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»Jetzt spielen alle beim 1. FC Union professionell Fußball«
Ailien Poese trainiert die Frauen des Köpenicker Klubs, die erstmals in der Vereinsgeschichte ihren Sport als Beruf ausüben können – und in die 2. Bundesliga aufsteigen wollen
Sie kommen gerade vom zweiten Training des Tages. Das ist ja, wie so vieles bei Unions Frauen, neu. Können Sie die wichtigsten Veränderungen beschreiben?
Ganz neu ist es nicht. Wir haben auch letzte Saison mit ein paar Spielerinnen immer mal vormittags trainiert. Aber in der Art und Weise trainieren zu können, wie wir es jetzt tun, mit einem Mannschaftstraining am Vormittag und einem am Nachmittag, das ist natürlich eine absolute Neuerung. Wir verbringen dadurch den Tag gemeinsam hier, haben mehr Zeit miteinander und können besser auf individuelle Dinge eingehen wie beispielsweise Spielanalysen. Die größte Veränderung ist also, dass der Arbeitstag von 8 bis 16.30 Uhr auch für die Spielerinnen nur noch aus Sport besteht. Und wenn wir dann vom Platz kommen, ist Feierabend. Sie müssen dann nicht noch irgendwas machen, weil jetzt alle beim 1. FC Union professionell Fußball spielen.
Hat sich damit auch Ihre Arbeit im Vergleich zur Vorsaison verändert?
Trainingsmethodisch hat sich wenig geändert. Ein anderer Ablauf ist es aber schon. Früher waren wir teilweise bis 22 Uhr am Platz, weil die meisten Spielerinnen erst gegen 17 oder 18 Uhr da sein konnten und vieles Wichtige wie individuelle Gespräche oder Treffen mit dem Mannschaftsrat erst nach dem Training möglich war. Darunter hat natürlich manchmal das Private gelitten. Jetzt nutzen wir beispielsweise den Montag für Ausbehandlungen nach dem Spiel, Spielersatztraining, unsere Wochenplanung und die Analyse des Spiels vom Wochenende.
Ailien Poese geht in ihr zweites Jahr als Trainerin der Fußballerinnen vom 1. FC Union. In der vergangenen Saison gelang der Aufstieg in die 2. Bundesliga nicht. Im Gespräch mit »nd« nennt die 39-Jährige viele Gründe, warum es diesmal klappt. Fortschritte im Fußball der Frauen hat sie auch anderswo beobachtet.
Haben sich auch Probleme aus all den Neuerungen ergeben?
Herausforderungen würde ich sagen. Bei der Umstellung von drei, vier Trainingstagen in der Woche auf zwei Trainingseinheiten pro Tag mussten wir schauen, dass wir nicht zu viel auf einmal machen. Da haben wir jetzt manchmal schon aus Belastungsgründen den Plan für den Nachmittag geändert. Aber so langsam haben wir uns alle an diesen Ablauf gewöhnt. Wichtig ist immer, zu schauen, was den Spielerinnen guttut. Dafür halten wir auch immer mit dem Mannschaftsrat oder einzelnen Spielerinnen Rücksprache.
Schon in der vergangenen Saison war der Aufstieg in die 2. Bundesliga das Ziel. Mit den neuen Möglichkeiten ist er ja fast ein Muss. Spüren Sie jetzt größeren Druck?
Nein, ich spüre ganz, ganz viel Vertrauen. Aber natürlich ist unser aller Ziel der Aufstieg. Und Druck haben wir auch, jeder Verein hat abhängig von seiner sportlichen Situation und den Zielen Druck, egal ob um den Aufstieg, einen sicheren Mittelfeldplatz oder gegen den Abstieg gespielt wird.
Und wie schätzen Sie die Chancen ein? Die direkten Konkurrenten sind ja wieder die gleichen. Und mit Hertha BSC ist zumindest ein großer Name in die Regionalliga gekommen. Wie würden Sie die Ausgangslage beschreiben?
Es ist noch mal mehr Konkurrenz als im letzten Jahr. Auch Regionalligameister Viktoria Berlin hat einiges verändert und will aufsteigen. Das ist sicherlich der stärkste Gegner. Dazu kommt Türkiyemspor und vielleicht auch noch Turbine Potsdam II. Aber uns ist es relativ egal, gegen wen wir spielen: Wir schauen auf uns und bereiten uns auf jedes Spiel hundert Prozent vor. Natürlich ist es noch mal eine andere Stimmung, wenn man vor dem Derby gegen Hertha steht oder gegen Viktoria. Aber am Ende ist es nur ein Spiel – und wir wollen jedes Spiel gewinnen.
An diesem Sonntag geht es gleich mit dem Derby gegen Hertha BSC los. Beide Vereine verbinden ja auch schon die Erfahrungen bei den Männern.
Ja, ein Derby ist ein Derby. Das können wir nicht kleinreden. Und sicherlich werden uns, wenn wir nach Charlottenburg fahren, nicht alle wohlgesonnen sein. Das ist uns vollkommen klar, darauf müssen wir uns auch vorbereiten. Hertha wird da sicherlich einige Fans akquirieren, die haben ein Heimspiel. Und dass es jetzt nicht mehr Hertha 03 Zehlendorf ist, sondern Hertha BSC, bringt natürlich eine gewisse Brisanz rein.
Union hat neun Spielerinnen verpflichtet. Wie viele Spielerinnen der vergangenen Saison schaffen es in die Stammelf?
Dazu will ich noch nichts sagen. Aber in den Vorbereitungsspielen konnte man ja schon sehen, wer ein bisschen mehr gespielt hat. Da standen auch Stammspielerinnen der letzten Saison häufig in der Startelf. Grundsätzlich haben wir durch die Neuverpflichtungen eine höhere Leistungsdichte innerhalb der Mannschaft. Das hilft uns beispielsweise sehr bei den Wechseln: Wir können jetzt während eines Spieles besser reagieren und Positionen adäquat ersetzen. Und Ausfälle können wir auch besser kompensieren.
Ein neues Teamgefüge macht gerade am Anfang wahrscheinlich auch mehr Arbeit. Führte es auch zu einer neuen Spielausrichtung?
Klar, neue Spielerinnen bringen neue Impulse. Wir müssen schauen, wie wir die Stärken der Spielerinnen am besten auf den Platz bringen. Da haben wir natürlich auch einige Dinge ändern können, auf die ich jetzt aber nicht im Detail eingehen werde (schmunzelt). Die Integration der neuen Spielerinnen hat sofort funktioniert. Das Team trifft und hilft sich auch außerhalb des Trainings, diesen guten Zusammenhalt haben wir sehr schnell gespürt. Deshalb habe ich es nicht als mehr Arbeit empfunden.
Sie sind also insgesamt zufrieden mit der Vorbereitung? Die Ergebnisse klingen ja zumindest vielversprechend.
Ja, wir sind sehr zufrieden mit der Entwicklung und den Ergebnissen. Zwar haben wir gegen den Zweitligisten Turbine Potsdam und den Erstligisten 1. FC Nürnberg verloren. Trotzdem haben wir aus diesen Spielen unheimlich viel mitgenommen, was wir dann mit dem Sieg beim Erstligisten Werder Bremen ganz gut zeigen konnten. Wir haben auch einige Workshops gemacht und mit der Sportpsychologin gearbeitet, um auch auf solchen Wegen noch Dinge zu verbessern. Von daher fiebern wir jetzt auf den Sonntag hin.
Während der Vorbereitung lief ja auch die WM. Wie haben Sie das Turnier verfolgt?
Im Trainingslager haben wir die ersten zwei deutschen Spiele gemeinsam geschaut und dafür auch das Training verschoben. Sonst haben wir immer geguckt, wenn es in den Pausen möglich war. In der Mittagspause haben wir alle gemeinsam am Mittwoch das Halbfinale geschaut. Beim Finale am Sonntag ist es leider nicht möglich, weil wir da gerade in der Vorbereitung auf unser Spiel sind. Aber grundsätzlich ist da ein großes Interesse. Und natürlich kann man ja auch da viele Dinge mitnehmen, wenn man das guckt.
Solche Turniere entfachen ja immer eine besondere Stimmung oder Euphorie. Haben Sie so etwas im Team oder im Umfeld mitbekommen?
Im Umfeld auf jeden Fall. Ich finde, man bekommt überall mit, dass diese WM stattfindet, das finde ich sehr schön. Das war vor fünf, sechs Jahren noch etwas ganz anderes. Und man bekommt auch noch erstaunlich viel mit, obwohl Deutschland ausgeschieden ist. Das finde ich auch sehr erfreulich. Und natürlich ist die WM auch innerhalb unseres Teams ein ganz großes Thema.
Wie bewerten Sie das frühe Ausscheiden der DFB-Auswahl?
Wir wissen alle, dass wir im Kader des Nationalteams große individuelle Qualität haben. Es wurde aber nicht geschafft, diese Qualität auf den Rasen und in klare Aktionen zu bringen. Da wird das Trainerteam, so wie ich es kenne, jetzt akribisch dran arbeiten. Und dann werden wir auch wieder erfolgreiche Spiele sehen.
Sie kennen ja auch den internationalen Fußball. Bei der EM im vergangenen Jahr in England waren Sie für den DFB als Scout unterwegs. Wie schätzen Sie das Niveau dieser Weltmeisterschaft ein?
Es ist super! Ich war erst etwas skeptisch, mit 32 Teams zu spielen. Aber allein die vielen Überraschungssiege zeigen, dass es eine gute Entscheidung war. Dass England und Spanien im Finale stehen, damit konnte man rechnen, wenn man den Fußball in den letzten Jahren verfolgt hat. Aber auch andere Mannschaften wie Australien haben unheimlich auf sich aufmerksam gemacht. Es wird mit hoher Intensität gespielt, und wenn man dann gut verteidigt, bekommt man auch immer die Möglichkeiten nach vorne. Und dass der Frauenfußball wesentlich athletischer geworden ist, haben wir schon bei der EM gesehen, das ist für mich eine sehr erfreuliche Entwicklung.
Haben Sie ein Lieblingsteam bei der WM und wem drücken Sie im Finale die Daumen?
Ich fand die Japanerinnen gut, die haben in der Vorrunde wirklich einen sehr präzisen, athletischen, tollen Fußball gespielt. Den Titel würde ich den Spanierinnen endlich mal gönnen. Sie haben viel investiert, sind in den Jugendnationalmannschaften erfolgreich und sind letztes Jahr unglücklich ausgeschieden bei der EM. Und es macht einfach Spaß, ihrem Spiel zuzuschauen.
Im Fußball der Frauen gibt es erstaunlich viele männliche Trainer, gerade in der Bundesliga. Macht das für Sie einen Unterschied, ob Fußballerinnen von Männern oder Frauen trainiert werden?
Es macht keinen Unterschied, wenn es fachlich und menschlich passt. Dass es noch nicht so viele Trainerinnen gibt, liegt an der Vergangenheit. Viele ehemalige oder auch jetzt noch aktive Fußballerinnen werden aber das Berufsfeld als Trainerin für sich entdecken. Das gab es ja lange Zeit nicht. Ich habe lange als Verbandssportlehrerin gearbeitet, da war es schon, jedenfalls in Berlin seit 2011 hauptamtlich. Aber allein als Cheftrainerin zu arbeiten, ohne irgendwelche Abteilungsaufgaben im Verein zusätzlich zu machen, das ist noch relativ selten. Das professionalisiert sich jetzt aber mehr und mehr. Wir schaffen ja gerade Vorbilder in unserer Nationalmannschaft, in der Frauen-Bundesliga. Auf Sky lief am Dienstagabend Mönchengladbach gegen Kiel, DFB-Pokal Frauen. DAZN ist jetzt auch bei 1. Bundesliga mit dabei. Ein Sender überträgt jetzt sogar die 2. Bundesliga der Frauen. Das sind unheimlich wichtige Schritte. Das schafft Vorbilder, nicht für künftige Fußballerinnen, sondern auch für das Berufsbild Trainerin. Und ich freue mich über jede Frau, die den Weg geht. Am Ende entscheiden aber Qualität und Empathie.
Der Fortschritt im Fußball der Frauen macht sich ja auch bei Union bemerkbar. Was wären wichtige Schritte für eine weitere Entwicklung? Es gibt ja auch die Debatte um einen Mindestlohn für Fußballerinnen.
Ich kenne keine Verträge und möchte die auch nicht kennen. Bei uns haben wir diese Debatte jedenfalls nicht. Wir haben bei den Frauen jetzt erstmalig Berufsfußball bei Union und wollen uns natürlich stetig weiterentwickeln. Dazu gehört die Verbesserung der Infrastruktur. Schon jetzt haben wir gute Bedingungen. Und wenn wir nach der Fertigstellung des Nachwuchsleistungszentrums in den Bruno-Bürgel-Weg umziehen, werden wir noch mal bessere Bedingungen haben. Das ist ein gutes strukturelles Fundament für den Profifußball der Frauen, um dann auch sportlich erfolgreicher sein zu können.
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