Istaf in Berlin: Sorgen in der deutschen Leichtathletik bleiben

Nach der WM macht das Meeting in Berlin etwas Hoffnung

Jean Paul Bredau (2.v.l.) knackte über 400 Meter die 45-Sekunden-Marke.
Jean Paul Bredau (2.v.l.) knackte über 400 Meter die 45-Sekunden-Marke.

Die zurückliegende Woche hatte reichlich Stoff geboten, um den Ist-Zustand der deutschen Leichtathletik zu beschreiben. Von Desaster, Blamage, Absturz eines »Scheinriesens«, ja sogar von Schande war die Rede. Dennoch kamen am Sonntag 34 500 Fans ins Berliner Olympiastadion – und feierten beim Istaf eine Reihe von Top-Leistungen. Herausragend war die Weltjahresbestleistung von 70,47 Metern der US-amerikanischen Diskus-Olympiasiegerin Valarie Allmann. Zweite wurde wie im Vorjahr Kristin Pudenz, die 30-Jährige musste sich mit 64,90 Metern begnügen. Auch die Potsdamerin gehörte bei den Weltmeisterschaften in Budapest zu den Enttäuschten, wo sie mit 65,96 Metern und Platz sechs unter den Erwartungen geblieben war. Aber das Thema wolle sie »ganz schnell abhaken«, sagte sie.

Einen weiteren Glanzpunkt beim Istaf setzte die 25-jährige Äthiopierin Letesenbet Gidey, die mit 14:08,79 Minuten den angepeilten Weltrekord über 5000 Meter nur knapp verpasste. Die WM-Zweite über 10 000 Meter blieb nur dreieinhalb Sekunden über dem vor drei Monaten aufgestellten Weltrekord von Weltmeisterin Faith Kipyegon aus Kenia, die Gidey damit entthront hatte.

Aus deutscher Sicht waren zwei siegreiche Auftritte über die Stadionrunde bemerkenswert. Der Potsdamer Jean Paul Bredau blieb über 400 Meter in 44,96 Sekunden als erster deutscher Läufer nach 18 Jahren unter der 45-Sekunden-Marke. Joshua Abuaku aus Frankfurt lief die 400 Meter Hürden in 48,12 Sekunden, beide blieben mit persönlicher Bestleistung unter der Olympianorm für Paris 2024. »Ich bin absolut überwältigt von meiner Siegerzeit«, meinte der 24-jährige Bredau. Erleichtert war der deutsche Rekordhalter Joshua Hartmann über seine Siegerzeit von 20,14 Sekunden über 200 Meter. »Es fühlt sich gut an, allen zu beweisen, dass ich es doch kann«, sagte der 24-jährige Kölner, der bei der WM in Budapest das Halbfinale verpasst hatte.

Die versprochene »Show im Olympiastadion« bot Speerwurf-Europameister Julian Weber eine Woche nach seinem enttäuschenden vierten WM-Platz, mit dem er am Schlusstag das medaillenlose Abschneiden des Deutschen Leichtahtletik-Verbandes (DLV) nicht verhindern konnte. Der 29-Jährige erkämpfte sich im topbesetzten Istaf-Feld mit 84,09 Metern im vorletzten Versuch den Sieg. »Das ist eine richtig gute Weite, wenn man bedenkt, dass das mein vierter Wettkampf in zehn Tagen war. Ich habe noch mal alles reingelegt.« Er wurde auf der Ehrenrunde von den Fans ausgiebig gefeiert. »Nach Budapest war das ein richtig schönes Gefühl«, strahlte er.

Dieses sich im Olympiastadion oft wiederholende Stimmungsbild passte ganz und gar nicht zur Behauptung, die deutsche Leichtathletik würde nach dem Absturz auf Rang 12 der WM-Länderwertung Schritt für Schritt zu Grabe getragen werden. Wenn man sich beim Istaf umhörte, so dominierten »grenzenlose Enttäuschung« und »Ratlosigkeit« über das Abschneiden in Budapest, aber auch eine gewisse Zurückhaltung mit Klagerufen an den DLV. In den Debatten wurde neben unzureichender finanzieller Unterstützung und mangelnder beruflicher Förderung generell im deutschen Sport vor allem eine »fehlende Leistungskultur« beklagt.

Julian Weber wollte das nicht so stehen lassen. »Ich weiß noch immer nicht, was in Budapest los war, aber mein Speer wollte einfach nicht weit fliegen.« Er vermied es, auf sein Pech hinzuweisen. Denn alle seine Speere waren auf dem Weg zur WM abhandengekommen und sind bis heute nicht wieder aufgetaucht. Er sei nach wie vor hoch motiviert und spüre nichts von fehlender Leistungskultur. »Ich habe aus dem letzten Abschneiden viel Motivation geschöpft und werde noch besser und härter trainieren, um im nächsten Jahr unschlagbar zu sein«, betonte er. Auch sei er zuversichtlich, dass die deutschen Speerwerfer wieder geschlossen zu alter Stärke zurückfinden werden, wenn verletzungsbedingt fehlende Werfer wie Johannes Vetter oder Andreas Hoffmann wieder ins Geschehen eingreifen könnten.

Aber auch nach dem 83. Istaf bleibt die Sorge, dass das Tief der deutschen Leichtathletik auch 2024 bei Olympia in Paris anhalten könnte. So jedenfalls ist die mutige Ankündigung von DLV-Präsident Jürgen Kessing zu deuten, der dieser Tage davon sprach, dass die deutschen Athleten spätestens in fünf Jahren bei Olympia 2028 in Los Angeles wieder in den Top-5-Bereich der Weltspitze zurückkehren werden. Man stehe in einer »Umbruchphase«, in der es um »stärkere individuelle Förderung von Athleten und Trainern, um leistungsstarke Trainingsgruppen und maßgeschneiderte Betreuungsprogramme« gehe, wofür man Zeit brauche.

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