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Der Beginn der Kirchenasylbewegung
Vor 40 Jahren beging ein türkischer Asylbewerber aus Angst vor der Abschiebung Suizid
Mit einer Veranstaltung und einer Tagung begehen der Verein »Asyl in der Kirche« und die Evangelische Akademie an diesem Mittwoch in Berlin den 40. Jahrestag der Kirchenasylbewegung. Gedenken wollen sie ab 10 Uhr Cemal Kemal Altun, der sich genau vor 40 Jahren aus Angst vor seiner Abschiebung in die Türkei aus dem Fenster des Berliner Verwaltungsgerichtes in den Tod gestürzt hatte. An der Hardenbergstraße erinnert heute ein Denkmal daran.
Der tragische Tod von Cemal Kemal Altun war 1983 für viele Menschen ein Wendepunkt in der Wahrnehmung der Asylrechtspraxis. Ein Trauerzug von mehreren Tausend Menschen bewegte sich damals zum Friedhof der Heiligkreuzgemeinde. Diese evangelische Gemeinde hatte sich für Cemal Kemal Altun eingesetzt. Der Einsatz führte einige Wochen später in derselben Gemeinde zum ersten Kirchenasyl für eine von Abschiebung bedrohte palästinensische Familie. Der damalige CDU-Senat wollte die Palästinenser in das Bürgerkriegsland Libanon abschieben – mit der Begründung, der Flughafen von Beirut sei doch offen.
Mit gutem Recht kann man den damaligen Gemeindepfarrer Jürgen Quandt den Vater der Kirchenasylbewegung nennen. Gegenüber der bundesweit erscheinenden evangelischen Zeitschrift »Zeitzeichen« beschrieb er, wie eines Abends 1983 Leute mit einem Lkw voller Matratzen vor dem Gemeindekirchenhaus standen und meinten, die Gemeinde müsse die Flüchtlinge sofort aufnehmen, sonst würden sie abgeschoben werden. Quandt musste binnen Minuten allein entscheiden.
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Er wird in »Zeitzeichen« wie folgt zitiert: »Das waren kluge Leute gewesen, die aus bürgerlichen Elternhäusern kamen und irgendwann einmal in ihrem Geschichtsunterricht was gelernt hatten von der Rolle der Kirche im Mittelalter und den Auseinandersetzungen zwischen Kaisertum und Papsttum. Dass es ein Recht der Kirche auf Unversehrtheit kirchlicher Räume und diese Möglichkeit des Asyls in der Kirche unter bestimmten Voraussetzungen gab.« Diese Tradition hatte allerdings mit dem neuzeitlichen Recht längst keine Grundlage mehr und spielte auch seit Jahrhunderten keine Rolle mehr. Aber Quandt überzeugte der Bezug auf alte kirchliche Traditionen.
Dass er mit der spontanen Entscheidung, die Familie aufzunehmen, eine nunmehr vierzigjährige Kirchenasylbewegung ins Leben gerufen hat, hatte Quandt »nicht geahnt und gewusst«. Der einen Familie folgten weitere. Am Ende wohnten 28 Personen im Gemeindekirchenhaus, wo es die räumlichen Voraussetzungen gar nicht gab. Nach wenigen Wochen endete das Kirchenasyl erfolgreich.
Juristisch ist ein Kirchenasyl eine Grauzone. Kein Gesetz hindert den Staat daran, die Menschen aus dem geschützten Kirchenraum zu holen und sie abzuschieben. Dies geschieht lediglich aus Respekt vor der Institution Kirche nicht. Doch Versuche, gegen Kirchenasyle vorzugehen, gab und gibt es immer wieder. Erst im Juli wurde eine kurdische Familie aus dem Kirchenasyl in Nordrhein-Westfalen geholt und in eine Abschiebehafteinrichtung gebracht. Nach Protesten wurde die Abschiebung jedoch abgebrochen.
Auch in Brandenburg wurde 2003 in Schwante ein Kirchenasyl gebrochen. Die Polizei wollte einen Vietnamesen mit seinem Sohn abholen, traf sie jedoch aus Zufall nicht an. Der Fall wurde bundesweit in den Medien aufgegriffen, sodass es keinen zweiten Abschiebeversuch gab. In Berlin gab es in den 1980er und 1990er Jahren mehrere Strafverfahren gegen Pfarrer, die Kirchenasyl anboten. Die meisten wurden eingestellt. Seit 2016 überziehen bayerische Staatsanwaltschaften regelmäßig Flüchtlinge im Kirchenasyl sowie Ordensschwestern und Pfarrer, die Kirchenasyl gewähren, mit Strafverfahren. Im Falle der Flüchtlinge selbst sprachen die Gerichte die Menschen regelmäßig frei. Für ihre Helfer ist die Rechtsprechung nicht eindeutig. Es gab Freisprüche und Geldstrafen.
Kirchenasyle geben den Behörden Zeit, über das Schicksal der von Abschiebung bedrohten Menschen erneut nachzudenken. Laut »Asyl in der Kirche« sind 98 Prozent der Kirchenasyle erfolgreich. Gut 90 Prozent betreffen allerdings derzeit sogenannte Dublinfälle, also Menschen, denen eine Rückschiebung in einen anderen EU-Staat droht. Hier dient das Kirchenasyl lediglich dazu, Zeit zu überbrücken. Denn die Behörden haben meist nur sechs, in Ausnahmefällen 18 Monate Zeit, um die Menschen in den anderen EU-Staat zurückzuschicken. Wenn die Flüchtlinge diese Zeit im Kirchenasyl »absitzen«, ist die Rückschiebegefahr gebannt. Eine Gesetzesänderung, die auf EU-Ebene derzeit als Entwurf vorliegt, könnte das bald schwieriger machen. Laut »Asyl in der Kirche« gab es 2022 bundesweit insgesamt 1119 Kirchenasyle für insgesamt 1783 Personen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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