»Rechte wollen sich immer Räume aneignen«

Rassismus habe eine Verortung, meint Johann Braun. Er forscht im interdisziplinären Netzwerk Terra-R zu rechten Räumen und gesellschaftlichen Bedingungen, die diese ermöglichen

  • Interview: Fides Schopp
  • Lesedauer: 7 Min.
Im Westen gibt es ebenso Neonazi-Hochburgen wie im Osten, wie ein NS-Graffiti im Dortmunder Stadtteil Dorstfeld zeigt.
Im Westen gibt es ebenso Neonazi-Hochburgen wie im Osten, wie ein NS-Graffiti im Dortmunder Stadtteil Dorstfeld zeigt.

Geografie und Rechtsextremismus verbinden wir mit Schlagwörtern wie »der rechte Rand« oder damit, dass Rechtsextremismus oft mit Ostdeutschland verknüpft wird. Setzten Sie mit Ihrer Forschung genau dort an?

Es ist für uns ein interessanter Ausgangspunkt, weil dadurch die Räumlichkeit dieser rechten Phänomene so offensichtlich wird. Allerdings müssen wir immer wieder betonen, dass es zu einfach ist, in diesen Kategorien zu denken. Dieses Ost-West-Schema produziert eine Schuldzuweisung Richtung Osten und einen Freispruch an den Westen. Wenn wir pauschal vom Osten sprechen, dann machen wir die widerständigen Praktiken im Osten unsichtbar und die historischen und gegenwärtigen Gründe, weshalb die Rechten dort erfolgreich mobilisieren können.

Gleichzeitig funktioniert der Freispruch an den Westen nicht. Der Westen wirkt scheinbar immun und demokratisch, aber wenn wir in die 80er Jahre zurückschauen, gibt es beispielsweise das Heidelberger Manifest. Darin haben sich Universitätsprofessoren in einer rassistischen Weise über Migration ausgelassen, die wir so heute in der AfD finden. Ganz allgemein gilt dieses Denkschema nicht nur für Ost und West, sondern auch für Stadt und Land. Wenn wir die ganze Zeit von einem autoritären, zurückgebliebenen und abgehängten Land sprechen, bedeutet das im Umkehrschluss einen Freispruch für die Stadt. Das deckt sich nicht mit unseren Forschungserfahrungen. Auch Städte sind Orte rechter Mobilisierungen.

Sie sprechen von Territorialisierungen der radikalen Rechten – was meinen Sie damit? Demorouten, Wahlkreise oder Immobilienkäufe?

Das meinen wir auch. Geografie kann immer eine konkrete Verortung sein, also das Bestimmen, wo Rechte aktiv sind. Wir gehen aber darüber hinaus. Wir wollen zeigen, dass Raum nicht nur der starre Hintergrund für rechte Mobilisierungen ist, sondern in diesem hergestellt wird, sich verändert und dabei immer umkämpft ist. Mit dem Begriff der Territorialisierung machen wir zwei Ebenen sichtbar. Erstens: Rechte Mobilisierungen zielen immer darauf, Räume anzueignen, zu kontrollieren, mit Bedeutung aufzuladen und darüber Wirkung auf gesellschaftliche Verhältnisse zu erzielen. Zweitens: Territorialisierung beschreibt einen räumlichen Blick auf rechte Mobilisierungen.

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Welche Fragen leiten Sie daraus ab?

Wir können aus dieser Perspektive heraus klassische Fragen der Stadtforschung stellen: Welche lokalen Bedingungen, Verdrängungen und Verluste im städtischen Räumen haben stattgefunden oder finden statt? Wie profitieren rechten Strukturen davon? In der Stadtforschung haben wir lange darüber geredet, dass die Mieten steigen und Sozialwohnungen fehlen. Lokale Infrastrukturen und soziale Daseinsvorsorge wurden immer mehr abgebaut. Das sehen wir an geschlossenen Schwimmbädern und fehlenden Jugendtreffs. Seit ein paar Jahren beobachten wir nun, dass diese sozialräumlichen Missstände dazu führen, dass rechte Mobilisierungen Erfolg haben.

Wir kennen von der Rechten Begriffe wie »Blut und Boden«. Geht es auch um Idealisierung von Räumen?

Ja, in dem Begriff der Territorialisierung sind viele Aspekte mitgemeint oder angesprochen. Die Rechte argumentiert und denkt gerne über räumliche Kategorien. Dieses Zusammenspiel von Volk und Nation ist ein Beispiel für Vorstellungen und Repräsentationen, die ganz real werden können. Denn diese räumliche Fixierung auf Nationen hat als Folge starre Grenzen, die undurchlässig für bestimmte Menschen sind. Grenzen sind nicht einfach da, sondern sie werden gesellschaftlich geschaffen und wirken auf die Gesellschaft zurück. Ein weiteres Beispiel ist die in den letzten zehn Jahren so prominente Rede vom Abendland. Dabei wird gesagt, wir sind das Abendland, wir sind hier und die Anderen, von denen wir uns abgrenzen, sind woanders und außerhalb. Rassismus funktioniert immer über eine räumliche Differenzierung. Ungleichwertigkeit ist nie nur gesellschaftlich, sondern sie ist immer auch räumlich. Mit dem Begriff der Territorialisierung können wir diese Dimensionen zusammen denken und sichtbar machen, dass sie ganz konkrete Räume und gesellschaftliche Situationen produzieren.

Vermutlich macht es einen Unterschied, ob in einem Raum eine einmalige oder eineregelmäßige rechte Mobilisierung stattfindet.

Grundsätzlich ist es so, dass diese Dauerpräsenz, Pegida ist ein anschauliches Beispiel, an meistens ausgesprochen symbolischen Orten diese Symbolik aufgreift, für sich nutzt und verschiebt. Das heißt, sie diese Räume werden mit ihrer eigenen Bedeutung aufgeladen, mit rassistischen Abendland-Narrativen, ergänzt mit Fahnen und tatsächlicher körperlicher Präsenz bis hin zur Gewalt. Hinzu kommen soziale Kategorien wie Männlichkeit, die an diesen Orten ausgelebt werden können.

Welche Wirkung erzielen die Rechten damit?

Das kann das Fortbleiben von bestimmten Menschen von diesem Ort sein, weil sie körperlich oder psychisch Erfahrungen machen, die belastend für sie sind. Es kann aber auch dazu führen, dass dort ein Ort von Widerstand entsteht, da aus der Zivilgesellschaft darauf reagiert wird. Obwohl die Rechten nicht immer Widerstand erfahren, sind sie zumindest potenziell nicht in der Lage, dauerhaft einen Ort einzunehmen. Es gibt immer Möglichkeiten zur Veränderung. Wenn wir das sichtbar machen, dann nicht nur, um Hoffnung zu geben, sondern um ganz grundsätzlich denkbar zu machen, dass Raum und Gesellschaft veränderbar sind.

Wie gehen Sie konkret in Ihrer Arbeit vor? Bei Geografie denkt man schnell an Karten, aber Sie erstellen keine Karten, oder?

Doch, wir erstellen auch Karten. Die Karte ist ein altes geografisches Instrument und muss, da sie scheinbare Wahrheiten verkauft, sehr kritisch hinterfragt werden. Allerdings kann die Karte in kritischen sowie de- und postkolonialen Kontexten auch ein Instrument sein, um ein bestimmtes Wissen sichtbar zu machen, das vorher nicht auf der Karte war. Dann ist die Karte eine sehr machtvolle, herrschaftskritische Art und Weise, Geschichten zu erzählen und Wissen zu transportieren. Insofern kann sie auch in der Erforschung von rechter Mobilisierung eine Rolle spielen. Auf der einen Seite, um sichtbar zu machen, an welchen Orten Rechte präsent sind, was das bedeutet – möglicherweise ist ihre Präsenz an Orten nur temporär und umkämpft. Auch das kann mithilfe von Karten aufgezeigt werden. Auf der anderen Seite können Karten ein Mittel sein, Betroffenen von rechter und rassistischer Gewalt eine Sichtbarkeit zu verleihen. Aber nicht alle im Netzwerk erstellten Karten sind dazu in der Lage. Wir bringen alle unsere Forschungserfahrungen zu Terra-R mit und versuchen sie mit dem Konzept der Territorialisierung in Verbindung zu bringen.

Was für unterschiedliche Fragestellungen treffen bei Ihnen im Netzwerk aufeinander?

Interview
MLU

Johann Braun arbeitet in der Abteilung Humangeografie am Geografischen Institut der Universität Heidelberg. Mit 19 weiteren Forschenden ist er Teil des Netzwerks Territorialisierung in der radikalen Rechten, kurz Terra-R. Zusammen forschen sie zur Geografie der politischen Rechten in Deutschland.

Auch in der Fanszene von Borussia Dortmund breiten sich Neonazis aus. Sie sind ein »brauner Fleck in der gelben Wand« des Westfalenstadions, schrieb die »Zeit« unlängst.
Auch in der Fanszene von Borussia Dortmund breiten sich Neonazis aus. Sie sind ein »brauner Fleck in der gelben Wand« des Westfalenstadions, schrieb die »Zeit« unlängst.

Wir forschen zu so unterschiedlichen Themen wie der christlichen Rechten in Brasilien oder rekonstruktiver Architektur in Dresden. Ich persönliche arbeite zu rechten Stadtpolitiken und den Debatten, die darum in den letzten 20 Jahren entstanden sind. Eine Rolle bei unserer Arbeit spielen aber auch Bewältigungsstrategien. Also wie gehen wir bei unserer Forschung mit uns selbst um? Wie schützen wir uns vor dem Material, mit dem wir es zu tun haben, vor den Gegenständen, vor den Personen? Welche Strategien entwickeln wir, um überhaupt Erkenntnis zu gewinnen? Auch das ist Teil unserer Arbeit.

Ist das Terra-R-Netzwerk transdisziplinär ausgerichtet?

Die Humangeografie ist sicher ein Schwerpunkt, manche verorten sich aber auch in der Soziologie oder den Politikwissenschaften. Wir wollen nicht an diese engen Fächergrenzen gebunden sein. Die Mitglieder des Netzwerks kommen von unterschiedlichen europäischen Universitäten, Hochschulen, aber auch aus Einrichtungen, die nicht an eine Universität angebunden sind, wie das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena. Das heißt, es ist eine relative Bandbreite, aber uns alle interessiert immer der räumliche Blick auf Gesellschaft.

Aus diesem Interesse entstehen dann unter anderem Karten. Wie sehen weitere Ziele oder Aufgaben aus, die Sie sich gesetzt haben?

Einerseits geht es uns darum, die Forschung voranzubringen und unsere Ergebnisse zu veröffentlichen. Andererseits wollen wir mit zivilgesellschaftlichen Akteur*innen im Austausch bleiben. Wir profitieren sehr davon, dass es Initiativen gibt, die Material sammeln und die in der konkreten alltäglichen Auseinandersetzung mit Rechten stehen. Mit diesen Initiativen ins Gespräch zu kommen, ist uns sehr wichtig. Aber wir werden keine einfache technische Lösung liefern können. Wir sind ein Rädchen in einem sozialen, städtischen, vielleicht auch ländlichen Gefüge und können einen Teil beisteuern. Andere Teile müssen dann aus der Stadtplanung, aus der Architektur, aus der Kommunikation, aus der Pädagogik und aus der Zivilgesellschaft kommen.

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