Schnelle Hilfe für Menschen aus Afghanistan gescheitert

Im Rahmen des groß angekündigten Aufnahmeprogramms der Bundesregierung ist noch keine Person nach Deutschland eingereist

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 3 Min.

»Wir handeln und erfüllen unsere humanitäre Verantwortung.« Mit diesen Worten kommentierte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) im Oktober vergangenen Jahres den Start des Bundesaufnahmeprogramms für besonders gefährdete Menschen aus Afghanistan (BAP). Doch das Programm lief von Beginn an stockend. Aus dem Bundesinnenministerium heißt es auf Nachfrage des »nd«, es seien bisher über 350 Personen »positive Aufnahmeentscheidungen« getroffen worden. Doch: Nach Deutschland eingereist ist im Rahmen des Bundesaufnahmeprogramms bislang keine einzige Person. Man rechne »in Kürze« mit ersten Ausreisen, noch in diesem Quartal, heißt es gegenüber »nd«.

Im Oktober hatte die Bundesregierung rund 40 000 Ortskräften und besonders gefährdeten Personen eine Aufnahme in Aussicht gestellt. Zu der Zeit hatte Deutschland bereits 26 000 Menschen aufgenommen. Aktuell spricht das BMI von 30 300 gefährdeten afghanischen Staatsangehörigen, allerdings einschließlich Familienangehörigen, die über alle laufenden Aufnahmeverfahren nach Deutschland eingereist seien. Das BMI betont, es habe keinen Stillstand gegeben, vielmehr seien während der Anlaufphase des BAP die Aufnahmen über die bisherigen Verfahren fortgesetzt worden. Klar ist jedoch: Die angekündigten 1000 Einreisen pro Monat wurden weit verfehlt.

»Das ist unverantwortlich und beschämend zugleich, besonders vor dem Hintergrund, dass die Menschen in Afghanistan in akuter Lebensgefahr schweben und viele schon gestorben sind, die heute in Deutschland in Sicherheit sein könnten«, kritisiert Clara Bünger, fluchtpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, gegenüber »nd«. Weil das BAP dysfunktional sei, begäben sich viele Menschen auf die tödliche Fluchtroute über das Mittelmeer. »Hier werden sie dann von der Bundesinnenministerin als ›irreguläre Migrant*innen‹ diskreditiert, obwohl die Bundesregierung die Verantwortung dafür trägt, dass es keine sicheren Fluchtrouten gibt«, so Bünger. Mitte Juni waren 600 Menschen auf der Flucht übers Mittelmeer ertrunken, darunter viele Menschen aus Afghanistan.

Dazu kommt: Wer eigenständig ins Ausland flieht, verliert einen möglichen Anspruch auf Aufnahme über das BAP. »Den Versprechungen im Koalitionsvertrag der Bundesregierung müssen nun Taten folgen. Die Menschen in Afghanistan dürfen nicht vergessen werden«, fordert Jeanette Höpping, Vorstandsmitglied von Yaar. Das afghanische Kultur- und Beratungszentrum ist eine von rund 70 Organisationen, die besonders gefährdete Afghan*innen gegenüber der Koordinierungsstelle des Bundes vorschlagen dürfen. Die Organisation habe insbesondere junge Frauenrechtlerinnen vorgeschlagen. Doch bisher habe keine von ihnen eine Aufnahmezusage erhalten. »Es ist eine humanitäre Katastrophe, dass es für diese Menschen nirgends die Möglichkeit gibt, Schutz zu erhalten«, sagt Höpping zu »nd«.

Weltweit zählte das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR zum Ende des vergangenen Jahres rund 5,7 Millionen Flüchtlinge, Asylbewerber*innen und Schutzbedürftige aus Afghanistan. Es ist damit das Herkunftsland mit den meisten Flüchtlingen nach Syrien und der Ukraine. In der Europäischen Union haben voriges Jahr 113 495 Afghan*innen einen Asylantrag gestellt, damit sind sie die zweitgrößte Gruppe unter den Asylsuchenden.

Im März dieses Jahres hatte die Bundesregierung alle Visaverfahren für afghanische Staatsbürger*innen vorübergehend eingestellt. Grund dafür waren offenbar Sicherheitsbedenken, die Bundesregierung sprach von einem »Gefährder«, der schlussendlich nicht aufgenommen worden sei. Seit Ende Juni läuft das Programm formal wieder. Nun müssen die Menschen ein »optimiertes Sicherheitsverfahren« in Islamabad durchlaufen. Auch das nimmt Zeit in Anspruch.

Schon zuvor kritisierten Menschenrechtsorganisationen die schleichende Bearbeitung von Visaanträgen in der deutschen Botschaft in Pakistan. Laut Amnesty International bearbeite sie derzeit etwa drei Visaanträge pro Tag. »Die Bundesregierung muss alles daransetzen, das Bundesaufnahmeprogramm endlich in die Praxis umzusetzen. Das bedeutet auch, die personellen Ressourcen in der Botschaft in Islamabad signifikant auszubauen«, fordert Theresa Bergmann, Asien-Expertin bei Amnesty International.

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