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Arcadia Estates darf Mieter der Habersaathstraße nicht räumen

Amtsgericht Mitte lehnt erste Räumungsklage gegen einen Mieter der Habersaathstraße 40-48 ab

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 4 Min.
Wohnungen seien nicht ausschließlich Investitionsobjekte, urteilte nun auch das Amtsgericht Mitte bezüglich der Habersaathstraße 40-48.
Wohnungen seien nicht ausschließlich Investitionsobjekte, urteilte nun auch das Amtsgericht Mitte bezüglich der Habersaathstraße 40-48.

Arcadia Estates hat kein Recht auf Gewinnmaximierung. Das hat das Amtsgericht Mitte am Donnerstag entschieden. Die Richterin wies damit die Räumungsklage des Wohnungseigentümers ab, der die Bewohner*innen des Wohnblocks in der Habersaathstraße 40-48 hinausschmeißen, das Gebäude abreißen und einen Neubau errichten will. Mit dem Urteil können die übrig gebliebenen Altmieter*innen in einem ersten von insgesamt voraussichtlich sechs Verfahren einen Erfolg feiern. Sie kämpfen zusammen mit den rund 60 neuen und ehemals wohnungslosen Bewohner*innen um den Erhalt ihres Zuhauses.

Der Eigentümer hatte unter anderem gegen den Mieter E. Knop geklagt, um eine sogenannte Verwertungskündigung durchzusetzen. Diese Art der Wohnungskündigung erlaubt das Gesetz nur, wenn dem Eigentümer durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses »erhebliche wirtschaftliche Nachteile« entstehen. Doch Richterin Oberndorfer sah für Arcadia Estates keine schlimmen Defizite.

Zum einen zweifelte sie das von Arcadia Estates beauftragte Gutachten an, das aufwendige Modernisierungsmaßnahmen wie den Bau neuer Balkone empfiehlt und mit dem der Eigentümer den geplanten Abriss des Hauses begründet. »Das Gebäude ist nicht in einem schlechten Zustand«, widersprach die Richterin. Das Gesetz strebe nicht den Maximalkomfort an, »wir brauchen ja Wohnungen für die breite Masse der Bevölkerung. Ein neuer Balkon und all so etwas ist natürlich schön, aber wohnungswirtschaftlich nicht erforderlich.«

Außerdem hielt sie den Abriss nicht für die einzige Lösung, um eine vermeintlich unwirtschaftliche Vermietung zu beenden. »Mich stört an der Klage vor allem die Kalkulation, die einen gewinnbringenden Verkauf gar nicht in Erwägung zieht«, so die Richterin. Eine Wohnung sei keine Aktie. Wenn der Eigentümer ausschließlich den Abriss plane, vernachlässige er das »allgemein geschützte Interesse des Mieters, nicht seinen Lebensmittelpunkt zu verlieren«.

Daniel Diekmann gehört zu den Langzeitmieter*innen der Habersaathstraße 40-48 und hat die Verhandlung begleitet. »Wir sind erleichtert«, sagte er im Namen des Mieterrates, der seit dem Verkauf des Gebäudekomplexes 2006 gegen die kontinuierliche Entmietung kämpft. »Wir vertreten natürlich die Auffassung, dass alle Klagen und auch der Überfall vergangene Woche nicht mit geltendem Recht vereinbar sind.«

Mit »Überfall« meint Diekmann eine versuchte Räumung ohne Räumungstitel durch den Eigentümer Arcadia Estates. Am 9. August zerstörte ein von der Firma beauftragter Security-Dienst die Strom- und Wasserzufuhr, trat Wohnungstüren ein, entfernte aus einigen Wohnungen Fenster und zerschlug Badmobiliar wie Waschbecken und Badewannen. Außerdem ließ Aracadia Estates das Haustürschloss austauschen.

Die Altmieter*innen stuften die Aktion als Einschüchterungsversuch im Vorfeld der Räumungsklagen ein. Auch in ihren Wohnungen fielen Strom und Wasser aus, laut Diekmann können sie wegen einer versperrten Brandschutztür nach wie vor nicht ordnungsgemäß den Müll wegbringen und den Garten nutzen. Ob die Zentralheizung bis zur kalten Jahreszeit wieder funktioniere, sei derzeit auch nicht klar, sagt Diekmann.

Der »Überfall« richtete sich vor allem gegen die ehemals wohnungslosen Bewohner*innen ohne Mietvertrag, die seit 2021 in entmietete Wohnungen gezogen sind. Annegret von der Initiative Leerstand-Hab-ich-Saath erzählt im Gespräch mit »nd«, zu welcher Verunsicherung die versuchte Räumung führte. »Die Leute waren regelrecht panisch. Jetzt müssen sie sich organisieren und zum Beispiel darauf achten, dass die Haustür nicht zufällt, und gleichzeitig den Eingang bewachen.« Besonders prekär sei die Situation einer hochschwangeren Bewohnerin. Die geflüchtete Frau erwarte in zwei Wochen ihr Kind, doch derzeit habe sie weder Strom noch Wasser in ihrer Wohnung.

Dass das Gericht die erste Räumungsklage abgewiesen hat, ist für alte und neue Bewohner*innen eine gute Nachricht. Sollten sich die Richter*innen am Amtsgericht Mitte in den übrigen Verfahren der Entscheidung anschließen und sollte auch das Landgericht als nächsthöhere Instanz das Urteil bekräftigen, würde ein Verkauf ohne vorherige Räumung wahrscheinlicher. Wenn dadurch die Habersaathstraße 40-48 zurück in kommunalen Besitz käme, stünden auch die Chancen für ein anerkanntes »Housing-First«-Projekt nicht schlecht.

Noch bleibt es aber bei einer ersten Schlappe für Arcadia Estates. Niklas Schenker, wohnungspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, zeigt sich von dem Urteil nicht überrascht: »Die Rechtslage ist ja doch sehr eindeutig.« Den Vorschlag der Richterin, statt Abriss zu verkaufen, hält er für keine schlechte Idee. »Der Eigentümer muss sich langsam damit abfinden, dass er mit seiner Wild-West-Manier in der Habersaathstraße nicht weiterkommt.«

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