Schulgeld ist anachronistisch

Freie Wähler und Linke sehen den Staat bei den Pflege- und Erziehungsberufen in der Pflicht

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: 4 Min.

Unter der Überschrift »Fachkräftemangel in Engpassberufen wirksam und gezielt bekämpfen« fordert die Oppositionsfraktion der Freien Wähler im Landtag erhebliche Unterstützungsmittel des Landes. Als Engpassberufe gelten dabei medizinische und Pflegeberufe, Gesundheitsberufe sowie auch der Erzieherberuf.

Fraktionschef Péter Vida sagte, die Ausbildung erfolge vielfach über einen kostenpflichtigen Besuch schulischer Einrichtungen. »Doch für viele Jugendliche ist das unattraktiv.« Junge Menschen strebten danach, mit dem Lehrlingsgeld über ein erstes Einkommen zu verfügen, und nicht danach, für die eigene Berufsausbildung auch noch Geld hinzulegen. Dies habe einen »abschreckenden Effekt«. Wer erreichen wolle, dass diese wichtigen Berufe mittelfristig keine
Engpassberufe mehr seien, »der muss hier Änderungen herbeiführen«.

Die Freien Wähler schlagen daher vor, dass das Land Brandenburg in einem
ersten Schritt das Schulgeld für jene Berufe übernimmt, die von der Bundesagentur für Arbeit als »Engpassberuf« ausgewiesen werden. Das soll für den Fall gelten, dass dieses Schulgeld nicht von Dritten übernommen wird. Gleichzeitig soll diesen Azubis ein Lehrlingsgeld gezahlt werden, vergleichbar mit dem Entgelt in anderen Ausbildungsberufen. Eine gleichlautende Regelung soll für Menschen gelten, die sich auf solche bislang unattraktiven Berufe umschulen lassen wollen.

Vida geht davon aus, dass rund 6000 Menschen in der beschriebenen Weise unterstützt werden müssten. Das Land würde das jährlich 54 Millionen Euro kosten, rechnete er vor. Im Gegenzug müssten sich die Zuwendungsempfänger verpflichten, mindestens fünf Jahre in dem erlernten Beruf an einem Ort in Brandenburg tätig zu sein.

Die ebenfalls oppositionelle Linksfraktion findet den Gedanken grundsätzlich richtig. Der Fraktionsvorsitzende Sebastian Walter sagte, auch die Ausbildungsvergütung müsste auf diesem Wege abgesichert werden. Er schlug vor, dass soziale Träger und Wirtschaft einen Fonds bilden, aus dem diese Vergütung den Auszubildenden in Erziehungs- und Pflegeberufen erstattet würde. »Auch sie müssen sich das Wohnen und das Leben leisten können«, sagte Walter.

Der Landtagsabgeordnete Philip Zeschmann (Freie Wähler) teilte mit, dass brandenburgische Lehrlinge im ersten Lehrjahr durchschnittlich 620 Euro Lehrlingsgeld im Monat erhielten, im zweiten Lehrjahr 730 Euro und im dritten Lehrjahr 840 Euro. Das Land Berlin habe bekannt gegeben, das Schulgeld für Engpassberufe zu übernehmen. Dadurch entstehe für Brandenburg zusätzlicher Druck. Wer als Brandenburger einen solchen Beruf erlernen wolle, könnte nach Berlin pendeln, um das zu tun und dort dafür kein Schulgeld entrichten zu müssen.

Neben der Verteuerung von Energie und Material sei der Fachkräftemangel seitens der Industrie- und Handelskammer als Haupthindernis für die wirtschaftliche Entwicklung Brandenburgs eingestuft worden, erinnerte Zeschmann. In diesem Stadium reiche es nicht mehr, dass die rot-schwarz-grüne Landesregierung mechanisch ihre »Fachkräftestrategie« fortschreibe. »Papier ist geduldig«, so der Abgeordnete.

Es sei anachronistisch, von den Auszubildenden in Pflegeberufen Schulgeld zu verlangen und ihnen kein Lehrlingsgeld zu zahlen, sagte Zeschmann. Doch weil die Ausbildung von privaten Trägern angeboten werde, sei dies immer noch üblich. Das koste die Schüler rund 3000 Euro im Jahr. Inzwischen werde die Ausbildung zum Teil auch staatlich organisiert in Oberstufenzentren durchgeführt. Dort werde zwar kein Schulgeld gefordert. Aber wenn es kein Krankenhaus, kein Seniorenheim und keinen Pflegedienst gebe, der die Schüler dorthin delegiere, bekämen diese auch keine Ausbildungsvergütung gezahlt. Es liege auf der Hand, dass ein solcher Nachteil sich negativ auf die Berufswahl auswirke und »abschreckend wirken kann«.

Aber es sind ohnehin zu wenige Bewerber für die vielen freien Stellen in allen möglichen Branchen da. Eine solche Zuwendung für Pflege- und Erziehungsberufe würde also wahrscheinlich lediglich dazu führen, dass dann Ausbildungsplätze in anderen Branchen nicht besetzt werden. Zu diesem Einwand sagte Fraktionschef Vida, kurzfristige Maßnahmen in besonders dringenden Bereichen seien gefragt. Das bedeute nicht, dies als grundsätzliche Lösung für das gesamte Fachkräfteproblem auszugeben.

Zeschmann ergänzte, man werde das Gesamtproblem des Fachkräftemangels »nicht von heute auf morgen beheben«. Der Geburtenknick nach 1990 habe dafür gesorgt, dass heutzutage viel weniger Schulabgänger dem Ausbildungsmarkt zur Verfügung stünden. »Wir können uns diese Lehrlinge nicht backen.« Deshalb müssten Maßnahmen her, um in Bereichen mit dem größten Mangel kurzfristig Abhilfe zu schaffen. Schon reduziere sich wegen Personalmangels das Angebot an Pflege. Und schon sei die Sicherstellung der Kinderbetreuung in den Krippen und Kindergärten oft nur noch um den Preis gegeben, dass die Gruppenzahl unvertretbar hoch sei. Das setze auch der pädagogischen Arbeit Grenzen, erinnerte der Abgeordnete.

Pro Jahr gingen 1600 Lehrer in Pension, aber lediglich 1000 Studienplätze würden an der Potsdamer Universität vorgehalten, tadelte Zeschmann außerdem noch. Er erinnerte daran, dass seit 1990 SPD-Politiker die Bildungspolitik in Brandenburg bestimmten. Angesichts der Kritik seitens der CDU, die von 33 Jahren Bildungsversagen in Brandenburg sprach, sagte Fraktionschef Vida, 15 Jahre davon sei die CDU auch in Regierungsverantwortung gewesen.

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