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»Kannawoniwasein!«: Hickhack mit Hackmack
»Kannawoniwasein!« ist ein komischer und dabei lässig tiefgründiger Kinderfilm, von dem auch Erwachsene einiges lernen können
Der hier schreibende regelmäßige Filmrezensent, der auch seinen beiden Kindern eine gewisse Medienkompetenz anerziehen möchte, befindet sich diesbezüglich in einem Dauerkonflikt mit ihnen. So sehr er sich bemüht, die Kinder in ästhetisch und künstlerisch hochwertige (Kinder-)Filme zu schleppen und ihnen die ganze Bandbreite des filmischen Kosmos zu Füßen zu legen – am Ende wollen sie doch lieber »Super Mario Bros.« oder die neueste »Lassie«-Verfilmung sehen; wobei beim Siebenjährigen eh der Verdacht im Raum steht, dass er ausschließlich des Popcorns wegen ins Kino will. Oft werden es dann Kompromisse wie ein gemeinsamer Besuch des »Barbie«-Films, der ja immerhin jetzt schon ikonisch zu werden verspricht.
Ein Anlass, bei dem sich ganz gewiss alle einig sein werden, ist die überzeugende Verfilmung des 2018 erschienenen Kinderbuchs »Kannawoniwasein!« von Martin Muser. Schwer zu sagen, was dazu gehört, einen Film zu einem rundum gelungenen zu machen. Klar, das Drehbuch. Auf jeden Fall wichtig: tolle Schauspieler, ein talentierter Regisseur etc. Und doch ist da dieses unkalkulierbare Quäntchen, das einen mittelmäßigen, »normalen« von einem Erfolgsfilm unterscheidet. Hätte jemand ein Patentrezept dafür, sie oder er wäre wohl der bestbezahlte Manager im gesamten Filmbusiness. Was also ist das Geheimnis von »Kannawoniwasein!«? Die Story ist jedenfalls nicht neu (was sich freilich eher dem Rezensenten bemerkbar macht als dem Nachwuchspublikum, was ja an den Kanon von Geschichten erst herangeführt werden will): Der zehnjährige Finn Utschig – jawohl, Utschig, wie »flutschig« – hat sich sehr auf den versprochenen Paddelnachmittag mit seinem Vater gefreut, der jedoch überraschend keine Zeit mehr hat und den Jungen zur von ihnen getrennt und weit weg lebenden Mutter abschieben will. Auf der Zugfahrt zu ihr kommt es zu Verwicklungen, zu denen ein schmieriger Typ, ein geklauter Rucksack und die dadurch fehlende Fahrkarte samt gestrenger Schaffnerin gehören. Statt bei der Mutter, die sowieso vergessen wird, ihn vom Bahnhof abzuholen, befindet sich Finn auf einmal zusammen mit dem etwas älteren Mädchen Jola auf der Flucht vor der Polizei.
Aus der anfänglichen Flucht wird ein gemeinsamer Roadtrip quer durch die ostdeutsche Landschaft Richtung Ostsee, auf Jolas Wunsch hin, die noch nie am Meer war. Wer jetzt an »Tschick« denkt, liegt durchaus richtig – wie gesagt, neu ist die Story nicht. Trotzdem ist es ein Heidenspaß, den beiden brillanten Darstellern auf ihrem Weg zu folgen, der außerdem gesäumt ist von derart verschrobenen, liebevoll gestalteten Typen, dass die beiden Kinder irgendwann zu dem Schluss kommen: »Sind die Erwachsenen eigentlich alle bekloppt?« »Ich glaube schon.« Dabei rutscht die Handlung nie ins allzu Groteske oder Unglaubwürdige, was ebenfalls dazu beiträgt, dass der Zuschauer den Wendungen der Geschichte gerne folgt. Natürlich gibt es etliche Dinge, die ein Erwachsener für unplausibel und unrealistisch halten wird – aber hey, wir sind hier in einem Kinderfilm, in dem die Fantasie auch mal durchdrehen darf!
Was nicht bedeutet, dass der Film sich nicht auch an Erwachsene richtet. Der Hintergrund ist ja durchaus ernst: Es geht um Kinder, die sich verlassen und einsam fühlen; um Finn, der zerrissen ist zwischen den getrennten Eltern und sich nach beiden sehnt, und um Jola, deren Erzeuger sich vermeintlich überhaupt nicht für sie interessieren. Vielleicht wünscht man dem Film auch deswegen viel Zulauf: Auch Erwachsene sollten nämlich gut zuhören, wenn diese Kinder über gebrochene Versprechen und ihre Enttäuschungen sinnieren. Zu oft unterschätzen die Alten die Gefühlswelt von Kindern oder erfassen nicht, wie wertvoll für sie eben auch ein kleines Fotoalbum mit Erinnerungen sein kann – wie jenes, das in Finns geklautem Rucksack steckt. Ganz klar, dass der wiedererobert werden muss. Der schmierige Typ aus dem Zug entpuppt sich jedoch als Mitglied einer ländlichen Rockerbande, deren Chefin (!) mit dem seltsamen Namen Hackmack Hackfleisch aus ihnen zu machen droht.
Auf ihrer abenteuerlichen Reise werden die beiden am Ende einen Traktor gekapert, im Wald übernachtet, einen Wolf gesehen, den Rucksack wiederbekommen und am Meer gestanden haben. Den Wert von Freundschaft haben sie erfahren, und auch Hackmack ist zum Glück ganz anders als befürchtet. »Kannawoniwasein!« ist, man darf es so sagen, ein Glücksfall eines gelungenen Films für und über Kinder. Der noch junge Regisseur Stefan Westerwelle hat, wie schon in seinem Vorgängerfilm »Matti und Sami und die drei größten Fehler des Universums« (2018) sein Talent bewiesen, einen Film auf Augenhöhe mit seinen Protagonisten zu machen, ohne sich bei den Kindern anzubiedern oder didaktisch zu sein. Ein glückliches Händchen hatte er auch mit den beiden Hauptdarstellern Miran Selcuk und Lotte Engels, deren Namen man in Zukunft gewiss öfter begegnen wird. Mit ihrer Natürlichkeit und Frische tragen sie dieses rasante, komische und auf lässige Weise tiefgründige Roadmovie, unterstützt von den ebenfalls sorgfältig ausgewählten und gezeichneten Nebenrollen. Auch wenn jetzt nach den Regenwochen wieder die Sonne scheint – ab ins Kino!
»Kannawoniwasein!«: Deutschland 2023. Regie: Stefan Westerwelle, Buch: Adrian Bickenbach, Klaus Döring, Stefan Westerwelle. Mit: Miran Selcuk, Lotte Engels, Gisa Flake, Heiko Pinkowski, Joachim Förster. 94 Min. Jetzt im Kino. Berlin: Am Sonntag, den 20. August, wird der Film um 16 Uhr im Freiluftkino Hasenheide (Neukölln) in Anwesenheit des Regisseurs Stefan Westerwelle, des Buchautors Martin Muser, der beiden Hauptdarstellern sowie weiterer Darsteller gezeigt.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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