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Sächsische Landtagswahl 2024: Die Basis wird diesmal nicht Boss
Nur die Landeschefs bewerben sich um die Spitzenkandidatur 2024 bei der sächsischen Linken
Die Frist lief bis Punkt 15 Uhr an diesem Montag. Bis zu diesem Zeitpunkt hätte man sich in der Landesgeschäftsstelle der sächsischen Linken schriftlich für zwei Posten bewerben können, die nach jetzigem Stand nur bedingt Vergnügen versprechen. Es geht um die als Doppelspitze ausgeschriebene Spitzenkandidatur der Partei für die Landtagswahl 2024. Am letzten Tag ging freilich kein überraschender Brief mehr ein. Formal wird das eine »Abstimmungskommission« zwar erst am Donnerstag feststellen, aber sicher ist schon jetzt: Es bleibt bei zwei Bewerbungen, die bereits im Mai unterbreitet wurden. Sie kommen von Susanne Schaper und Stefan Hartmann, die seit 2019 gemeinsam Landesvorsitzende der Partei sind. Offiziell nominiert werden beide von den Delegierten eines Landesparteitages am 5. November, bevor im April dann die Landesliste und das Wahlprogramm beschlossen werden.
Die »einfachen« Genossen können dagegen diesmal nicht mitentscheiden. 2019 hatte die Landespartei unter dem griffigen Motto »Basis ist Boss« den Spitzenkandidaten erstmals per Mitgliederentscheid küren lassen – als Konsequenz daraus, dass es in dem einstmals notorisch zerstrittenen Verband oft Unmut über Personalentscheidungen gab und »wir es oft nicht schaffen, Bewerber mit einem überzeugenden Votum auszustatten«, wie die damalige Landesvorsitzende Antje Feiks formuliert hatte. Das Rezept schien aufzugehen: Rico Gebhardt, bis heute Fraktionschef im Landtag, wurde von der Basis mit 88,7 Prozent zum Frontmann gewählt; fünf Jahre zuvor, als er erstmals das Gesicht der Partei bei einer Landtagswahl war, hatte ihn ein Parteitag nur mit 64 Prozent nominiert. Allerdings hatte die Basisbefragung einen Schönheitsfehler: Es stand nur ein Kandidat zur Wahl. Zuletzt hatte deshalb ein Parteitag entschieden, das organisatorisch und finanziell aufwendige Verfahren nur zu wiederholen, wenn es mehr als einen Bewerber gibt – genauer: mehr als ein Bewerberduo. Im Mai hatte der Landesvorstand beschlossen, mit einer Doppelspitze in die Landtagswahl zu ziehen. In der gleichen Sitzung hatten Schaper und Hartmann ihre Finger gehoben.
Die beiden stehen nun vor einer ausgesprochen schwierigen Aufgabe. Die Landespartei muss bei der für 1. September 2024 angesetzten Abstimmung alles daran setzen, eine Wiederholung des Debakels von vor fünf Jahren zu verhindern. Damals war sie von 18,9 auf 10,4 Prozent abgestürzt. Sie stellt seither nur noch 14 der 119 Abgeordneten im Landtag, verfügt als deutlich kleinere Oppositionsfraktion neben der AfD über wesentlich weniger Durchschlagskraft und hat an Büros und Präsenz in der Fläche stark eingebüßt. Käme es zu einer weiteren Schwächung, wären Arbeitsfähigkeit und politischer Einfluss ernsthaft gefährdet.
Aktuell scheint zumindest ein weiteres Abrutschen nicht zu drohen. In Umfragen wird die Partei bei zehn Prozent geführt und bliebe in Sachsen drittstärkste Kraft, zwar klar hinter CDU und AfD, die Kopf an Kopf bei fast dreimal so hohen Werten liegen, aber knapp vor Grünen und SPD, die seit 2019 mit der CDU regieren. Völlig offen ist aber, welche Auswirkungen die Zerfallsprozesse in der Bundespartei auf die Landespartei und deren Wahlaussichten haben. Auch in Sachsen warben Unterstützer von Sahra Wagenknecht unverhohlen um Unterstützer. Der Landesvorstand forderte deshalb Mitte Juni in einem Brief die Zwickauer Ex-Bundestagsabgeordnete Sabine Zimmerman zum Austritt auf. Kurz danach versicherten alle 19 derzeitigen Abgeordneten der Partei in Land- und Bundestag sowie dem Europaparlament, sie wollten »im Fall einer Neugründung aus dem Umfeld von und mit Sahra Wagenknecht Mitglied der Partei Die Linke und der jeweiligen dazugehörigen Fraktion bleiben«.
Eine Spitzenkandidatur von Schaper und Hartmann ist angesichts dieser heiklen Gemengelage einerseits naheliegend. Schließlich sind sie der personifizierte Versuch, die Partei zusammenzuhalten. Beide rückten nach der Wahlpleite 2019 an die Spitze des Landesverbandes. Damals gab es Rücktrittsforderungen, Resignation und Ratlosigkeit. Um diese und die seit Jahren anhaltenden Zwistigkeiten in der Landespartei zu überwinden, schnürte man ein austariertes Personalpaket und installierte eine Doppelspitze, die zwei Lager vereint. Schaper wurde dem eher traditionalistischen Flügel zugerechnet, Hartmann galt als Reformer. Man wolle »trotz aller Differenzen gemeinsam hinter einer Aufgabe stehen«, sagte Hartmann damals. Seither funktionierte die Zusammenarbeit so gut, dass das Spitzenduo von einem »sächsischen Weg« der innerparteilichen Konfliktbewältigung sprach und diesen der kriselnden Bundespartei empfahl. Das Führungsduo überstand auch schwierige Momente, etwa als Hartmann bei der Aufstellung der Bundestagsliste 2021 in einer Kampfkandidatur um Platz 6 scheiterte.
Andererseits wird es das Duo in einem Wahlkampf, der medial oft auf das Spitzenpersonal zugespitzt wird, nicht eben leicht haben. Die CDU dürfte erneut mit Ministerpräsident Michael Kretschmer antreten, der seit Jahren einen wahren Terminmarathon im Land absolviert und dank regelmäßiger kontroverser Äußerungen auch bundesweit bekannt ist wie der sprichwörtliche bunte Hund. Bei der SPD gilt die beliebte Sozialministerin Petra Köpping als aussichtsreichste Aspirantin, die Grünen wollen mit ihren beiden Ministern und der Fraktionschefin antreten, die AfD bietet den langjährigen Landes- und Fraktionschef auf. Derlei politische Schwergewichte sind die designierten Spitzenkandidaten der Linken bisher nicht. Hartmann, sehr eloquent und Mitarbeiter des scheidenden Bundestags-Fraktionschefs Dietmar Bartsch, ist bisher landespolitisch ohnehin kaum in Erscheinung getreten. Schaper genießt zwar einen guten Ruf als fleißige Sozialpolitikerin im Landtag; in Chemnitz führt sie zudem die Ratsfraktion und wäre 2021 fast Sozialbürgermeisterin geworden, wenn ein Los das nach Stimmengleichheit bei der Wahl nicht verhindert hätte. Auch ihre Bekanntheit reicht aber nicht an die von Ministern heran.
Hartmann und Schaper sind dennoch zuversichtlich. Sie wollten »einen Wahlkampf führen, der die ganze Partei als Team vereint«, sagten sie am Montag. Die Gemeinsamkeiten in der Partei seien deutlich größer als die Unterschiede. »Diese Einigkeit«, erklärte das Spitzenduo, »wollen wir betonen und müssen wir nach außen zeigen.«
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