Linke in Brandenburg: AfD mit Populismus bekämpfen

Brandenburgs Linke überlegen, was sie vor der Landtagswahl gegen den Rechtsruck tun können

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

Im thüringischen Sonneberg gewann die AfD dieses Jahr die Landratswahl. Im brandenburgischen Landkreis Oder-Spree konnte dies knapp verhindert werden. Noch stellt die AfD im Berliner Umland keine Landräte und keine Bürgermeister. Doch nächstes Jahr sind erst Kommunalwahlen in Brandenburg und dann Landtagswahlen. Nach der jüngsten Umfrage von Juli steht die AfD bei 28 Prozent und damit klar vor der SPD von Ministerpräsident Dietmar Woidke, der nur 21 Prozent prognostiziert werden. Bei der Landtagswahl 2019 hatte die AfD 23,5 Prozent erzielt.

Wie umgehen mit dem Rechtsruck? Das ist die große Frage am Freitagabend beim Stammtisch der brandenburgischen Linken. Etliche Genossen aus verschiedenen Teilen des Landes haben sich per Videokonferenz zusammengeschaltet, um darüber zu beraten. Es ist ein sehr nachdenkliches Treffen, bei dem immer neu überlegt und gefragt wird. Die Situation ist zu ernst, um es sich mit den Antworten leicht zu machen. Ein Stadtverordneter geht sogar so weit, über etwas nachzusinnen, das eigentlich tabu ist: das Abstimmungsverhalten. Anträge der AfD werden grundsätzlich abgelehnt, so lautet die Regel. Was aber, wenn diese Partei in einer Sachfrage etwas fordert, das sich die Linksfraktion schon lange wünscht, wie beispielsweise kostenloses Schulessen. Und solche Anträge werden in den Monaten bis zur Kommunalwahl haufenweise von der AfD gestellt werden, um die anderen Parteien vorzuführen, erwartet der Stadtverordnete. Wie sich nun dazu verhalten?

Für Daniel Jacobi ist das in verschiedener Hinsicht keine Frage. Erst einmal ist er Mitarbeiter der Linksfraktion im Landtag, aber weder Stadtverordneter noch Gemeindevertreter. Er kann also gar nicht in eine solche Zwickmühle geraten. Sich dessen bewusst, sagt Jacobi: »Eine Zustimmung zu Anträgen der AfD ... Würde ich nie machen!« Er würde, wenn er in die Lage käme, einen eigenen Antrag zum Schulessen stellen und den Bürgern erklären, was die AfD bezweckt.

Jacobi hält beim Stammtisch den einführenden Vortrag und stützt sich dazu auf verschiedene Studien. Sein verblüffendes Fazit: »Eigentlich haben wir keinen Rechtsruck.« Zwar stimmten im vergangenen Jahr 26 Prozent der Ostdeutschen der These zu, »Was Deutschland jetzt braucht, ist eine starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert«. 24 Prozent meinten, oberstes Ziel der Politik müsste es sein, Deutschland wieder die Macht und Geltung zu verschaffen, die ihm zustehe.

Dabei sind das nur die Befragten, die das ganz und gar so sehen. Es kommen beispielsweise bei der Frage von Macht und Geltung noch 30 Prozent dazu, die da nicht ganz so entschieden sind, aber dazu neigen, dem ebenfalls zuzustimmen. 14 Prozent wünschen sich »einen Führer«, und 7 Prozent glauben, »der Führer« Adolf Hitler würde heute als großer Staatsmann gelten, hätte er bloß das mit der Judenvernichtung gelassen. So schlimm hat der ganz krasse Neofaschismus dann doch nicht um sich gegriffen – so weit wollen viele nicht gehen. Aber bei nationalistischen Aussagen gehen sie bedenkenlos mit.

Das ist schlimm, aber nicht erst seit gestern. Die Zahlen sind im Vergleich mit einer gleichlautenden Befragung aus dem Jahr 2006 nicht gestiegen, teils sogar leicht gesunken. Rechte Einstellungen wären demnach damals unter den Ostdeutschen mehr verbreitet gewesen als heute. »Ich war selbst überrascht«, gibt Daniel Jacobi zu. Ein wenig Hoffnung macht: »95,5 Prozent der Brandenburger sagen: Demokratie als Idee ist top.« Mit der Demokratie, wie sie von ihnen erlebt wird, sind zwar nur 44,5 Prozent zufrieden, allerdings haben sich diese Werte nicht wirklich verschlechtert.

Kein Rechtsruck? Wie Jacobi das unter Berufung auf irgendwelche Studien glauben kann, versteht die Landtagsabgeordnete Andrea Johlige (Linke) nicht. Was sich in den zurückliegenden Wochen und Monaten ereignete, spreche doch eine deutliche Sprache. Johlige erinnert an die Lehrer Laura Nickel und Max Teske, die Ende April öffentlich machten, was sie an ihrer Grund- und Oberschule in Burg im Spreewald erleben mussten: Da habe ein Schüler einem Sportlehrer den Hitlergruß gezeigt. Im Winter seien Hakenkreuze in den Schnee gezeichnet worden. Mitschüler mit Migrationshintergrund seien bedroht worden.

Mitte Juli kam dann heraus, dass Nickel und Teske, nachdem sie und ihre Angehörigen bedroht wurden, um ihre Versetzung gebeten haben und die Schule auch deswegen verlassen, weil sich nichts ändert.

»Zwei Lehrer sagen: Wir haben in unserer Schule ein Problem. Und gehen müssen die Lehrer.« So fasst es die Abgeordnete Johlige bitter zusammen. Da habe die AfD »gewonnen«. Anders könne man das nicht nennen. Damit nicht genug: In Lieberose wurde eine Roma-Familie derart angefeindet, dass sie die Segel gestrichen habe und jetzt in einem Obdachlosenasyl in Berlin-Marzahn leben müsse. »Wir müssen uns fragen: Was passiert hier gerade?« Vielleicht sei die bedrückende Entwicklung mit Studien zu rechten Einstellungen, zumindest mit den herkömmlichen Methoden, nur einfach nicht messbar.

Existenzängste und grassierende Armut sieht Johlige als eine mögliche Ursache dafür, dass sich immer mehr Menschen der AfD zuwenden. Verantwortlich dafür seien wohl auch »massive Verunsicherung und eine Politik, die den Eindruck macht, dass sie die Probleme des Einzelnen weder sieht noch löst«. Die oppositionelle Linke habe die Armut zwar im Blick, aber sie bekomme keine Aufmerksamkeit, werde schlicht nicht mehr wahrgenommen mit ihren Positionen.

Zu dieser Einschätzung passt eine Zählung der ehemaligen Landtagsabgeordneten Margitta Mächtig (Linke), derzufolge es 92,8 Prozent negative Meldungen über ihre Partei gibt und nur 1,2 Prozent positive, wobei als »positiv« schon zu gelten habe, wenn in einer Tageszeitung oder Nachrichtensendung die Positionen der Linken sachlich vorgestellt werden und nicht bloß über innerparteiliche Querelen berichtet wird.

Doch wie nun könnte die AfD wirksam bekämpft und deren Wahlergebnis zurechtgestutzt werden? Daniel Jacobi weiß einen Weg, der keiner ist: der dänische. Das bedeutet, keine Flüchtlinge mehr ins Land zu lassen. Aber es wäre ein Verstoß gegen die humanistischen Grundprinzipien der Sozialisten.

Die Abgeordnete Johlige findet, man müsste den Wählern klarmachen, dass Die Linke anders ist als andere Parteien und nicht alles »eine Soße« sei, wie die AfD behaupte, um sich als einzige wahre Opposition hinzustellen. Aber das zu verdeutlichen, sei schwierig. »Vielleicht müssen wir ein bisschen populistischer werden«, überlegt Johlige. »Aber darin liegt auch eine Gefahr.« So wird das Thema stundenlang besprochen. Doch ein Patentrezept hat niemand.

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