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Neu im Kino »L'amour du monde«: Die Schönheit des Zufalls

Regisseurin Jenna Hasse erzählt in »L’amour du monde« eine unaufgeregte Coming-of-Age-Geschichte

Drei Freunde für einen Sommer: Margaux (Clarisse Moussa, rechts), Juliette (Esin Demircan, Mitte) und Joël (Marc Oosterhoff, links)
Drei Freunde für einen Sommer: Margaux (Clarisse Moussa, rechts), Juliette (Esin Demircan, Mitte) und Joël (Marc Oosterhoff, links)

Die Sommer in der Jugend waren, sind besondere Sommer. Nicht mehr Kind und daher nicht mehr ganz so sorglos, aber auch noch nicht erwachsen, um Urlaub als zwanghaftes Loslassen-müssen zu begreifen. Einen dieser Jugend-Sommer erlebt die »fast fünfzehn«-jährige Margaux (Clarisse Moussa), die diese Zeit der Schwerelosigkeit ganz schön geerdet in einem Praktikum verbringt. Während ihre Freundinnen ihr via Smartphone vom Italien-Urlaub vorschwärmen, fotografiert Margaux den Fernseher ab, in dem gerade eine Strandszene über den Bildschirm flimmert und tut so, als wäre sie auch mitten in der Zerstreuung. Dabei hat sie gerade damit zu tun, die Kinder in dem Heim, in dem sie arbeitet, sinnvoll zu beschäftigen, oder Kindern, die manche neuerdings Systemsprenger nennen, mit Tabletten zum Schlafengehen zu versorgen.

Eines dieser wilden, unberechenbaren Kinder ist Juliette (Esin Demircan). Ihre Mutter ist verstorben und ihr Vater ein cholerischer und unzuverlässiger Typ, der das kleine Mädchen andauernd nur enttäuscht. Es ist eine schöne Idee des Drehbuchs, geschrieben von Regisseurin Jenna Hasse, Nicole Stankiewicz und Julien Bouissoux, dass ausgerechnet die schüchterne und leise Margaux einen Zugang zur impulsiven Juliette findet. Denn die beiden brechen gerne zusammen aus dieser für sie als zwanghaft empfundenen Heim-Situation aus. Die eine, weil es ihre Lebensrealität ist, die andere, weil sie eigentlich viel lieber den Sommer auf Reisen verbracht hätte wie all ihre Freundinnen.

Juliette und Margaux lassen sich treiben von einem Sommer am Genfer See, der so gar nichts mit Luxus und Noblesse zu tun hat, wie es die Villen am Ufer des Wassers vermuten lassen. Ihr Leben ist ein normales, von echten Problemen geleitetes, und daher genießen es die beiden, zusammen für kurze Zeit frei sein zu können. Sie stromern durch die Gegend und lernen den Fischer Joël (Marc Oosterhoff) kennen, der ebenfalls ein Leben im Interludium führt. Eigentlich lebt er als Tauchlehrer in Indonesien und ist nun, nach dem Tod seiner Mutter, in seine alte Heimat zurückgekehrt.

Wumms, da ist es auch schon um Margaux geschehen. Verkörpert Joël doch alles, wonach sich das Mädchen gerade sehnt. Aber »L’amour du monde«, nach dem gleichnamigen Roman von Charles-Ferdinand Ramuz (1928), ist keine Schmonzette über die Tragik der ersten Liebe, sondern eine wunderbar ruhig erzählte Coming-of-Age-Geschichte eines Mädchens, das sich überhaupt nicht sicher ist, was das Leben für sie bereithält. Also ein Film über ein ganz normales Kind.

Der Film beobachtet Margaux dabei sehr behutsam und gibt wirklich überhaupt nichts vor. Auch die Eltern und andere als Korrektiv bestimmte Erwachsene lassen sie machen, was der Story eine angenehme Leichtigkeit verleiht, die uns eben keine zwanghafte »Sei du selbst«-Botschaft aufdrücken will, sondern eher einen Idealzustand beschreibt. Auch die Freundschaft zwischen den drei Protagonist*innen Margaux, Joël und Juliette, die zunächst merkwürdig konstruiert erscheint, weil sie doch ein erheblicher Altersunterschied auszeichnet, ist bei genauerer Betrachtung ein fein geschnürtes Band zwischen Charakteren, die Halt suchen.

Ganz dezent, wie es zur Haupterzählung passt, streut Regisseurin Hasse pointierte Gesellschaftsbeobachtungen ein. Nämlich dann, wenn die randständigen Existenzen der Heimkinder auf die noble Sorgenlos-Welt von Schweizer Internatskindern treffen. Mit denen müssen sich die Kinder aus der Wohngemeinschaft einen Strand teilen. Während die Rich-Kids in kompletter Action-Montur (Kajak, Schwimmwesten, Internats-T-Shirts) jeden Tag der Sommerferien ein neues Highlight von ihren Betreuer*innen präsentiert bekommen, Hauptsache, sie langweilen sich auch keine einzige Sekunde, vertrödeln die Heimkinder den Tag am Wasser, ohne einen echten Plan zu haben. Am Ende aber erleben nur die wirklich was, die es zulassen, dass Dinge einfach passieren, wenn man den Zufall gewähren lässt. Eine schöne Botschaft, die »L’amour du monde«, der auf der diesjährigen Berlinale in der Sektion Generation lief, zu einem schlau erzählten, einfühlsamen Jugendfilm macht, der keine großen Wahrheiten verkündet, sondern nur sagt: Lass dich auf andere ein und das Leben wird dir zeigen, wo es langgeht.

»L’amour du monde«, Schweiz 2023. Regie und Drehbuch: Jenna Hasse. Mit: Clarisse Moussa, Esin Demircan, Marc Oosterhoff. 76 Minuten, Start: 24.8.

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