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Von Nazis angezündetes Zentrum: Nach 4657 Tagen kehrt Doro zurück
Ein einst von Nazis abgefackelt linkes Jugendzentrum in Limbach-Oberfrohna wurde wieder eröffnet
Im November hat Robert Weis ein Heimspiel. Es ist nach 13 Jahren das erste mit seiner Band »One Step Ahead«, die harten Punkrock spielt und damit schon im ganzen Land Säle zum Kochen brachte. Ungefähr 400 Auftritte hat die dezidiert linke Band aus der sächsischen Kleinstadt Limbach-Oberfrohna absolviert, viele davon in alternativen Jugendhäusern und selbstverwalteten Jugendzentren. »Ich hätte mir immer gewünscht, dass es so etwas bei uns auch gibt«, sagt Weis. Aber das blieb all die Jahre ein Wunschtraum.
Dabei hatten sich Weis und etliche Mitstreiter einst selbst einen solchen Ort geschaffen. Sie hatten 2007 einen linken Jugendverein mit dem etwas sperrigen Namen »Soziale und politische Bildungsvereinigung« gegründet und sich zwei Jahre später den Traum vom eigenen Heim erfüllt. Dass an dem heruntergekommenen dreistöckigen Haus in der Dorotheenstraße 40, das sie mit geliehenem und gespendetem Geld von Eltern und Freunden kauften, der Putz bröckelte und die Fenster kaputt waren, störte sie nicht. Die Makel in der Fassade wurden mit Graffiti übertüncht, und die Fensteröffnungen mussten ohnehin zugemauert oder vergittert werden, um Angriffen der in der Stadt allgegenwärtigen Nazis widerstehen zu können. 2009 eröffnete die »Doro 40«: ein Haus, in dem Bands hätten spielen sollen, in dem es Partys, Vorträge und Filmabende geben sollte und in dem man sich schlicht hätte treffen können, ohne von Glatzen angemacht und bedroht zu werden.
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Ein Jahr später war der Traum vorbei. 2010 ist ein Jahr, für das in einer Chronik des Vereins RAA Sachsen 280 rechte Übergriffe und Vorfälle im gesamten Freistaat verzeichnet sind. Kurz nach Neujahr begann es damit, dass in einem Ort namens Klingenhain die Wohnung einer Sinti-Familie verwüstet wurde. Es endete damit, dass am Silvestertag eine Horde Nazis gewaltsam in die Wohnung eines linken Jugendlichen in Mügeln einzudringen suchte. Dazwischen: Hakenkreuzschmierereien und Pöbeleien, Einschüchterungsversuche und brutale Angriffe. Limbach-Oberfrohna, wo etwa die 2007 verbotene Nazi-Kameradschaft »Sturm 34« aktiv gewesen war und es auch weiterhin organisierte Gruppierungen gab, taucht in der Chronik in jenem Jahr allein neunmal auf. Die Kirche wurde mit der Parole »Odin statt Jesus« beschmiert, auf Fassaden fanden sich Sprüche wie »NS jetzt«, das Parteibüro der Linken wurde angegriffen. Man beließ es indes nicht bei Worten. Im Juni wurde ein Jugendlicher attackiert und mit Bierflaschen malträtiert: »Am Boden liegend, traten die Angreifer weiter brutal auf ihn ein«, heißt es in einem Bericht. Am 11. November, einem Donnerstag, wurden zunächst mehrere Mitglieder der »Bildungsvereinigung« gezielt angegriffen und verletzt. In der Nacht dann stand die »Doro 40« in Flammen. Die Vereinsräume wurden komplett verwüstet. Das eigene Haus – es war für die alternative Szene in Limbach-Oberfrohna vorerst Geschichte.
Knapp 13 Jahre später steht Elli Grobe in einem Durchgang neben dem Veranstaltungsraum der »Doro 40« und lenkt den Blick auf die Türrahmen. Sie sind, wie alle im Haus, mit Kritzeleien versehen; die Farbe ist im unteren Teil vergilbt, ab Schulterhöhe aber verschmort und von Brandblasen überzogen. »Das ist die letzte Erinnerung an den Anschlag«, sagt sie: »Wir wollten, dass sie erhalten bleibt.« Grobe gehört wie Weis zu den Mitbegründern des Vereins; beide haben miterleben müssen, wie ihr Traum in Flammen aufging. »Das steckt einem bis heute in den Knochen«, sagt sie: »Das vergisst man nicht.«
Ansonsten freilich erinnert in der »Doro 40« nichts mehr an die Zerstörung. Die Wände sind frisch verputzt und getüncht, Kabel wurden gezogen, eine Küche eingebaut. Es gibt neue Brandschutztüren, einen Tresen und im größten Raum eine kleine Bühne, die von Lautsprecherboxen und Scheinwerfern gesäumt ist. Hier sollen es im November »One Step Ahead« ordentlich krachen lassen, vor vielleicht 100 Leuten, hofft Weis: »So viele bekommen wir hier herein.« Jetzt steht auf dem Podium noch ein Tisch, auf dem am 12. August ein DJ seine Anlage stehen hatte – bei der Feier zur Wiedereröffnung der Hauses. Nach exakt 4657 Tagen kehrte die »Doro 40« damals nach Limbach-Oberfrohna zurück.
Es ist ein Ereignis, das selbst die größten Optimisten nicht mehr für möglich gehalten hätten. »Zeitweilig standen wir kurz davor, das Haus zu verkaufen«, sagt Elli Grobe. Um überhaupt Räume zu haben, hatte sich der Verein in einem Haus einige Ecken weiter eingerichtet; es gibt dort einen kleinen Infoladen und genügend Platz für Vorträge oder die wöchentliche »Küfa« (Küche für alle). Auch dort waren viele Bauarbeiten notwendig; auch dort musste man sich gegen Nazis verteidigen. 2022 etwa traten einige Rechte einmal die Tür ein und standen mit Totschlägern im Treppenhaus. »Da gab es genug zu tun«, sagt Weis. Zwar wurden Räume für Konzerte schmerzlich vermisst. Aber die Ruine der »Doro« erschien als Großbaustelle, die den Verein überforderte: »Allein der penetrante Brandgeruch wirkte extrem demotivierend.«
Dazu kamen Umbrüche im Verein. Viele derjenigen, mit denen Grobe und Weis diesen einst gegründet hatten, zogen weg. Abwanderung ist in den meisten ostdeutschen Kleinstädten Alltag; die Einwohnerzahl von Limbach-Oberfrohna, das am Stadtrand von Chemnitz liegt, sank allein seit 2008 um fast zehn Prozent auf knapp unter 24 000. Für linksalternative Jugendliche ist die Versuchung wohl noch größer, in Großstädte zu ziehen, in denen sie ihre Lebensentwürfe ungestörter umsetzen können und wo sie für ihre politischen Ansichten nicht permanent angefeindet oder gar körperlich attackiert werden. Zur Eröffnung der »Doro« traf Weis ehemalige Mitstreiter wieder, die inzwischen in »coolen Kiezen« wie Leipzig-Connewitz leben, viel von der Welt gesehen haben, von Gleichgesinnten umgeben sind. Wenn er davon erzählt, wirkt es fast, als würde er melancholisch: »Man hätte es einfacher haben können.« Weis und Grobe aber blieben – und übernahmen damit, wie er formuliert, auch »eine Verpflichtung«: dafür, dass alternative Jugendkultur in der Stadt am Leben erhalten wird. »Die Verantwortung lag ja nur noch auf wenigen Schultern«, sagt Weis: »Da konnten wir nicht auch noch weg.«
Dabei war die Verpflichtung oft auch eine Bürde. Widerstand, Anfeindungen oder bestenfalls Unverständnis gab es ja nicht nur von Nazis, sondern auch von »einfachen« Bürgern in der Stadt und nicht zuletzt von deren Verwaltung. Die »Doro 40« und der Infoladen entsprechen schon vom Erscheinungsbild her nicht unbedingt kleinstädtischen Vorstellungen von Sauberkeit und gepflegter Idylle. Der Tatendrang der Jugendlichen kollidierte zudem regelmäßig mit Anforderungen des Baugesetzbuches. Dass die Stadt die Eröffnung des Infoladens untersagte und zunächst darauf pochte, einen Umnutzungsantrag für das ursprünglich als reines Wohnhaus genutzte Gebäude zu stellen, und dass sie später bei der »Doro 40« Parkplätze im Hof forderte, mochte zwar vom Buchstaben des Gesetzes gedeckt sein. Bei Vereinsmitgliedern weckte das aber das »Gefühl, dass man uns permanent Steine in den Weg legt«, wie Grobe formuliert: »Es schien, als wollten sie nicht, was wir machen.«
Dafür gibt es handfeste politische Gründe. Überfälle wie der Brandanschlag auf die »Doro 40« wurden in Sachsen lange als Teil von »gewalttätigen Auseinandersetzungen« zwischen Jugendlichen verharmlost oder so gedeutet, als habe man es mit »Linksextremisten« zu tun, die kaum besser seien als die Nazis. Derlei Vorbehalte wurden in Limbach-Oberfrohna befeuert, als es nach einem Überfall von Rechten auf den neu eröffneten Infoladen in diesem eine Polizeirazzia gab, bei der angeblich auch Sprengstoff gefunden wurde. Die Meldung stellte sich später als falsch heraus, verfestigte in der Stadt aber das negative Bild der alternativen Jugendlichen. Man habe als »Nestbeschmutzer« gegolten und sei »wie Provokateure behandelt« worden, sagte Elli Grobe einmal in einem Interview. In einem Kommentar, der kurz nach dem Anschlag erschien, war von »Viktimisierung in Potenz« die Rede: Den von Anschlägen Betroffenen werde immer wieder eine Mitschuld unterstellt, mindestens aber werde ihre Darstellung der Vorfälle angezweifelt. Mit ständigen »Diffamierungen« durch Stadtgesellschaft und -politik würden die alternativen Jugendlichen »quasi zu Vogelfreien gemacht, und die Nazis im Ort können sich noch bestätigt fühlen«.
In einem solchen Umfeld trotzdem bei der Stange zu bleiben, braucht viel Kraft – mehr als für ein Großbauprojekt nötig gewesen wäre. Das Haus in der Dorotheenstraße blieb deshalb verwaist, bis 2016 plötzlich einige Steine ins Rollen kamen. In der »Küfa«, erinnert sich Robert Weis, seien zwei oder drei Jugendliche aufgetaucht, die mit Anfang 20 so alt waren wie er und Elli Grobe bei Gründung des Vereins, die also schon einer neuen Generation angehörten, aber die gleichen Probleme hatten: »Auch sie hatten Zoff mit Nazis«, sagt er, »auch sie suchten einen Raum, in dem sie ihre Ruhe hatten.« Im städtischen Jugendhaus reichten wie schon zehn Jahre zuvor noch immer eine »falsche« Frisur oder ein Shirt mit unerwünschtem Aufdruck, um Stress zu bekommen. Im Infoladen war das anders, was sich schnell herumsprach. Binnen weniger Wochen waren aus den drei Jugendlichen 30 geworden, die »Bock hatten, etwas zu tun«. An dem Punkt, sagt Elli Grobe, »wussten wir, wir können es schaffen«. 2019 entschloss man sich, die Sanierung der »Doro 40« in Angriff zu nehmen.
Bis zur Eröffnung dauerte es dann trotzdem noch eine ganze Weile. Formale Auflagen der Stadt mussten erfüllt, Gelder für die Sanierung aufgetrieben werden. Grobe beziffert die Kosten auf rund 30 000 Euro, auch, weil Brandschutztüren und -decken von einer Firma einzubauen waren. Fördergelder zu bekommen war schwer. Viele Stiftungen und Vereine, die alternative Jugendkultur unterstützen, geben Zuschüsse nur für Projekte, nicht für Bauvorhaben. Immerhin zwei Drittel der Summe konnten trotzdem eingeworben werden. Daneben war man auf Spenden und Eigenleistungen angewiesen. Bei einem Besuch im Winter etwa traf man im Infoladen Tobias und Lissi, 24 und 23 Jahre alt, die stolz berichteten, dass sie gerade eine Tür eingeputzt hätten: »Es ist toll, sich auszuprobieren.« Jeden Samstag gab es Arbeitseinsätze; aus der Brandruine wurde wieder ein Domizil. Damals hoffte man noch, die »Doro 40« im Frühjahr eröffnen und gleichzeitig das 15-jährige Vereinsjubiläum nachfeiern zu können.
Es dauerte dann doch etwas länger. Seit Mitte August aber ist das Haus wieder geöffnet. Dabei geht es um weit mehr als einen Ort, an dem Konzerte oder Partys jenseits des Mainstream stattfinden können. Alternative Jugendhäuser wie die »Doro 40« böten »Gelegenheitsstrukturen« für Jugendliche, um »selbstbestimmt Kultur- und Politikveranstaltungen zu besuchen und zu organisieren sowie Gleichgesinnte kennenzulernen«, heißt es in einer schon 2014 erschienenen Publikation des »Kulturbüro Sachsen«. Der Dresdner Verein, der in ganz Sachsen zivilgesellschaftliche Projekte im Kampf gegen Rechts unterstützt, betreute auch die Bildungsvereinigung in Limbach-Oberfrohna eine Zeitlang im Rahmen einer »Werkstatt der Demokratie«. Im Abschlussbericht betonen Susanne Feustel und Michael Nattke vom »Kulturbüro«, welch grundlegende Bedeutung eigene Häuser für solche Vereine haben: »Sie sorgen dafür, dass es in diesen Orten Heranwachsenden weitaus leichter fällt, selbst kein rechtes Weltbild zu entwickeln und sich entsprechenden Gruppen anzuschließen.« Damit, so fügen sie hinzu, »leisten sie einen entscheidenden Beitrag zur Eindämmung des Problems«.
In Limbach-Oberfrohna gibt es einen solchen Ort jetzt wieder – nach knapp 13 Jahren. In dieser Zeit haben sich die Verhältnisse geändert. Die organisierten Nazistrukturen haben sich aufgelöst. »Die sind auch älter geworden«, sagt Weis. Der Rechtsextreme, der unter anderem für den Brandanschlag auf die »Doro 40« zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde, betreibt heute ein Tatoo-Studio in der Stadt. Die Abibälle im städtischen Jugendhaus, das Stadtfest oder die Shell-Tankstelle sind für linke Jugendliche immer noch Orte, die man besser meidet. Ansonsten gebe es aber deutlich weniger Angriffe, sagen Weis und Grobe. Auch das Verhältnis zwischen Verein und Stadtverwaltung sei besser geworden. Zur Eröffnung der »Doro 40« kam sogar der Oberbürgermeister. Grobe wiederum sitzt seit 2019 im Stadtrat und erwägt, 2024 erneut anzutreten, auch wenn die erdrückende Mehrheit der Konservativen und die Dominanz der Älteren ihr das Engagement oft verleiden.
Die »Doro 40« dagegen befindet sich in guter Nachbarschaft. Auf der anderen Straßenseite steht das ehemalige Hotel Johannesbad, ein Traditionslokal der linken Arbeiterbewegung. Hier hätten Karl Liebknecht, August Bebel und Clara Zetkin gesprochen, ist auf einer Tafel zu lesen. Heute steht das Haus leer. Wäre das nichts für einen linken Jugendverein? Elli Grobe lacht: »Von Immobilien haben wir erst einmal genug.«
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