Der kleinere-Klassen-Kampf an Berliner Schulen

Die GEW-Kampagne für kleinere Schulklassen zieht sich, nun gibt es politische Schützenhilfe

  • Christian Lelek
  • Lesedauer: 6 Min.

Neues Schuljahr, alter Stand: Die Lage an vielen Berliner Schulen ist desolat. Das Bildungsniveau der Schüler*innen sinkt. Lehrkräfte sind seit Jahren Mangelware und ihr Klagen über die Arbeitsbelastung ist regelmäßig auf der Tagesordnung. Mit der Absicht, diesen Problemkomplex aufzubrechen, hatte die Berliner Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) die Kampagne für einen sogenannten Tarifvertrag Gesundheitsschutz (TV Gesundheitsschutz) ins Leben gerufen. Hauptforderung ist, die Klassengrößen sukzessive zu reduzieren.

Das war bereits im Juni 2021. Zwei Schuljahre und 14 Warnstreiks später fehlt nach wie vor etwas Handfestes. Die bisher losen Gespräche zwischen Gewerkschaftsvertreter*innen und Senat lassen auch in näherer Zukunft keine Durchbrüche erwarten. Tatsächliche Verhandlungen über einen Tarifvertrag gab es nie.

Darüber hinaus läuft Ende September der Tarifvertrag für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes der Länder (TV-L) aus. Die Gewerkschaften stellen ihre Mitglieder bereits auf diese Runde ein. Es dürfte schwer werden, währenddessen die Partikularforderungen der Lehrer*innen weiterzutreiben. Immerhin geht es mit dem TV-L um Lohnerhöhungen für knapp 1,2 Millionen Beschäftigte inklusive Lehrer*innen, und das im Angesicht der zurückliegenden Preissteigerungen. Ein TV Gesundheitsschutz beträfe indes rund 34 000 Lehrer*innen.

Die Leiterin des Bereichs Tarifpolitik der GEW, Anne Albers, meint hingegen zu »nd«, dass sich TV-L und TV Gesundheitsschutz nicht entgegenstünden. Während es im TV-L um das Entgelt gehe, würden im TV Gesundheitsschutz kleinere Klassen angestrebt.

Von Anfang an sei klar gewesen, dass die Initiative sich nicht in ein, zwei oder drei Jahren realisieren lasse. Albers sagt: »Das Vorhaben des TV Gesundheitsschutz ist mit das dickste Brett, was man als Gewerkschaft mit einem Tarifvertrag bohren kann.« Ähnlich der Entlastungstarifverträge einiger Krankenhäuser will die GEW den Personalschlüssel tariflich vereinbaren und damit in das sonst den Arbeitgebern überlassene Direktionsrecht eingreifen. Bei Nichtbeachtung sollen Ausgleichsmaßnahmen folgen. Sowohl der Landesschüler- als auch der Landeselternausschuss unterstützen das Vorhaben.

Die Forderung nach kleineren Klassen geht auf eine Mitgliederumfrage aus 2021 zurück, bei der 68 Prozent »große Lerngruppen« als Belastungsfaktor angaben, dahinter rangierte »Personalmangel« mit 47 Prozent.

In diese Richtung deutet auch Ralf Schäfer im Gespräch mit »nd«. Er ist Lehrer für Geschichte, Politik und Latein am Robert-Blum-Gymnasium in Schöneberg. Er sagt: »Viele Kolleg*innen arbeiten in Teilzeit, weil sie eine volle Stelle nicht bewältigen könnten, ohne große Abstriche an der Qualität ihrer
Arbeit zu machen.« Diese Arbeitslast hänge mit der Gruppengröße zusammen.

Auch Schäfer betont die lange Sicht des Projekts der kleineren Klassen. »Uns ist klar, dass das Paradies nicht vom Himmel fällt«, sagt er. Das Tarifziel stehe für eine Forderung nach einer langfristigen Strategie des Arbeitgebers. Daraus müsse hervorgehen, welche Zwischenziele zum Beispiel in fünf Jahren erreicht werden sollen, damit langfristig die Klassen kleiner werden könnten.

»Wir Lehrkräfte brauchen eine klare Zukunftsperspektive, die aus konkreten Maßnahmen besteht. Dann wird es auch einfacher, neue Leute für die Arbeit an den Schulen zu gewinnen«, stellt Schäfer die Verbindung zwischen der Tarifforderung und dem Lehrer*innenmangel her.

Schäfer engagiert sich an seiner Schule mit etwa 20 seiner Kolleg*innen in einer Betriebsgruppe der GEW. An den Streiks hätten sich bis zu 30 Kolleginnen beteiligt. Das Kollegium umfasse rund 80 Beschäftigte, wobei auch Beamt*innen und Referendar*innen eingeschlossen seien, die nicht streiken dürften. »Pädagog*innen haben ein Talent, in langen Zeiträumen zu denken«, meint er mit Blick auf den sich schleppenden Prozess.

Auf die Frage, ob zwei verschiedene Tarifbewegungen miteinander in Konflikt geraten könnten und es eine Hürde darstelle, Kolleg*innen für beide Vorhaben zu organisieren, sagt er: »Die meisten Lehrer*innen haben auch zwei Schulfächer.« Seine Kolleg*innen und er könnten sehr wohl zwischen dem zeitlich begrenzten, bundesweiten TV-L und dem langfristig angepeilten TV Gesundheitsscheitsschutz unterscheiden.

Der Senat zeigte für die Probleme der Lehrer*innen bisher Verständnis. In Gesprächen wurde aber vor allem versucht, Maßnahmen jenseits eines Tarifvertrags zu treffen. Verhandlungen schloss sowohl Finanzsenator Stefan Evers (CDU) als auch dessen Vorgänger Daniel Wesener (Grüne) aus.

Berlin ist Teil des Arbeitgeberverbands der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL). Dort werden Entscheidungen für alle Bundesländer und deren Beschäftigten einheitlich getroffen. Ausnahmen – wie sie eine Regelung für kleinere Klassen wäre – bedürfen der Zustimmung der TdL.

Wie »nd« berichtete, hatte Wesener seinerzeit eine solche Ausnahme beantragt. Sie sei jedoch mit der Begründung abgelehnt worden, dass »Mindestbesetzungsregelungen einer tarifvertraglichen Regelung nicht zugänglich sind«, erklärte Wesener damals der GEW. Eine Anfrage von »nd«, inwieweit sich der amtierende Finanzsenator Evers seinerseits bei der TdL um eine Ausnahme bemühe, blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

Derweil werden die Forderungen politisch von der Berliner Grünenfraktion aufgegriffen. Deren schulpolitischer Sprecher, Louis Krüger, erklärte »nd«, dass bis Ende des Jahres ein Gesetzentwurf vorbereitet werde. Krüger sagt: »Wir wollen eine maximale Klassengröße in das Berliner Schulgesetz schreiben.« Bei Nichteinhaltung sollten zudem Ausgleichsmaßnahmen festgesetzt werden. Für die genauere Ausgestaltung sei man in Beratung, unter anderem mit der GEW.

Von Regierungsseite stand eine Änderung des Schulgesetzes bisher nicht zur Debatte. Die Arbeitsbedingungen sollten vor allem über zunehmende Verbeamtungen verbessert werden. Bislang verläuft der Prozess schleppend: Bis Ende Juli wurden gerade einmal 400 Lehrkräfte verbeamtet, wie Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch bei einer Pressekonferenz am Mittwoch erklärte. 9500 Lehrkräfte hätten eine Verbeamtung beantragt. Die Diskrepanz erklärte sie mit der Überlastung der Personalstelle der Bildungsverwaltung. Beamte profitieren zwar von den Tarifleistungen, dürfen für diese aber selbst nicht in den Arbeitskampf treten.

Neben den tariflichen Errungenschaften der Krankenhausbewegung hat die GEW noch eine Blaupause vor Augen. Albers sagt: »Wir kämpfen auf Landesebene. Das heißt aber nicht, dass der Kampf nur hier geführt werden wird und muss.« Die Einführung der Entgeltstufe 6 im TV-L sei ein Vorhaben gewesen, das zuerst die GEW Berlin angeschoben habe und später dann im TV-L verankert worden sei. Seitdem bekommen langjährig Beschäftigte mehr Geld.

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