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Haftstrafe für ein Transparent gegen Abschiebungen?
Polizei ermittelt gegen unbekannte Personen wegen einer Aktion auf der Besuchertribüne des Landtags
Es war an jenem 17. November vergangenen Jahres nur eine von mehreren Aktionen gegen das umstrittene Abschiebezentrum am Hauptstadtflughafen BER in Schönefeld. Im Zentrum stand die Übergabe von 18 155 Unterschriften an den Petitionsausschuss des Landtags, gesammelt vom Flüchtlingsrat Brandenburg und vom Hilfsverein »Wir packen’s an«.
Als dann am frühen Abend die oppositionelle Linksfraktion einen Stopp des Bauvorhabens beantragte, stimmten die Koalitionsfraktionen SPD, CDU und Grüne geschlossen dagegen, so wie auch die AfD. Nur die Freien Wähler enthielten sich. Und bei dieser Gelegenheit zeigten im Plenarsaal sechs Männer und Frauen von der Besuchertribüne herunter ihren Unmut. Sie entrollten ein Transparent. Was genau darauf gestanden hat, vermag Landtagssprecher Gerold Büchner nicht zu sagen. Er hat das damals nicht mitbekommen.
Irgendetwas gegen das von Innenminister Michael Stübgen (CDU) geplante Behördenzentrum von Bund und Land ist es gewesen, das die Ein- und Ausreise von Geflüchteten abwickeln soll. Vielleicht stand »Abschiebedrehkreuz BER verhindern« darauf. Denn solche Transparente waren auch bei mehreren Protestkundgebungen in Schönefeld und Potsdam zu sehen. Gemessen an den Kapazitäten für Ankunft und Ausreise erweist sich das Behördenzentrum als Abschiebedrehkreuz. Die Landtagsabgeordnete Andrea Johlige (Linke) hat den Begriff geprägt – und er hat sich durchgesetzt, weil er den Kern der Sache viel besser trifft als die verhüllende offizielle Bezeichnung Behördenzentrum.
Ein privater Investor soll die erforderlichen Gebäude für 155 Millionen Euro errichten und dann ab 2025 für 30 Jahre an den Staat vermieten. 470 Millionen Euro Kaltmiete würde er kassieren, die Preissteigerungen nicht mitgerechnet, sagte die Abgeordnete Johlige am 17. November 2022 nicht zum ersten Mal. Parlamentskollege Péter Vida von den Freien Wählern habe das eine »obszöne« Rendite genannt. Dieser Einschätzung könne sie sich nur anschließen.
Ob hier alles mit rechten Dingen abläuft? Zumindest Zweifel wurden da geäußert. Beweise für ein Fehlverhalten liegen jedoch nicht vor. Nicht legal ist indessen offensichtlich ganz eindeutig, was die sechs Männer und Frauen auf der Besuchertribüne getan haben, als sie ihr Transparent entrollten.
Dergleichen verstoße gegen die Haus- und die Geschäftsordnung des Landtags, bestätigt die Parlamentsverwaltung auf nd-Nachfrage. Sie verweist außerdem auf Paragraf 106 b des Strafgesetzbuches. Absatz 1 besagt: »Wer gegen Anordnungen verstößt, die ein Gesetzgebungsorgan des Bundes oder eines Landes oder sein Präsident über die Sicherheit und Ordnung im Gebäude des Gesetzgebungsorgans oder auf dem dazugehörenden Grundstück allgemein oder im Einzelfall erlässt, und dadurch die Tätigkeit des Gesetzgebungsorgans hindert oder stört, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.« Absatz 2 regelt, dass Abgeordnete, Minister und Staatssekretäre davon nicht erfasst sind. Besucher aber schon.
Ob die sechs Protestierenden schlimmstenfalls ins Gefängnis müssen oder nur zu einer Geldstrafe verdonnert werden, ob die Justiz das Verfahren vielleicht sogar einstellt, hängt erfahrungsgemäß davon ab, ob Täter vorbestraft sind oder nicht. Das weiß man allerdings nach gegenwärtigem Stand nicht. Denn: »Die Personen haben, um eine Zugangskarte zur Besuchertribüne zu erhalten, am Empfangstresen Namen angegeben, die sich aber im Nachhinein als fiktiv erwiesen.« So die Auskunft von Landtagssprecher Büchner.
Auf die Frage, ob die Parlamentsverwaltung oder Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke (SPD) Anzeige erstattet haben, antwortet er: »Nein.« Es gebe einen Ermessensspielraum. »Das Ermessen richtet sich nach der Intensität des Regelverstoßes.« In Betracht kämen folgende Maßnahmen: »Ermahnung, Entfernung aus dem Saal, Feststellung der Personalien, Hausverbot, Strafanzeige.«
Aktionen wie die der sechs Männer und Frauen sind zum Beispiel im Berliner Abgeordnetenhaus schon vorgekommen, wo vor vielen Jahren junge Leute von der Besuchertribüne herunter lautstark gegen die Räumung eines besetzten Hauses protestierten. In Brandenburg ist es lange her, dass sich etwas auch nur annähernd Vergleichbares ereignete. Noch im alten Landtag auf dem Potsdamer Brauhausberg protestierten einst Bürgermeister wegen der erwarteten Lärmbelastung auf den Besucherrängen gegen den Bau des neuen Hauptstadtflughafens BER. Sie wurden seinerzeit des Saales verwiesen. Weitere Maßnahmen wurden gegen die Bürgermeister nicht ergriffen.
Gegen die sechs Gegner des Abschiebedrehkreuzes ermittelt nach nd-Informationen nun aber die Polizei. Das bestätigte die Polizeidirektion West. Da die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen seien, wolle man den Ergebnissen nicht vorgreifen und könne nur beschränkt Auskünfte erteilen. Immerhin so viel ließ die Polizei wissen: Das Hausrecht habe die Landtagspräsidentin, die sich zur Durchsetzung eigener und beauftragter Sicherheitskräfte bediene. Die Polizei leiste gegebenenfalls Vollzugshilfe. »Vorliegend gelang es dem Sitzungsdienst des Landtags, die Störung des Sitzungsbetriebes eigenständig zu unterbinden. Die Polizei wurde erst später über den Sachverhalt unterrichtet und eine entsprechende Strafanzeige erstattet.«
Die Landtagsabgeordnete Johlige will eine Störung des Parlaments nicht kleinreden. Sie fragt sich aber doch, ob die Ermittlungen verhältnismäßig sind. Der eigentliche Skandal ist für sie die Verschwendung von Steuermitteln für das Bauprojekt und dass es durch einen vorbestraften Investor realisiert werden solle. Ganz von selbst versteht sich, dass die Linksfraktion gegen Abschiebungen ist.
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