Ines Schwerdtner: Linke als sozialistische Partei wird gebraucht

Die ehemalige »Jacobin« Chefredakteurin über ihre EU-Kandidatur und warum sie sich doch für linke Parteipolitik entschlossen hat

  • Interview: Pauline Jäckels
  • Lesedauer: 5 Min.
Ines Schwerdtner will als linke Kandidatin ins Europaparlament einziehen und für den Erhalt der Partei kämpfen.
Ines Schwerdtner will als linke Kandidatin ins Europaparlament einziehen und für den Erhalt der Partei kämpfen.

»Während die einen unter Kriegen und Krisen leiden, fahren andere riesige Gewinne ein.« Mit diesem Satz startet das Kampagnenvideo für Ihre EU-Kandidatur für die Linkspartei. Ist das Europaparlament der richtige Ort, um daran grundlegend etwas zu ändern?

Ich glaube ja. Das EU-Parlament ist ja immer so ein bisschen unscheinbar, was das angeht. Viele wissen aber gar nicht, wie viel dort eigentlich entschieden wird; dass Deutschland ganz oft EU-Richtlinien folgen muss, wie etwa beim Mindestlohn, in der Energiepolitik oder bei der Übergewinnsteuer. Alles, womit wir uns in den derzeitigen Krisen auseinandergesetzt haben, ist immer auch auf europäischer Ebene politisch gelöst beziehungsweise nicht gelöst worden. In meiner Kandidatur will ich darüber aufklären und fragen: Welche Formen von Steuerregulierung und Umverteilung könnten auf EU-Ebene stattfinden?

Nicht nur die Welt, auch die Linkspartei steckt in einer tiefen Krise. Bräuchte es denn nicht auf der Bundesebene dringend neue, starke Stimmen? Oder sogar noch lokaler im Osten Deutschlands, für den Sie primär antreten wollen?`

Ich habe mich entschieden, dass jetzt der richtige Moment ist und nicht in einem Jahr mit einer Kandidatur für die Bundestagswahl oder eine Landtagswahl im Osten. Bis dahin könnte es zu spät sein: Einerseits gibt es den starken Rechtsruck. Das ist aber eben kein ostdeutsches Problem, sondern ein allgemeines, das auch auf der Europaebene stattfindet. Ich möchte eigentlich eine lokale Verankerung und das, was Genossinnen vor Ort tun, mit dem größeren Bild verbinden. Das ist natürlich eine schwierige Gratwanderung. Andererseits steckt Die Linke in einer existenziellen Krise. Deshalb habe ich entschieden, es muss jetzt sein. Danach ist es vielleicht zu spät.

Interview

Ines Schwerdtner war bis vor wenigen Wochen Chefredakteurin der linken Zeitschrift »Jacobin« und moderiert weiterhin den Podcast »Hyperpolitik«. Jetzt will die Ostdeutsche für die Linkspartei ins Europaparlament einziehen.

Sie haben als Chefredakteurin die linke Zeitschrift »Jacobin« großgezogen. Im vergangenen Herbst hat sich von dort aus auch die Sammlungsbewegung »Genug« gegründet, die dann aber nicht so ganz erfolgreich war. An die große Revolution glauben Sie also nicht mehr? Deshalb jetzt der parteipolitische Weg?

[Lacht]. Also für mich ist das die logische Konsequenz aus all dem, was ich in den letzten Jahren gemacht habe. Weil ich in allen sozialen Bewegungen, in denen ich aktiv war, immer wieder gemerkt habe, an welche Grenzen man stößt, wenn es keine starke sozialistische Partei gibt. Wenn die fehlt, kann man wunderschöne Artikel schreiben und großartige Demos organisieren. Aber wir haben eigentlich keine Macht aufgebaut. Wir brauchen starke und länger währende Organisationen. Das sind für mich Gewerkschaften und Parteien. Die Partei müsste der Ort sein, wo sich ganz viele andere soziale Kämpfe kristallisieren, wo sie zugespitzt werden. Ein Genosse hat vor ein paar Monaten zu mir gesagt: »Ines, wenn die Partei in eine Existenzkrise kommt, dann musst du dir auch die Hände schmutzig machen.« Er hat recht.

Ist Die Linke eine sozialistische Partei nach Ihrem Verständnis?

Ja, das ist sie. Man könnte sie aber in jedem Fall noch klassenkämpferischer machen. Und man könnte auf jeden Fall das, was wir unter Sozialismus im 21. Jahrhundert verstehen, noch mit mehr Leben füllen. Und ich habe eine genaue Vorstellung davon, auch was man noch tun könnte, was man ausprobieren könnte in der Praxis. Überall dort, wo man glaubt, Die Linke wird totgesagt, leistet sie eigentlich total wichtige Arbeit, die konkret Menschen helfen kann. So haben Genossinnen in Stuttgart einen Mietnotruf gegründet. Das sind linke Leuchttürme, über die aber wenig geredet wird, auch weil jetzt alle über diesen Streit in der Linkspartei sprechen.

Ist die EU-Kandidatur für Sie ein Sprungbrett in die linke Parteipolitik, vielleicht danach auf Bundesebene?

Auf jeden Fall. Also ich verbinde auch mit dieser Kandidatur hauptsächlich einen Vorschlag, wie man die Partei aufbauen kann. Einmal geht es natürlich um das Mandat. Der Platz der Linken im EU-Parlament ist enorm wichtig, diese Räume müssen erkämpft werden. Das andere ist die Frage, wie wir den Wahlkampf und die Debatte nutzen können, um wirklich als Linke vor Ort zu sein. Deshalb will ich ja durch den Osten fahren und hauptsächlich vor Ort diejenigen zu treffen, die jetzt vielleicht sagen: »Ich habe keine politische Heimat mehr.« Ich wünsche mir, dass in jedem kleinen Ort die Menschen sehen, es ist nicht alles verloren, es gibt eine linke Alternative.

Um welchen Listenplatz bewerben Sie sich?

Das habe ich noch offen gelassen. Ich respektiere den Vorschlag der Parteivorsitzenden natürlich. Ich schaue mal, wie sich die Dynamik entwickelt. Also ehrlicherweise geht es nicht in erster Linie um den Platz, sondern um das Signal, jetzt reinzugehen.

Im Zuge der EU-Kandidatur von Carola Rackete wurde aus einigen Ecken die Kritik laut, die Linke-Parteispitze wolle vor allem linksprogressive Intellektuelle aus Berlin ansprechen. Typische »Jacobin«-Leser quasi. Wie wollen Sie die Brücke zur klassischeren Arbeiter*innenschaft schlagen, auch inhaltlich?

Ich trete dafür an, wofür auch Die Linke antritt: eine sehr starke antimilitaristische Position und eine sehr starke Position zur Verteilungsfragen und zur sozialen Frage. Ich glaube, wenn man das macht und einfach konsequent vertritt und konsequent eine Politik für die Mehrheit der Menschen und für ihre Interessen eintritt, dass man sich dann diesen blöden Vorwurf von Großstadtmilieu und Landmilieu gar nicht einhandelt. Je konkreter Politik wird, desto weniger geht es um diese abstrakten, komischen intellektuellen Debatten, die da geführt werden.

Bedeutet das auch eine Abkehr von dem, was »Jacobin« ist?

Ich würde es andersherum sehen. Das, was ich immer geschrieben habe, müsste ich jetzt eben auch selbst tun. Wir brauchen Leute, die anpacken, und gleichzeitig ist es immer noch wichtig, dass es sozialistische Zeitschriften gibt, die ja eine ganz andere Funktion erfüllen.

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