Berlin: Nächste Runde im Häuserkampf der Liebigstraße

Nach der Räumung im Oktober 2020 droht nun den neuen Bewohnern der Rauswurf

  • Felix Schlosser
  • Lesedauer: 3 Min.

»Die haben uns einfach ausgenutzt.« Der Schock steht Muslimat A. (21), Madina C. (45), Zalina T. (36) und Lida B. (49) noch in den Augen. Die Frauen wohnen in der Berliner Liebigstraße 34. Gemeinsam mit Mitgliedern der Stadtteilgruppen Nachbar*innen der Liebig 34 und »Wir bleiben alle« Friedrichshain stehen sie vor dem am 10. Oktober 2020 geräumten Haus. Das ehemals besetzte Haus sieht desolat aus. Manche Fenster sind kaputt, der Putz bröckelt.

Alle Bewohnerinnen und Bewohner sollen das Haus zum 31. August verlassen, wie aus einem Schreiben der »Komplex-Grundstücksverwaltung« hervorgeht. Nach der Räumung des queerfeminstischen Hausprojekts im Jahr 2020, die von Protesten und Ausschreitungen begleitet worden war, ließ Hauseigentümer Gijora Padovicz andere Leute einziehen. Sie hätten dafür hohe Maklergebühren zahlen müssen, berichten sie. Es handelt sich fast ausnahmslos um aus Tschetschenien stammende Frauen und deren Angehörige, darunter auch viele Kinder. »Das hat Padovicz natürlich absichtlich gemacht. Er wusste, dass es Ärger mit den ehemaligen Hausbesetzerinnen und ihren Unterstützerinnen geben würde, wenn er hier Yuppies und BMW-Fahrer einziehen lässt«, erzählt Hanna von Nachbar*innen der Liebig 34.

Durch puren Zufall haben die Nachbarschaftsinitiativen von den Kündigungen mitbekommen. Am vergangenen Samstag wurde auf der als Dorfplatz bezeichneten Ecke Rigaer Straße/Liebigstraße unter freiem Himmel ein Film gezeigt. Bei dieser Gelegenheit wandte sich Muslimat A. an Hanna: »Wir brauchen Hilfe.« Vorher hatte es keinen Kontakt zu den vielen linken Initiativen und Projekten gegeben, die im Friedrichshainer Nordkiez noch bestehen. Warum jetzt? »Die Firmen und Vermieter haben immer gesagt, wir sollten die Fenster und Türen zumachen, wenn draußen Demonstrationen seien.« Sie hätten immer erzählt, die Demonstrierenden und das subkulturelle Milieu in der Rigaer Straße sei gegen sie. »Die wollen euer Haus, die wollen da wohnen«, soll es geheißen haben. Nun, nachdem sie mit zahllosen Schikanen und einem Geflecht aus Tochterfirmen, Hausverwaltungen und Anwält*innen konfrontiert worden sind, glauben sie das nicht mehr. Anhand eines Papierbergs, den die Frauen mitgebracht haben, lässt sich erahnen, was vorgefallen ist. Miete mussten die Bewohner*innen immer an eine Firma zahlen, die einem Schreiben von April 2023 zufolge das Haus gar nicht mehr besitzt. Nun sollen die Menschen ausziehen, weil ihre Mietzahlungen nicht eine andere Firma erreichten. Auch hohe Forderungen wegen Mietschulden finden sich in den Unterlagen.

Der Rundfunk RBB hatte im Jahr 2020 eine Dokumentation über das Firmengeflecht und die Machenschaften von Padovicz ausgestrahlt. Viele der dort genannten Firmen tauchen in den Unterlagen zur Liebig 34 wieder auf. Tilo von der Gruppe Padowatch wundert das alles nicht. »Das hat sich leider angekündigt. Nicht nur der RBB, sondern auch unsere Recherchegruppe hat immer wieder auf das System aus Pacht, Zwischenhandel und Verschleierungen hingewiesen. Das Bezirksamt hat sich aber um nichts gekümmert. Sehenden Auges wurde dann die Liebig 34 geräumt. Uns war klar: Egal, wer da einzieht, wird’s schwer haben. Es wurde ja auch nach der Räumung nicht saniert.« Politiker*innen wünschten sich eine Befriedung des Kiezes. Padowatch kritisiert, dass die Politik weiter Geschäfte mit Firmen mache, die zur Unternehmensgruppe Padovicz gehörten.

Die Tschetscheninnen haben nun große Angst, mit ihren Kindern am Donnerstag aus den Wohnungen geworfen zu werden. »Nachbar*innen haben sich bereits organisiert und werden morgen eine Mahnwache vor dem Haus abhalten, um die Bewohnerinnen zu schützen«, erklärt Hanna von den Nachbar*innen der Liebig 34. Darüber hinaus ist am Sonntag ab 15 Uhr eine Kundgebung in der Liebigstraße angemeldet. Ein offenes Vernetzungstreffen unter freiem
Himmel mit den Bewohner*innen soll es werden. Kaffee werde gekocht, Kuchen gebacken. Es scheint, dass der Häuserkampf in die zweite Runde geht.

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