»Die meisten Leute haben keine Ahnung vom Globalen Süden«

Stephen Musarurwa kämpft in Afrika gegen den Klimawandel und kritisiert eine eurozentrische Sicht der Umweltbewegung

  • Interview: Robin Jaspert
  • Lesedauer: 9 Min.
Die Auswirkungen des Klimawandels sind in Afrika gravierend: Millionen Menschen müssen in Somalia hungern und sind auf Hilfe angewiesen (unten). Auch in Madagaskar regnet es in vielen Regionen schon lange so gut wie gar nicht mehr.
Die Auswirkungen des Klimawandels sind in Afrika gravierend: Millionen Menschen müssen in Somalia hungern und sind auf Hilfe angewiesen (unten). Auch in Madagaskar regnet es in vielen Regionen schon lange so gut wie gar nicht mehr.

Stephen Musarurwa. Sie reisen derzeit durch Deutschland und treffen verschiedene Akteure der Klimabewegung. Unterscheiden sich die Initiativen in Botswana sehr von denen in Deutschland?

Ja, es gibt sehr große Unterschiede. Wir gehen anders mit dem Klimawandel um und organisieren uns auch anders. Hier ist es sowohl möglich, Demonstrationen zu organisieren als auch zivilen Ungehorsam zu leisten und Blockaden durchzuführen. In Botswana und auch Simbabwe wird ziviler Ungehorsam hingegen als schweres Verbrechen angesehen.

Wissen die Menschen in Deutschland über diese Unterschiede Bescheid? Schwarze sowie indigene Menschen und People of Color haben die mehrheitlich weiße Klimabewegung im Globalen Norden in den vergangenen Jahren kritisiert. Haben diese Kritik und die Bemühungen, ein Bewusstsein für die Unterschiede im Norden und Süden zu schärfen, zu Veränderungen geführt?

Leider keine großen. Die meisten Leute in Deutschland haben keine Ahnung von der Situation im Globalen Süden. Sie denken oft, dass wir auf der gleichen Basis kämpfen. Aber unsere Ansätze zur Bekämpfung des Klimawandels unterscheiden sich oft fundamental. In Deutschland gibt es Privilegien, die wir nicht haben. Ein Beispiel ist das Annehmen von Spenden von großen Umweltverschmutzern. Im Globalen Norden sollte man das Geld auf keinen Fall annehmen, bei uns im Globalen Süden schon. Wenn Menschen in Deutschland protestieren wollen, können sie Geld dafür anderweitig organisieren. Bei uns dauert es jedoch manchmal Jahre, bis wir das nötige Geld für die Entwicklung unserer Communitys zusammenbekommen.

Wir möchten, dass die Menschen im Globalen Norden verstehen, dass wir zwar Teil derselben Bewegung, aber nicht in derselben Situation sind. Nur wenn die Menschen aus dem Globalen Norden begreifen, wie unterschiedlich der Aktivismus in Afrika und vor allem in den vom Klimawandel am meisten betroffenen Ländern ist, können wir sinnvoll zusammenarbeiten. Deshalb wäre ein Austauschprogramm für junge Aktivist*innen aus Deutschland wichtig, damit sie nach Afrika kommen können.

Interview

Derzeit beraten 50 afrikanische Staaten in Nairobi über Strategien zur Bewältigung des Klimawandels. Sie wollen dort eine Perspektive der afrikanischen Staaten für die nächste UN-Klimakonferenz herausarbeiten. Stephen Musarurwa aus Botswana engagiert sich bei Fridays for Future und Climate Live International. Er besucht gerade Klimaaktivist*innen in Deutschland und wirbt für mehr Verständnis für die Menschen im Globalen Süden.

Also braucht es ein besseres Verständnis für die verschiedenen Lebensrealitäten?

Ja, es besteht ein Bedarf an solidarischen Verbindungen. Viele Leute in der Bewegung in Deutschland sind nur wegen ihres schlechten Gewissens aktiv. Es ist zwar richtig, dass die Europäer*innen diese Krise verursacht haben, doch es fehlt oft ein Gemeinschaftsgefühl: das Gefühl, mit den Menschen zusammenzustehen, für die man sich einsetzt. Viele Menschen in Europa fordern zwar Klimagerechtigkeit, wissen aber kaum, was sie damit meinen. Sie wissen nichts von den sechs Millionen Menschen, die in Somalia von Hunger betroffen sind, nichts von den fünfhunderttausend Menschen in Madagaskar, die vom Hungertod bedroht sind.

Bleibt Klimagerechtigkeit ein leerer Begriff, wenn er nicht mit anderen Ebenen wie sozialer oder ökonomischer Gerechtigkeit zusammen gedacht wird?

Genau. Anstatt nur auf die Straße zu gehen und »Klimagerechtigkeit« zu rufen, sollten wir uns bemühen, Geld zu sammeln und Entwicklungsprojekte in Afrika zu unterstützen. Wir brauchen eine konkrete Strategie, um etwas zu verändern. Wenn wir als junge Aktivist*innen in Botswana in Communitys gehen, reden wir dort mit den Leuten und finden heraus, was sie brauchen. Wir gehen in die Gemeinden, die vom ökologischen Kollaps betroffen sind und organisieren Projekte, die ihren Bedürfnissen entsprechen. Manche Menschen haben nicht mal Zugang zu fließendem Wasser.

Wie sieht Ihre Arbeit bei der Initiative Climate Live aus?

Climate Live ist eine Jugendbewegung, die Musik nutzt, um ein neues Publikum anzusprechen. Wenn man jungen Menschen in Afrika sagt: »Lasst uns über Klimagerechtigkeit reden«, steigen sie nicht darauf ein, weil es langweilig klingt. Allerdings kommen sie zu Konzerten, und das nutzen wir. Auf einem Konzert erzählen wir den Besucher*innen vom Klimawandel und bitten die Künstler*innen, Botschaften für Klimagerechtigkeit zu verbreiten. Die jungen Leute wissen bei uns oft wenig über die Klimabewegung. Das ist normal, da es im ganzen Land vielleicht fünf Aktivist*innen gibt. Wir müssen erreichen, dass die Jugendlichen verstehen, wie wichtig es ist, gegen den Klimawandel anzugehen, ihre Verantwortung wahrzunehmen und aktiv zu werden. Aber wir wissen auch, dass es Spaß machen muss, um die Menschen zu motivieren, sich zu engagieren.

Weitere Themenfelder, zu denen Sie arbeiten, sind Loss and Damage, also Schäden, die durch den Klimawandel entstehen, und Entschädigungszahlungen. Warum ist es so schwierig, diese Themen auf die Tagesordnung der internationalen Klimapolitik einzubringen?

Die Teilnehmer*innen der UN-Klimakonferenz sprechen schon seit vielen Jahren darüber. Das Hauptproblem besteht darin, dass der reiche Norden eine unabhängige Entwicklung Afrikas nicht fördern möchte. Sie möchten nicht, dass unsere Länder ihre volle Stärke erreichen. Deswegen brauchen wir die Entschädigungen, aber wir müssen diese auch spezifizieren. Denn wenn wir Deutschland pauschal bitten würden, uns fünf Millionen Euro zu geben, werden sie einwilligen. Wissen Sie, warum?

Weil Deutschland die Bedingungen bestimmen würde?

Genau. Und als Nächstes würde die deutsche Regierung den Bedarf eines deutschen Unternehmens nach Ressourcen in einem afrikanischen Land ermitteln. Deutschland, oder auch jedes andere entwickelte Land des Westens, würde eine Firma nach Afrika schicken. Es würden Profite erwirtschaftet werden, die nach Deutschland fließen.

Der Globale Norden hat so viele nachhaltige Erfindungen und Technologien – warum können die nicht mit uns geteilt werden? Wenn Ihr nicht möchtet, dass wir die Kohle aus unseren Minen nutzen, aber auch nicht die Technologie teilt, die uns einen anderen Weg ermöglicht, was erwartet Ihr dann? Wir haben eine riesige Wüste in Botswana. Warum könnt Ihr uns keine Solartechnologie zur Verfügung stellen? Wenn wir ein Solarkraftwerk in der Wüste errichten, müssen wir keine Kohle verwenden. Aber die Mächtigen im Globalen Norden wollen, dass wir genau in einer bedürftigen Situation bleiben. Deshalb plädieren wir für den Erlass der finanziellen Schulden des Globalen Südens. Wenn Sie ernsthafte Entwicklung unterstützen wollen, sollten sie die Schulden streichen. Schulden sind wie Kolonialismus. Statt Geld für Entwicklung auszugeben, muss es für die Tilgung verwendet werden.

In europäischen Diskussionen wird oft über Klimamigration gesprochen, um auf rassistische Diskurse zu reagieren und das europäische Grenzregime zu rechtfertigen. Wie sprechen die Menschen in Botswana über den Zusammenhang zwischen Migration und Klimawandel?

Der Diskurs über Klimamigration ist oft durch westliche Perspektive bestimmt. Wenn Menschen in Afrika, etwa weil sie vertrieben werden, damit westliche Konzerne nach Öl bohren können, oder Land aufgrund von Dürren unbewohnbar wird, entschließen, nach Europa oder Deutschland zu ziehen, ist der Weg das größte Problem. Er ist gefährlich und viele sterben. Und selbst wenn sie Europa erreichen, können sie oft nicht viel bewirken. Viele sind durch das, was sie erlebt haben, innerlich tot. Sie werden immer »nur« als Migrant*innen angesehen und behandelt werden. Es ist äußerst schwer für Menschen aus Afrika, in Europa eine Arbeitserlaubnis zu bekommen. Für weiße Menschen, die aus ähnlichen Gründen fliehen, sieht das anders aus. Das ist Rassismus.

Aber auch abseits des Klimawandels fliehen viele Menschen wegen wirtschaftlicher Probleme und es sieht so aus, als ob wir in den Heimatländern nicht in der Lage wären, ihnen zu helfen. Das liegt aber oft nicht an unseren Entscheidungen. Die Regierungen in Europa priorisieren ihre eigenen Bedürfnisse, obwohl sie es sind, die viele unserer Probleme verursachen. Wirtschaftliche Gerechtigkeit anzustreben und so etwas gegen die Fluchtursachen zu unternehmen, hat für sie keine Priorität.

Wie lassen sich die Kämpfe um Klimagerechtigkeit, ökonomische Gerechtigkeit und Migrationsrechte verknüpfen?

Alles hängt damit zusammen, dass man einander versteht und die richtigen Prioritäten setzt. Wir müssen begreifen, dass wenn wir über Klimagerechtigkeit sprechen, auch über soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit reden müssen. Es reicht nicht, einfach auf die Straße zu gehen und »Klimagerechtigkeit« zu rufen. Wir alle müssen noch viel lernen und uns fortbilden, und Ihr im Norden müsst euch dekolonisieren. Für wirkliche Veränderungen müssen wir neue Strategien finden. Die alten haben bisher nicht funktioniert.

Was sind Ihre nächsten Pläne?

Wir möchten, dass Jugendliche im Globalen Norden die Orte der Zerstörung kennenlernen, um zu verstehen, was es bedeutet, Land zu verlieren. Wenn wir über Abholzung sprechen, möchten wir, dass Ihr mit eigenen Augen seht, wo Holz geschlagen wird und wie es bis nach Europa transportiert wird. Wir möchten Euch die Orte zeigen, an denen Minen die Umwelt zerstören.

Aber gegenseitige Schuldzuweisungen werden die Probleme nicht lösen. Egal, ob wer aus dem Globalen Norden oder Süden kommt, jede*r muss im Kampf für ein besseres System eine Rolle spielen. Es gibt Hoffnung für die Zusammenarbeit. In den nächsten 50 Jahren werden die meisten heutigen Anführer nicht mehr da sein, und wir werden an den Verhandlungstischen sitzen. Stell dir vor, du wachst morgens auf und das System, gegen das du dein ganzes Leben lang gekämpft hast, akzeptiert dich. Was tust du dann? Glaubst du, dass die Sitze leer bleiben werden, wenn wir uns nicht in Institutionen wie den Vereinten Nationen engagieren? Es ist an uns, Teil des Systems zu sein und es zu ändern.

Innerhalb oder gegen das System?

Man muss es auch von innen heraus bekämpfen. Wie viele Straßenblockaden hat es in Deutschland gegeben? Welche Veränderung hat Lützerath gebracht? Ich sage nicht, dass man nicht von außen kämpfen soll, aber wir brauchen beide Kämpfe: von innen und von außen. Die Verantwortlichen müssen die Konsequenzen ihrer Entscheidungen spüren. Wir müssen zu den Orten gehen, an denen Entscheidungen getroffen werden, um die Verantwortlichen mit den Auswirkungen ihres Handelns zu konfrontieren. Manchmal kann aber auch Diplomatie nützlich sein. Es erfordert eine Strategie und verschiedene Taktiken. Wir können unsere Genoss*innen unterstützen, indem wir es ihnen ermöglichen, Straßen und Minen zu blockieren. Andere werden im System aktiv und laut sein. Es geht um eine Strategie, die unterschiedliche Sichtweisen einbezieht, um den Ideenaustausch und das gegenseitige Verständnis zu fördern. Diese haben wir zurzeit nicht.

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