Jewgenij Prigoschin: Wagners letzter Akt

Der Tod von Söldner-Chef Jewgenij Prigoschin ist nicht das Ende der Privatarmeen in Russland

  • Daniel Säwert
  • Lesedauer: 5 Min.

Jewgenij Prigoschins Beerdigung wurde zu einem letzten Hütchenspiel. Den halben Dienstag rätselten Journalisten, wo der bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommene Chef der Söldnergruppe Wagner begraben wird. Gleich zwei Friedhöfe riegelte die Polizei in seiner Heimatstadt Sankt Petersburg ab; seine letzte Ruhe fand Prigoschin schließlich auf einem dritten, direkt neben seinem Vater. Tagelang wurde zuvor in Russland diskutiert, ob Prigoschin, kurz vor seinem Tod von Präsident Wladimir Putin heimlich mit Russlands höchstem Orden »Held Russlands« ausgezeichnet, ein Staatsbegräbnis bekommt oder der Kreml die Angelegenheit lieber schnell und ohne viel Aufsehen über die Bühne bringen will. Früh hatte sich abgezeichnet, dass es letzteres sein würde, nachdem Kremlsprecher Dmitrij Peskow mehrfach betonte, dass Staatschef Putin »aus Termingründen« nicht an der Beerdigung teilnehmen werde. Letztendlich waren es 20 bis 30 Personen, die sich nach Aussage eines Friedhofsmitarbeiters am »bescheidenen Grab mit VIP-Elementen« versammelten.

Wie genau Prigoschin und die acht anderen Passagiere des Privatflugzeugs ums Leben gekommen sind, wird vielleicht nie endgültig geklärt. Moskau lehnt eine internationale Untersuchung mit Sachverständigen des brasilianischen Flugzeugherstellers Embraer ab, da man von einer »gezielten Tat« ausgehe, die auf einem Inlandsflug geschah, erklärte Peskow. Auch das Zwischenstaatliche Luftfahrtkomitee, eine Organisation der GUS-Staaten, wird keine Untersuchung aufnehmen, da es sich um einen Inlandsflug gehandelt habe. Weitere Kommentare lehnt das Komitee ab.

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Moskau will Wagner aus Afrika und Syrien verdrängen

Offen ist, was mit Prigoschins Geschäften und vor allem mit den Wagner-Söldnern geschieht. Geht es nach der »Financial Times«, werden zumindest die Geschäfte in der Zentralafrikanischen Republik weiterlaufen, wo Milliardengewinne warten. Die britische Zeitung vermutet, dass der Auslandsgeheimdienst GRU versuchen wird, an Prigoschins Stelle zu treten.

Wagner hingegen könnte verschwinden. Kurz nach dem Flugzeugabsturz erklärte Peskow, dass es die Gruppe de jure gar nicht gebe. Der Duma-Abgeordnete Wiktor Sobelew prognostizierte: »Die Wagner-Gruppe wird aufhören zu existieren.« Es dürfe, so der ehemalige Generalleutnant, keine bewaffneten Personen geben, die nicht dem Staat unterstellt sind. Dass es diese »illegale bewaffnete Vereinigung« aber gab, habe Russland »an die Grenze zum Bürgerkrieg« gebracht. Allerdings seien die Wagner-Kämpfer »gefragt wie nie zuvor«, sagte er der regierungsnahen Nachrichtenseite »Daily Storm«. Jeder, der Russland dienen wolle, sei willkommen, so Sobolew. Das gelte jedoch nur für diejenigen, die nicht am Aufstand Ende Juni beteiligt waren. Über deren Zukunft müsse der Präsident entscheiden, sagte der Duma-Abgeordnete. Putin selbst hatte nach dem Tod Prigoschins von allen Kämpfern, die nicht in der Armee sind, einen Eid auf Russland verlangt.

Kreml unternimmt seit Monaten Anstrengungen gegen Wagner

Die Auflösung der Wagner-Truppe könnte im Kreml schon länger beschlossene Sache gewesen sein. Die Regierung in Moskau habe seit Monaten versucht, Prigoschin und seine Söldner aus Afrika und Syrien zurückzudrängen, schreibt der Journalist Andrej Sacharow auf Telegram. Nach dem Aufstand habe Putin Prigoschin bei einem zweiten, bisher nicht bekannten Treffen zu verstehen gegeben, er könne in Afrika weitermachen, dürfe sich aber nicht mehr in der Ukraine einmischen.

Dennoch, so Sacharow, habe das Verteidigungsministerium Wagner aggressiv aus Projekten in verschiedenen Ländern gedrängt. So soll Vizeverteidigungsminister Junus-Bel Jewkurow nach Damaskus gereist sein, um den Söldnern dort in Absprache mit der Regierung Assad ein Ultimatum zu stellen, das Land bis Ende September zu verlassen. Wagner wurde laut Sacharow die Nutzung russischer Militärflugzeuge untersagt; Maschinen anderer Staaten mit Söldnern sollte Damaskus abweisen. Auch in Libyen soll Jewkurow gewesen sein und dort angeboten haben, Wagner durch die russische Armee zu ersetzen. Zuletzt riet ein Wagner-Vertreter den Söldnern, sich eine andere Arbeit zu suchen, weil der Druck durch das Verteidigungsministerium zu groß werde.

Wagner ist nicht die einzige Söldnertruppe in Russland

Möglich, wenn auch nicht unbedingt wahrscheinlich, ist, dass Prigoschins ehemalige Kämpfer sich Söldnertruppen anschließen, die unter Führung der russischen Armee stehen (auch wenn die in Russland eigentlich verboten sind). Im April erfuhr die Welt, dass es in Russland neben Wagner noch weitere private Militärorganisationen gibt. Damals beschwerte sich Prigoschin öffentlich über die schlechte Ausbildung und mangelnden Erfolg von Gruppen wie Fakel, Redut oder Potok. Viel ist über diese Organisationen nicht bekannt. Von Redut (7000 Männer) und Potok weiß man, dass sie bereits seit mehreren Jahren aktiv sind und zuvor Objekte des Baukonzerns Strojtransgas des Oligarchen Gennadij Timtschenko in Syrien bewacht haben, ohne an militärischen Operationen teilzunehmen.

Laut Recherchen der »Financial Times« haben Potok und Fakel bereits im August 2022, vor der Mobilisierung, mit der Anwerbung für den Ukraine-Krieg begonnen. Aufgenommen werden demnach überwiegend gering qualifizierte Gazprom-Mitarbeiter, meist aus dem Sicherheitsbereich. Fakel soll nach Angaben der Zeitung auch Freiwillige aufnehmen, die nicht für den Energieriesen arbeiten. Zugegeben hat Gazprom die Existenz seiner Privatarmeen bis heute nicht, schließlich könnte man damit ausländische Partner verschrecken.

Gouverneure dürfen eigene Söldnertruppen aufstellen

Aus Unternehmenssicht sind die eigenen Söldnertruppen trotz schlechter Ausbildung und mangelnder Erfolge an der Front dennoch vorteilhaft. Gazprom kann auf diese Weise dem Staat seine Ergebenheit zeigen. Zudem kann das Unternehmen so kontrollieren, welcher Mitarbeiter in den Krieg geschickt wird. Auch für die Mitarbeiter, die mit ihren Truppen unter dem Kommando der Armee agieren, ist es attraktiver, als mobilisiert zu werden, schreibt die »Financial Times«. Sollten sie überleben, haben sie ihren alten Arbeitsplatz sicher. Und im Todesfall erhalten die Angehörigen neben den staatlichen Geldern zusätzliche Gazprom-Zahlungen.

Offiziell reihen sich die Gazprom-Armeen in die lange Liste der Freiwilligenbataillone ein, die für Russland in der Ukraine kämpfen. Davon könnte es in Zukunft noch mehr geben. Nachdem der Belgoroder Gouverneur Wjatscheslaw Gladkow Anfang Juli begonnen hatte, die Territorialverteidigung zu bewaffnen, erteilte die Duma noch im selben Monat allen Gouverneuren die Erlaubnis, bewaffnete Kräfte auszubauen, die von Moskau und den Regionen gemeinsam finanziert werden. Aus Sicht des Kremls ein logischer Schritt, kann er doch so die unpopuläre zweite Mobilisierungswelle vorerst verhindern. Zugleich werden die russischen Truppen dadurch zunehmend zu einem Flickenteppich aus Einheiten mit unterschiedlichen Gönnern und Ausbildungsstand.

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