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  • Ausstellung »Die Künstlerkolonie Nidden auf der Kurischen Nehrung«

Wo einst der »Kampf der Stile« tobte

Das Kunstmuseum Schwaan in Mecklenburg-Vorpommern widmet sich der Künstlerkolonie Nidden

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.
Bruno Bielefeld, der hier die »Kurische Nehrung mit mächtiger Düne und Boot« einfing, war eigentlich auf Darstellungen Alt-Berlins spezialisiert.
Bruno Bielefeld, der hier die »Kurische Nehrung mit mächtiger Düne und Boot« einfing, war eigentlich auf Darstellungen Alt-Berlins spezialisiert.

Die Zeit der Künstlerkolonien scheint endgültig vorbei. Warum eigentlich, wo es doch immer mehr Künstlerkollektive gibt, die gemeinsam Werke erschaffen? Viele Berliner, oft gerade Künstler, suchen sich ein Refugium in der Uckermark – aber eine Künstlerkolonie ist dort nicht entstanden.

Was war der besondere Geist früherer Künstlerkolonien? Die bekanntesten in Deutschland waren etwa Worpswede, Ahrenshoop, Dachau oder Murnau. Weniger bekannt ist Schwaan bei Rostock. Den Malern ging es darum, gemeinsam Zeit zu verbringen, zumeist den Sommer – und im Freien zu arbeiten.

Der Geist der Freiluftmalerei von Barbizon wurde zum Gründungsimpuls dieser Kolonien in ganz Europa Ende des 19. Jahrhunderts. Es waren Kolonien im harmlosen Sinne des Wortes, hier wurde niemand unterworfen. Im Gegenteil, oft waren die Ankömmlinge von einem rousseauistischen Geist geprägt, suchten die Natur, das einfache Leben, ein solidarisches Miteinander. Der ursprüngliche Impuls all dieser Künstlerkolonien ist also ein impressionistischer: Man will neu fühlen und den Augenblick feiern.

Auch Franz Bunke aus Schwaan, später Professor für Landschaftsmalerei an der Kunsthochschule in Weimar, suchte die unverfälschte Natur als Motiv, ebenso wie die freie Gemeinschaft jenseits der akademischen Zwänge. Ihm folgten nach und nach immer mehr Maler nach Schwaan an der Beke.

Die Kunstmühle in Schwaan, an der sich die frühere Wassermühle noch erkennen lässt, ist einer der schönsten Orte, den ich kenne, um Kunst auf eine Weise zu zeigen, die ganz und gar selbstverständlich scheint. Als seien die ausgestellten Bilder im kleinen Park hinter dem Gebäude gewachsen! Natur und Kunst sind hier kaum zu trennen.

So muss es auch um 1900 in Nidden auf der Kurischen Nehrung, damals Ostpreußen, gewesen sein. Der östliche Teil der Ostsee in Litauen ist heute wieder einfacher zu bereisen, aber die einstige Künstlerkolonie scheint dennoch ins Reich der Legenden gerückt. Dabei hatte schon Wilhelm von Humboldt 1809 fasziniert notiert: »Die Kurische Nehrung ist so merkwürdig, dass man sie eigentlich ebenso als Spanien oder Italien gesehen haben muss, wenn einem nicht ein wunderbares Bild in der Seele fehlen soll.«

Hierher kamen sie, um sich zu inspirieren – und die Ausstellung schlägt einen Bogen von Malern verschiedenster Stilrichtungen zu Autoren wie Thomas Mann, der hier ein Sommerhaus besaß. Die Ostsee, imposante Wanderdünen, Fischerboote – und riesige Elche am Strand. Die Elch-Bilder in der Ausstellung sind insofern authentisch. In Berlin sprach man von Nidden meist nur als von der »preußischen Sahara«. Thomas Mann, der sich dort als alleiniger Großschriftsteller fühlen durfte (was ihm 1924 auf Hiddensee im Reiche Gerhart Hauptmanns nicht gelungen war), notiert dann auch: »Die Farbenpracht ist unvergleichlich, wenn der Osthimmel das Feuerwerk des westlichen widerspiegelt.«

Nidden wirkt wie ein Brennglas der Kunstentwicklung – das zeigt diese mit 90 Gemälden, Zeichnungen und Holzschnitten erstaunlich umfangreiche Ausstellung in der Schwaaner Kunstmühle. Anfangs sind es eher klassische Landschaftsbilder, wie Lovis Corinths »Kirchhof in Nidden«, das 1893 entstand. Dann kamen die Impressionisten, bald danach schon die Expressionisten.

Einer von ihnen war Ernst Mollenhauer, der an der Kunstakademie in Königsberg studiert hatte, dann in den USA lebte und 1925 nach Nidden kam, wo er bis 1945 blieb – und noch bis 1939 das verlassene Sommerhaus des emigrierten Thomas Mann behütete. Sein eigenes expressionistisches Werk war inzwischen als »entartet« verboten worden, er hatte Mal- und Ausstellungsverbot.

Vorbei die Zeit, als Mollenhauer ausrufen konnte: »Auf nach Nidden!« Die avantgardistische Kunstszene traf sich dort zu einer Zeit, als man in Deutschland mit dem Wort Expressionismus außerhalb kleiner Zirkel noch kaum etwas anfangen konnte. Einer der damals prominentesten, aber heute kaum noch bekannten Maler war der frühimpressionistische Ernst Bischoff-Culm, der dann im Ersten Weltkrieg beide Hände verlor und sich daraufhin das Leben nahm. Man malte tagsüber und saß abends im Gasthaus Blode, dem Treffpunkt der Nidden-Maler.

Doch mit den Expressionisten Max Pechstein und Karl Schmidt-Rottluff kamen zwei Dresdner »Brücke«-Maler hierher. Und diesen Großstädtern stand keineswegs der Sinn nach Idylle, sondern nach Revolution in der Kunst. Hans Kallmeyer notiert bereits 1909: »Der Kampf der Stile begann: hie Impressionismus, hie Expressionismus ... Die Ansichten wurden immer krasser, sehr zum Schaden der früheren Eintracht.«

Karl Schmidt-Rottluff schuf 1913 den Holzschnitt »Rotes Haus in Nidden«, vielleicht der künstlerische Kulminationspunkt dieser unbedingt sehenswerten Schwaaner Ausstellung. Da scheint eine Landschaft zu explodieren; der »Malerwinkel« rund ums Gasthaus Blode wird Teil einer universalen Apokalypse. Max Pechstein zeigt Badende in einem wie von Blitzen zerrissenen Meer. Das ist der Ursprung, der zugleich wie ein Endpunkt wirkt. Die Expressionisten malten den Krieg, lange bevor er in Erscheinung trat.

Interessanterweise zieht sich der gleiche Bruch zwischen Impressionismus und Expressionismus wie in Nidden auch durch die Schwaaner Künstlerkolonie. Was für ein Sprung von den hellen Sommerlandschaften Franz Bunkes zu den scharfkantigen, oft wie angeschmutzt wirkenden Bildern (manche auf grobem Sackleinen, das durchscheint) des genialischen Alfred Heinsohn, der nach dem Ersten Weltkrieg nach Hamburg ging, dort wüste Hafenbilder malte, schließlich früh und völlig verarmt starb.

Was aus der Künstlerkolonie Nidden wurde? Ernst Mollenhauer sammelte und schützte lange Zeit die dort entstandenen Bilder im Gasthaus Blode. Doch 1945 heizten Soldaten der Roten Armee damit die Sauna: Der Bildbestand der Malerkolonie wurde so fast vollständig vernichtet – die Künstlerkolonie Nidden endete auf bizarre Weise. Warum meint man, den Bildern Pechsteins und Schmidt-Rottluffs dieses drohende Unheil anzusehen?

Erstaunlich ist darum der Umfang der hier gezeigten künstlerischen Zeugnisse aus Nidden (vieles stammt von privaten Leihgebern). An manchen Bildern – so nicht wenigen Ernst Mollenhauers – erstaunt ihr Entstehungsdatum. Mitunter sind sie erst zehn oder zwanzig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg gemalt worden. Das sind dann reine Erinnerungsbilder, bei denen der zeitliche und räumliche Abstand mitgemalt wurde. Die Farben leuchten dunkler, die Kontraste wirken abgemilderter, die Effekte sind weniger grell. Alles scheint im Fluss.

Da schwingt einerseits eine große Trauer mit, andererseits beginnt jenes Traumbild zu leuchten, dem Eduard Mörike den Namen Orplid gab.

»Die Künstlerkolonie Nidden auf der Kurischen Nehrung«, bis zum 10. September, Kunstmuseum Schwaan

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