- Kultur
- Buch »Volkstheater«
»Nehmt das, rechte Nervensägen«
Peter Laudenbach hat mit »Volkstheater« eine Chronik rechter Angriffe auf die Kunstfreiheit verfasst
Mit einem eindrücklichen Beispiel beginnt der Publizist und Theaterkritiker Peter Laudenbach seinen schmalen, aber höchst informativen Band, der mit dem Titel »Volkstheater« überschrieben ist: Es ist das Jahr 1997, in Jena stößt ein neunjähriger Junge auf dem Vorplatz des Theaterhauses auf einen Koffer. Diesen Koffer ziert ein Hakenkreuz. Die Mutter vermutet – was auch sonst? – ein verwaistes Requisit und lässt den Sohn das Fundstück bei Mitarbeitern der Bühne abgeben. Mäßig interessiert nimmt man es entgegen. Erst am Folgetag öffnet jemand den Koffer, in dem sich eine Bombe befindet. Es handelt sich um eine Attrappe – aber der Sprengstoff, zehn Gramm TNT, ist echt.
Dieser Fall ist komplexer, als es auf den ersten Blick scheint. Einen fast komischen Charakter entwickelt die Drohgebärde, die als solche zunächst gar nicht erkannt wird. Darüber hinaus macht dieser Vorgang aber auch klar, wie sehr Kunst in den Augen Rechtsradikaler ein Feindbild darstellt. Und schließlich zeigt dieses Beispiel, betrachtet man seinen ganzen Kontext, dass martialische Gesten Ausdruck einer Ideologie sind, die noch ganz andere Untaten zu zeitigen imstande ist: Der Koffer wurde von drei Personen abgestellt, die in den Folgejahren unter dem Namen »Nationalsozialistischer Untergrund« ihre widerwärtige Mordserie verübten.
Auf den weiteren gut 100 Seiten liegt der Fokus allerdings nicht auf der vom Staatsapparat über Jahre mit erschreckendem Gleichmut bedachten Terrorclique, in deren Zentrum die stets aus dem Hinterhalt agierenden Verbrecher Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe standen, sondern auf rechten Angriffe unterschiedlichster Art, die zwischen November 2016 und Oktober 2021 begangen wurden. Diese akribische Dokumentation beruht auf Veröffentlichungen des Autors in der »Süddeutschen Zeitung«, die hiermit zum Buch ausgebaut wurden.
Aber warum sollte eine solche chronistische Verzeichnung rechter Übergriffe von gestern – von körperlichen Attacken bis zur Brandstiftung, vom kunstfeindlichen Gebaren der AfD in den Parlamenten bis zur Morddrohung – heute überhaupt noch von Interesse sein? Weil sich durch dieses additive Verfahren erst das ganze Bedrohungspotenzial zeigt, dem Künstlerinnen und Künstler ausgesetzt sind. Schnell, um nicht zu sagen: reflexhaft, wird in den Medien von einer »Verrohung der Gesellschaft« gesprochen. Laudenbach aber ist nicht an abgegriffenen Formulierungen gelegen; er liefert lieber Belege.
In einem Essay, der der Chronik vorangestellt ist, vermag es der Autor nicht, eine umfassende Analyse des zeitgenössischen Rechtsextremismus in Deutschland zu liefern, über seine Wurzeln aufzuklären und darzulegen, wie man sie wirkungsvoll bekämpft. Aber diesen Versuch unternimmt er auch gar nicht. Laudenbach zeigt stattdessen die Vielgestaltigkeit der rechten Kunstfeinde – raunende »besorgte Bürger«, parlamentarische Brandstifter, gewaltbereite Neonazis – und vermittelt vielleicht auch dem linksliberalen Leser im Kiezcafé mit Hafermilch und Duzkultur einen Eindruck von der bisweilen schwierigen Lage in Kulturinstitutionen jenseits urbaner Zentren.
Überaus angenehm ist die Unaufgeregtheit, mit der sich Laudenbach seinem ernsten Thema widmet, das bei anderen Autoren gelegentlich schon zu intellektuellen Kurzschlüssen geführt hat. Wenn er etwa die Situation am Vorabend der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten mit unserer heutigen Lage vergleicht, tut er das im Wissen darüber, wozu ein Vergleich da ist: um Gemeinsamkeiten herauszustellen, aber eben auch um die Unterschiede deutlich zu machen. Er tut, auf dem Boden der Tatsachen befindlich, nicht so, als lebten wir spätestens morgen wieder in der Diktatur. Aber es liegt ihm auch fern, rechte Umtriebe – und sei es nur eine herausgebrüllte Parole – zu verharmlosen.
Etwas deplatziert wirkt Laudenbachs beiläufig angebrachte Spitze gegen »übersichtliche Brecht-Parabeln«, von denen er, den Theaterkritiker Franz Wille zitierend, annimmt, sie würden politische und gesellschaftliche Fragen nur als Konflikt zwischen handlungsfähigen Figuren darstellen – ganz so, als wäre es nicht Brecht gewesen, der dieses Problem vor 100 Jahren bereits formuliert hat und Gegenmodelle unterbreitet hat. Merkwürdig unerklärt bleibt auch die dialektische Volte des Autors, Botho Strauß einerseits zum Teil des pluralistischen Kulturbetriebs der Gegenwart zu erklären und ihn andererseits als dessen antiliberalen Gegenpol darzustellen. Derlei Einwände sind allerdings nur Petitessen in der Gesamtbetrachtung des sehr ehrenwerten Anliegens, die Gefährdung der Kunstfreiheit von rechts in den Blick zu nehmen.
Betroffen stimmen einige der Schilderungen. Aus den Taten der rechten Reaktionäre spricht immerhin bloße Menschenverachtung. In den harmloseren Fällen handelt es sich um aufmerksamkeitsheischende Provokationen, in nicht wenigen anderen Fällen geht es allerdings um (lebens-)gefährliche Gewalttaten.
Ist das schon ein Grund zum Verzweifeln? Man will’s niemandem verdenken. Aber »Volkstheater« spart die logische Konsequenz aus dem rechten Feindbild Kunst nicht aus: Irgendetwas müssen diese Künstlerinnen und Künstler, wenn sie den Hass von rechtsaußen auf sich ziehen, doch richtig machen. Dabei stellt Laudenbach auch klar, dass es nicht nur sogenannte politische Kunst ist, die Gegenwind hervorruft, sondern es ist die Kunst schlechthin, die sich Vereinfachungen und Vereindeutigungen entzieht, die den Furor der Faschisten entfacht. Ein gutes Zeichen etwa für die Theater, deren gesellschaftliche Relevanz, nicht zuletzt von Theatermachern selbst, hinterfragt werde, meint Laudenbach.
Auch den minutenlangen Applaus, mit dem der Intendant des Berliner Friedrichstadtpalastes bedacht wurde, nachdem er sich für eine Verzögerung der Vorstellung aufgrund einer Bombendrohung entschuldigt hatte, interpretiert der Autor als eindeutiges Zeichen: »Nehmt das, rechte Nervensägen.« Wenn das nicht Hoffnung schürt!
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