufer des Flusses Guama in der Nähe der Stadt Belem. In Belem findet der «Amazonasgipfel» statt - das 4. Treffen der Präsidenten der Vertragsstaaten des Amazonas-Kooperationsabkommens, an dem Brasilien, Bolivien, Kolumbien, Guyana, Ecuador, Peru, Surinam und Venezuela teilnehmen.
Der Wald auf der Insel Combu am Ufer des Flusses Guama in der Nähe der Stadt Belem. In Belem findet der «Amazonasgipfel» statt - das 4. Treffen der Präsidenten der Vertragsstaaten des Amazonas-Kooperationsabkommens, an dem Brasilien, Bolivien, Kolumbien, Guyana, Ecuador, Peru, Surinam und Venezuela teilnehmen.

Wissenschaftler schätzen, dass wenigstens 17 Prozent der Regenwälder im gesamten Amazonasbecken abgeholzt sind. In Brasilien sind es sogar etwa 20 Prozent. Hinzu kommen weite Gebiete degradierter Flächen, die leicht in Flammen aufgehen können. In den stark entwaldeten Regionen im Süden des Bundesstaates Pará und im Norden von Mato Grosso sei der »Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt«, möglicherweise sogar bereits überschritten, meint Philip M. Fearnside vom nationalen Amazonas-Forschungsinstitut in Manaus gegenüber »nd«. Auch Acre im Westen befinde sich nahe des Wendepunkts, ab dem eine vollständige Wiederherstellung nicht mehr möglich ist, oder habe diesen bereits überschritten.

Vor diesem Hintergrund hat Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva Regierungschefs und Landesvertreter der Nachbarstaaten zum Amazonas-Gipfel eingeladen. Zwei Tage lang, am 8. und 9. August, werden sie in Belém, der Landeshauptstadt von Pará an der Mündung des Amazonas, über die Zukunft der Region beraten.

Ziel ist es laut Präsident Lula, eine gemeinsame Position der Amazonas-Staaten für die nächste UN-Klimakonferenz im kommenden November in den Vereinigten Arabischen Emiraten zu formulieren. »Was wir wollen, ist, der Welt zu sagen, was wir mit unserem Wald machen werden und was die Welt tun muss, um uns zu helfen, denn 2009 wurden 100 Milliarden US-Dollar versprochen, die bis heute nicht eingetroffen sind«, sagte Lula im Vorfeld des Gifpels dem staatlichen Sender »Canal Gov«. Der zum dritten Mal gewählte Staatspräsident von der linken Arbeiterpartei verpflichtete sich bereits zuvor, die illegale Abholzung des Amazonas-Regenwaldes in Brasilien bis 2030 zu beenden. Und er rief die Nachbarstaaten dazu auf, diese Selbstverpflichtung beim Gipfel in Belém zu übernehmen.

Bereits 2015 hatte die damalige Präsidentin Dilma Rousseff in Washington in einer gemeinsamen Erklärung mit US-Präsident Barack Obama versprochen, die »rechtswidrige« Waldvernichtung in Brasilien bis 2030 zu stoppen, was ebenso die nicht-amazonischen Wälder wie den Cerrado, die Caatinga und den Atlantischen Regenwald in anderen Teilen des riesigen Landes einschloss. »Wir wollen in Brasilien bis 2030 eine Null-Entwaldung erreichen. Null illegale Abholzung bis 2030«, versprach sie der Weltöffentlichkeit.

Eine verpflichtende Erklärung dazu unterschrieb indes erst der weltweit kritisierte rechte Staatschef Jair Bolsonaro während der UN-Klimakonferenz 2021 in Glasgow. In der von 105 Ländern unterzeichneten Walderklärung heißt es klar: »Wir, die Staats- und Regierungschefs der unten genannten Länder verpflichten uns, gemeinsam daran zu arbeiten, den Waldverlust und die Landdegradierung bis 2030 zu stoppen und umzukehren.« Gleichzeitig versprach Bolsonaro, die »illegale« Entwaldung bis 2028 auf Null zu bringen.

Ob 2028 oder 2030, nach Meinung der Organisation der Amazonas-Völker (COICA) und verbündeter Nichtregierungsorganisationen und Wissenschaftler könnte dies bereits zu spät sein, zumal nicht nur die illegale, sondern auch die »legale« Entwaldung gestoppt werden müsste. Sie fordern den Schutz von 80 Prozent des Amazonasgebiets schon bis 2025, was einem sofortigen Abholzungsstopp gleichkommt. »Wir können es uns nicht leisten, einen weiteren Hektar Amazonas-Regenwald zu verlieren«, schreiben sie in ihrem im vergangenen Jahr an die Regierungen gerichteten Plan zur Umsetzung des Amazonas-Schutzes bis 2025. »Dieses Ziel ist nicht ehrgeizig, sondern das Minimum, das wir für das Überleben dieses Mega-Ökosystems brauchen«, schreiben sie. Der derzeit diskutierte Zeithorizont von 2030 entspreche nicht dem aktuellen Zustand des Amazonas-Ökosystems, das kurz vor dem Umkippen stehe. Er ignoriere das wahre Ausmaß der Degradierung und Entwaldung, die Wiederherstellungsprozesse verhinderten und die Savannenbildung in der Region beschleunigten.

In diesem Zusammenhang könnte das Null-Abholzungsziel erst 2030 katastrophal für den größten zusammenhängenden Regenwald der Erde und für mehr als 500 in ihm lebende indigene Völker sowie für die Menschheit sein. In einer Anfang dieses Jahres vom Klimaforscher Carlos A. Nobre und 18 weiteren Wissenschaftlern im Fachmagazin »Science« veröffentlichten Studie heißt es: Die Umwelt des Amazonasgebiets werde durch industrielle Aktivitäten des Menschen in einem Tempo geschädigt, das weit über alles bisher Bekannte hinausgeht. Angesichts der übergroßen Rolle des Amazonas in unserem planetaren Wasserkreislauf werde die großflächige Abholzung dieser Region das gesamte Erdsystem über eine kritische Schwelle hin zu einem anderen globalen Klimaregime treiben.

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