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Gleisdreieck-Hochhäuser: Studie hält Verfahren für gescheitert
In Berlin stellt ein neues Rechtsgutachten das umstrittene Neubau-Projekt »Urbane Mitte« von Grund auf infrage
Das Ergebnis, zu dem Philipp Schulte kommt, ist eindeutig. »Aus meiner Sicht ist das Planverfahren gescheitert«, sagt der Jurist am Donnerstag bei der Vorstellung seines Gutachtens in Kreuzberg. »Das Normenkontrollgericht würde den Bebauungsplan für unwirksam erklären. Auf dieser Grundlage kann es nicht zum Beschluss kommen.«
Es geht um nichts Geringeres als eines der umstrittensten Neubauprojekte der Hauptstadt: Sieben Hochhäuser sollen im Rahmen des Projekts »Urbane Mitte« am Rande des Gleisdreieckparks im Berliner Zentrum entstehen. In den Bauten, zwei von ihnen sind mit einer Höhe von 90 Metern eingeplant, sollen Flächen für Sport, Kunst und Kultur, vor allem aber für Büros entstehen. Was sich in den Visionen für die Bebauung des beliebten Parks nicht findet, ist neuer Wohnraum.
Auch deshalb macht die Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck seit 2021 gegen das Großprojekt Stimmung. Das Bündnis warnt vor der Zerstörung des Parks als Erholungsort, bemängelt fehlende Klimaschutzmaßnahmen und kritisiert ein oberflächliches Beteiligungsverfahren für Bürger*innen.
Dass die Pläne in Kreuzberg unbeliebt sind, wissen Land und Bezirk. Doch die Senatsverwaltung fürchtet sich vor Entschädigungszahlungen, die bei Abweichung vom Jahre alten Plan fällig würden. 100 Millionen Euro müssten dann der Bahn-Tochter Vivico Real Estate aufgrund eines städtebaulichen Rahmenvertrags von 2005 zugestanden werden. So zumindest argumentierten Berliner Abgeordnete immer wieder.
Dem widerspricht nun das Rechtsgutachten Schultes, beauftragt von ebenjener Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck und den Naturfreunden Berlin. Der Rechtsanwalt diagnostiziert ein »Schulbeispiel unzulässiger Vorabbindung«. Konkret bedeutet das: Mit dem Abschluss des Rahmenvertrags ist das Land Berlin Verpflichtungen eingegangen, die es eigentlich nicht hätte eingehen dürfen.
In seiner Argumentation verweist Schulte auf das Baugesetzbuch, das wichtigste Gesetz des deutschen Bauplanungsrechts. Demzufolge dürfe eine Gemeinde sich nicht vertraglich dazu verpflichten, einen Bebauungsplan zu erlassen – damit die festgeschriebene Gestaltungsfreiheit der Gemeinde nicht gefährdet wird.
»Um zu einem Abschluss zu kommen, erfordert es erst die Abwägung der unterschiedlichen Interessen«, führt Schulte aus. Erst müsse die Öffentlichkeitsbeteiligung abgeschlossen sein, bevor die vertragliche Bindung an einen Bebauungsplan erfolgen könne. Der offene demokratische Prozess werde »ad absurdum« geführt, wenn Vorgaben bereits vorher ausgehandelt würden. Genau das aber sei beim Projekt am Gleisdreieckpark geschehen. Im Planverfahren fänden sich unzählige Verweise auf den ungültigen Rahmenvertrag.
All das bedeutet laut Schulte nicht, dass städtebauliche Verträge generell nicht zulässig sind. »Man darf Regeln beschließen, die dann gelten sollen, wenn sich die Gemeinde ohne Zwang für einen Plan entschieden hat«, sagt Schulte. Doch: »Es gibt keine Haftung der öffentlichen Hand für enttäuschte Spekulationserwartungen. Das ist eine völlig vermessene und verrückte Vorstellung.« Dass eine Senatsverwaltung dies auch noch mittrage, sei skandalös.
Mit dem Ergebnis des Rechtsgutachtens ist die Mission der Gegenbewegung klarer denn je. Das Aktionsbündnis und die Naturfreunde Berlin wollen gegen den Bebauungsplan »sowohl politisch als auch juristisch« vorgehen. SPD, Grüne und Linke sollten sich das neue Gutachten sehr genau anschauen, so die Botschaft der Initiativen. »Wir freuen uns auf die Auseinandersetzung.«
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