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Die WM der Fußballerinnen wird zum Signal des Empowerments

Es gibt ein großes Vermächtnis der Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen, auch wenn es einige Männer aus Spanien vielleicht noch nicht verstanden haben

  • Frank Hellmann, Sydney
  • Lesedauer: 5 Min.
Sam Kerrr wurde zum generationenübergreifenden Star in Australien und führte ihr Team bis ins WM-Halbfinale.
Sam Kerrr wurde zum generationenübergreifenden Star in Australien und führte ihr Team bis ins WM-Halbfinale.

Es war schon weit nach Mitternacht, als Jorge Vilda die Gesänge aus der Kabine nachmachen sollte. Der Weltmeistertrainer lächelte ein wenig gequält, dann presste er einige »Campeones, Campeones«-Verse hervor, was aber irgendwie hölzern klang. In den sozialen Medien hatte sich längst der erste Sturm der Entrüstung entladen, obwohl beschwingte Spanierinnen gegen zu biedere Engländerinnen das Finale dieser Weltmeisterschaft hochverdient 1:0 gewonnen hatten. Aber warum bloß sagte der Nationalcoach im weltweit ausgestrahlten TV-Interview: »Somos campeones del mundo!« Wir sind Weltmeister. Die Universitätsprofessorin Laura Redondo zürnte auf der Plattform X, die früher Twitter hieß: »Somos CampeonAs, en femenino. Son mujeres, no hombres. Es alucinante.« Also: Weltmeisterinnen, in weiblicher Form. »Sie sind Frauen, keine Männer. Das ist unfassbar.«

Weitere Misstöne produzierte die Siegerehrung, als Spaniens Verbandspräsident Luis Rubiales mit beiden Händen den Kopf von Stürmerin Jennifer Hermoso griff, um der zuvor von ihren Emotionen überwältigten Führungsspielerin rasch einen Kuss auf den Mund zu drücken. Es gibt Männer, die haben immer noch nicht verstanden, um was es geht. »Hat mir nicht gefallen«, richtete die 33-Jährige später aus. Da hatte der Chef der Real Federación Española de Fútbol (RFEF) die heimliche Chefin der »Seleccion« also gegen ihren Widerstand gebusselt.

Zwar versuchte Hermoso später noch mal zu beschwichtigen, als sie den Kuss als »spontane gegenseitige Geste aufgrund der großen Freude« bezeichnete. Rubiales und sie hätten ein großartiges Verhältnis zueinander. Diese »natürliche Geste der Zuneigung und Dankbarkeit« solle doch bitte nicht überbewertet werden. Dennoch: Der Verbandschef verhielt sich ähnlich instinktlos wie bei der Männer-WM der Emir von Katar, als Tamim bin Hamad al-Thani dem Triumphator Lionel Messi ein schwarzes Gewand mit Goldrand überwarf. Warum kann die Bühne nicht denjenigen gehören, die es verdienen?

Dass in der größten Stunde der »La Furia Roja« die Tonalität nicht passte, war auch bei Vildas letzter Audienz im Australia Stadium offenkundig. Nach viel Palaver schnappte sich der 42-Jährige die Goldmedaille, streifte sie über seinen Pullover und empfing am Absperrband noch Umarmungen von zwei Journalisten, die ihm wohlgesonnen sind. Interessanter, wer ihn nicht herzte: Keine Spielerinnen stürmten die Medienrunde, wie das 2015 und 2019 noch geschah, als US-Trainerin Jill Ellis bei diesen Anlässen wie ein begossener Pudel auf dem Podium saß, weil ihre Spielerinnen sie mit Getränken überschüttet hatten. Eine innige Verbindung, die einst die US-Weltmeistertrainerin zu ihnen aufbaute, besteht bei den Nachfolgerinnen nicht.

Dsa Talent der Spanierinnen hat aber auch Ellis gefallen. Als Leiterin der Technischen Studiengruppe hatte die 56-Jährige schon während des Turniers von der aus ihrer Sicht »phänomenalen Entwicklung« im Frauenfußball geschwärmt. Auch Fifa-Präsident Gianni Infantino hatte natürlich wieder die »spektakulärste, größte und beste WM aller Zeiten« gesehen – aber diesmal wirkte das beim Schweizer Chef des Fußball-Weltverbands gar nicht so übertrieben wie sonst. Die fast zwei Millionen Stadionbesucher, rund zwei Milliarden Zuschauer an den elektronischen Endgeräten – beides Rekordwerte – sind nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen steht ein nicht in Zahlen messbares Gefühl innerer Zufriedenheit, ja sogar Glück. Getragen von der Gelassenheit, Friedfertigkeit und insbesondere Gastfreundlichkeit ist in Australien und Neuseeland ein Turnier abgelaufen, dessen verbindendes Grundrauschen ein Vorbild für alle Sportveranstaltungen sein könnte.

In beiden Ländern bot der Fußball gute Unterhaltung und eine nette Abwechslung – nicht mehr und nicht weniger. Dass Australiens Fußballerinnen wie die Surfer am Bondi Beach eine perfekte Welle erwischen würden, die sie bis ins Halbfinale spülen würde, sorgte in Down Under für eine betörende Stimmung. Am Vermächtnis änderte das verlorene Spiel um den dritten Platz gegen Schweden (0:2) nichts.

»Wir haben einen schlafenden Riesen geweckt«, sagte Sportministerin Anika Wells. »Australien ist jetzt ein Fußballland.« Die WM habe insgesamt den Blick auf den Frauensport verändert. Sie hätte nie gedacht, dass die Starstürmerin Sam Kerr (»Wir wollen etwas Nachhaltiges schaffen«) einmal dieselbe Vorbildrolle wie die Leichtathletik-Ikone Cathy Freeman einnehmen würde, »aber jetzt werden sich die Kinder auch an sie noch in 40 Jahren erinnern«.

Mehr als elf Millionen Australier vor den Fernsehern beim Halbfinale gegen England waren Allzeitrekord für eine TV-Übertragung. Im Land leben ja nur rund 25 Millionen Menschen. Die Regierung versprach sogleich umgerechnet 118 Millionen Euro in die Verbesserung der Fußball-Infrastruktur zu stecken. Bald würden viel mehr Mädchen als Jungs kicken. Die Basis ist schon jetzt größer als im Rugby, Australian Football oder Cricket zusammen.

Auch in Neuseeland ist etwas geblieben, wie Fifa-Frauenfußballchefin Sarai Bareman erzählte. Die Neuseeländerin berichtete von ihren 13 Neffen, die vor der WM ausschließlich an Rugby interessiert gewesen seien – bis sie beim Tor von Hannah Wilkinson im Eröffnungsspiel für Neuseeland mitjubelten. »Nicht für einen Rugbyspieler, sondern für eine Fußballspielerin!« Bareman kullerten bei der Erzählung sogar Tränen über die Wangen. Das Ringen um Respekt, Anerkennung und Gleichberechtigung wirkt langsam und wird so schnell nicht wieder aufhören.

Beim Abschlusskongress der Fifa machten gerade Rednerinnen aus Botswana, Sudan oder Saudi-Arabien an bewegenden Beispielen deutlich, dass es mehr solcher Pflöcke für den gesellschaftlichen Wandel braucht, denn der Weg in ihren Ländern wirkt teils noch unendlich weit. Die Fifa fordert von jedem Mitgliedsverband mittlerweile einen Masterplan, um die Zahl der 16,6 Millionen Spielerinnen zu vervielfachen. Helfen könnte Geld vom Weltverband, der mit dieser WM erstmals die Gewinnzone erreicht hat. Gesamteinnahmen von 570 Millionen Dollar, rund 525 Millionen Euro, ergaben erstmals ein leichtes Plus. Es gebe nicht viele Wettbewerbe, selbst im Männerfußball, so der geschäftstüchtige Fifa-Boss, »die mehr als eine halbe Milliarde einbringen«. Infantino forderte umgehend Partner, Sponsoren und Sendeanstalten auf, künftig »einen fairen Preis zu zahlen«.

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