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Guatemala: Arévalo besiegt Pakt der Korrupten

Sozialdemokrat gewinnt Stichwahl in Guatemala gegen etablierte Kandidatin Sandra Torres

  • Moritz Osswald, Mexiko-Stadt
  • Lesedauer: 4 Min.

Guatemala hat sich entschieden: Hoffnungsträger Bernardo Arévalo gewinnt mit rund 58 Prozent die Präsidentschaftswahlen. Das zentralamerikanische Land füllte die Schlagzeilen mit einem abenteuerlichen Wahlkampf, der Willkür einer korrupten Justiz – und einem Samenkorn an Hoffnung. Dieses Samenkorn ist die Partei Semilla (Samen) des sozialdemokratischen Arévalo, der von Widersacher*innen als Kommunist verschrien wird. Sein zentrales Vorhaben: mit dem »Pakt der Korrupten« zu brechen. Diese winzige Elite zieht die Fäden im politischen Betrieb des Landes, kontrolliert Justiz, Wirtschaft und große Teile der Parteienlandschaft, und die Verkörperung dieses »Pakts der Korrupten« ist Sandra Torres. Sie ist ehemalige First Lady, zum dritten Mal Anwärterin auf die Präsidentschaft und Vertreterin eines ultrakonservativen Weltbilds. Torres wirft Arévalo vor, das Land in ein weiteres Venezuela konvertieren zu wollen. Ihre Partei UNE (Nationale Einheit der Hoffnung) ist in der zweiten Wahlrunde am Sonntag auf gut 37 Prozent gekommen.

»Heute nehmen wir mit großer Demut den Sieg an, den uns das guatemaltekische Volk gegeben hat. Die Wahlurnen haben gesprochen … und was das Volk schreit, ist ›Genug von so viel Korruption‹«, sagte Arévalo in seinen ersten Erklärungen als gewählter Präsident und wiederholte damit sein wichtigstes Wahlversprechen: den Kampf gegen die Korruption, die Guatemala zersetzt. »Wir werden eine Regierung schaffen, die für alle Guatemalteken da ist, die sich um alle Familien kümmert«, sagte er.

Vokabeln wie schicksalhaft, wegweisend oder historisch sind für die Stichwahl vergangenen Sonntag nicht übertrieben. Die bevölkerungsreichste Nation Mittelamerikas sah sich in der Entscheidung zwischen Sandra Torres und Bernardo Arévalo tatsächlich vor einer bisher unbekannten Dualität: Alt gegen Neu, Gut gegen Böse, Status quo gegen Neuanfang. Der progressive Arévalo verspricht einen Bruch mit dem korrupten politischen System. Er bezeichnet sich als »Anti-Korruptionskandidat«. Eine Auflösung des Pakts der Korrupten also. Mehr staatliche Einbindung in die Wirtschaft und das Ja zum Recht auf Abtreibung unterscheiden ihn zudem grundsätzlich von seiner Widersacherin Sandra Torres. Die sieht das ganz anders, denn ihre ultrakonservative Haltung leitet sie aus der Bibel ab, auch was gleichgeschlechtliche Ehen angeht: »Die Bibel sagt: ›Adam und Eva‹, nicht ›Adam und Estebán‹«, so Torres live im guatemaltekischen Fernsehen. Die »traditionelle Familie« sei in Gefahr, erklärt die 67-Jährige in einem Wahlwerbespot.

Voraus ging dieser turbulenten Stichwahl eine politische Hetzjagd, wie sie bisher noch nie zu beobachten war: Unter fadenscheinigen Vorwänden verbot das guatemaltekische Verfassungsgericht zunächst das aussichtsreiche Kandidatenduo Jordán Rodas und Thelma Cabrera der linken MLP (Bewegung zur Befreiung der Völker). Deren erklärtes Ziel: der Bruch mit den korrupten Kreisen der Elite Guatemalas. 1992 als sozialpolitische Bewegung geboren, starteten sie mit ländlichen Komitees. 2019 nahm die MLP erstmals an Wahlen teil und erlebte einen »geradezu kometenhaften Aufstieg«, so Juan Antonio Fernández, MLP-Kandidat für den Hauptstadtdistrikt.

Das Verbot der MLP spielte Arévalos Partei gewissermaßen in die Hände – viele frustrierte Wähler*innen gaben ihre Stimme schließlich Semilla. Fernández kritisiert die massiven Eingriffe der kooptierten Justiz in Guatemala: »Der Schiedsrichter, also das Wahltribunal TSE, greift als Unparteiischer in das Spiel ein und disqualifiziert Mitspieler, ändert nach Lust und Laune die Regeln.«

Die korrupte Machtelite versuchte denselben Schachzug einfach nochmal. Mehrere Umfragen sahen Arévalo bereits vorab mit mehr als 60 Prozent Zustimmung als potenziellen Sieger. Und das trotz gerade einmal 13 Prozent im ersten Wahlgang. Dies reichte jedoch für den zweiten Platz hinter Torres. Also ließen sie die Bombe platzen und gingen juristisch gegen Arévalo vor. Aufgrund vermeintlich ungültiger Unterschriften bei der Einschreibung der Semilla-Partei wollte ein Wahlgericht die Teilnahme der linken Kraft verhindern. Arévalo sprach von einem »technischen Staatsstreich«. Der internationale Druck auf die korrupte Justiz war enorm. Arévalo durfte schließlich weiter kandidieren.

Das bedeutet allerdings nicht, dass der Spuk vorbei ist: Denn trotz bestätigter Präsidentschaft könnte die Repression nach der Wahl weitergehen. Das liegt vor allem an zwei zentralen Personalien. Die heißen Consuelo Porras und Rafael Curruchiche. Porras ist Guatemalas Generalstaatsanwältin – und seit Mai 2022 auf einer US-Sanktionsliste wegen »signifikanter Korruption«, allem voran bei der Behinderung der Antikorruptionsermittlungen im Land. Curruchiche ist ironischerweise Kopf der Sonderstaatsanwaltschaft gegen die Straflosigkeit und gilt als ebenso korrupt.

Für den »Pakt der Korrupten« ist allein schon Arévalos Nachname gefährlich. Denn der Soziologe ist Sohn des ersten demokratisch gewählten Präsidenten Guatemalas, Juan José Arévalo (1944-51). Guatemala hat mit Arévalo einen großen Schritt Richtung Re-Demokratisierung getan. Um das kaputte Justizsystem und die grassierende Korruption effektiv zu bekämpfen, bräuchte es jedoch ein Relikt der Vergangenheit – und zwar die Cicig, die Internationale Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala. Es war die einzige Institution, die wirklich massive Fortschritte erzielen konnte. Bis sie 2019 aus dem Land geworfen wurde. Arévalo lobt zwar deren Arbeit, will ihr Mandat jedoch nicht erneuern. Das lässt einige Fragezeichen offenstehen.

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