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Spanien schaut nach Brüssel
Für eine Regierungsmehrheit benötigt Sozialdemokrat Pedro Sánchez die Unterstützung der Katalanen
Die Regierungsbildung in Spanien nach den Wahlen vom 23. Juli führt über den großen Umweg nach Belgien. Da die Wähler*innen kein klares Votum abgegeben haben, braucht der Sozialdemokrat Pedro Sánchez die Stimmen der Unabhängigkeitspartei »Gemeinsam für Katalonien« (Junts) von Exilpräsident Carles Puigdemont, wenn er Regierungschef bleiben will. Alle Augen richten sich deshalb nach Brüssel. Am Dienstag legte Puigdemont auf einer Pressekonferenz die Grundlinien für eine mögliche Unterstützung der Sozialdemokraten dar. Am Vortag hatte sich die Vize-Ministerpräsidentin und Chefin der neuen Linkskoalition »Sumar« (Summieren), Yolanda Díaz, in Brüssel mit dem Europaparlamentarier Puigdemont getroffen.
Schnell wurde aber bei der Pressekonferenz klar: Yolanda Díaz konnte Junts und Puigdemont am Montag nicht auf Schmusekurs bringen, worauf auch die Sozialdemokraten (PSOE) gesetzt hatten. Puigdemont stellt vor der Presse klar, dass er nur Grundlinien dafür benennen werde, um in Verhandlungen zu treten. Da sich der ultrakonservative Alberto Nuñez Feijóo mit seiner Volkspartei (PP) in der gleichen Situation befindet, sprach Puigdemont auch nicht die PSOE direkt an, sondern sprach stets von »beiden großen spanischen Parteien«.
Die Hürden für eine Unterstützung setzt er hoch an. Da nichts am Referendum, der einseitigen Unabhängigkeitserklärung und den Protesten 2017 ein Delikt gewesen sei, ist für ihn ein Amnestiegesetz und die Anerkennung des katalanischen Selbstbestimmungsrechts genauso eine Voraussetzung für Verhandlungen wie die Schaffung eines Mechanismus zur Überprüfung und Einhaltung getroffener Vereinbarungen.
Damit meint er einen Vermittler, wie er in Konfliktlösungsprozessen eingesetzt wird. Die Repression mit tausenden ausstehenden Verfahren müsse beendet werden. Man könne sich auch nicht mit jemanden an den Tisch setzen, der einen ausspioniert und als »zweitgrößte Bedrohung hinter dem islamistischen Terrorismus« bezeichne und bei Europol beantrage, die Unabhängigkeitsbewegung als »Terroristen« einzustufen.
Neben der »Anerkennung der demokratischen Legitimität« der Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens zeigte er für die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts zwei Wege auf. Entweder das Ergebnis des Referendums vom 1. Oktober 2017 anzuerkennen oder ein neues, nach Vorbild Schottlands, anzusetzen. »Nur ein mit dem spanischen Staat vereinbartes Referendum kann das politische Mandat vom 1. Oktober ersetzen«, unterstrich er. Er hält auch an einem möglichen einseitigen Vorgehen fest.
Als Rahmen setzte er internationale Vereinbarungen wie den Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Diesen UN-Sozialpakt, der das Selbstbestimmungsrecht in Artikel 1 als Menschenrecht definiert, hat Spanien 1978 ratifiziert, noch vor der Verfassung. Zudem schreibt spanisches Recht vor, internationale Verträge umzusetzen. Keine seiner Bedingungen verstoße gegen die Verfassung oder europäische Verträge, sagte Puigdemont. Erforderlich seien nicht mal langwierige Gesetzgebungsverfahren. Die Forderungen könnten deshalb »noch vor Ablauf der gesetzlichen Frist« bis zum 27. November erfüllt werden, um Neuwahlen zu vermeiden. Werden sie erfüllt, verpflichte man sich, »auf einen historischen Kompromiss hinzuarbeiten, um den Konflikt in der nächsten Legislaturperiode zu lösen«.
Alles hänge vom politischen Willen ab. »Wir haben unsere Position nicht all die Jahre gehalten, um eine Legislaturperiode zu retten, sondern um das Mandat zu verteidigen, das wir von den Bürgern erhalten und bewahrt haben«, sagte Puigdemont.
Auch PP-Chef Feijóo, der als Wahlsieger vom König mit der Regierungsbildung betraut wurde, hatte bei Puigdemont vorgefühlt, ob Junts ihm die fehlenden vier Sitze verschafft. Das war nur »heiße Luft«, erklärten Quellen aus dem Umfeld Puigdemonts dem »nd«. So ist klar, dass sich das Angebot an PSOE und Sumar richtet. Würde die PP auf Puigdemonts Bedingungen eingehen, verlöre sie sofort die Unterstützung der rechtsextremen Vox-Partei und damit jede Aussicht auf eine Mehrheit.
Feijóo nennt die Bedingungen »inakzeptabel und unmöglich« und schlug dagegen Sánchez eine von ihm geführte große Koalition vor. Er fand auch zur früheren Sprachregelung gegenüber Puigdemont zurück und nennt ihn wieder einen »Justizflüchtling«. Außerdem verlangte er die Entlassung von Díaz, weil sie sich mit Puigdemont getroffen hat.
Sánchez nennt Feijóos Versuch, Ende September Regierungschef zu werden »Fake« und verlorene Zeit, da er keine Mehrheit habe. Dass sich der »Dialogweg« öffne und Puigdemont sich von der »Konfrontation« entferne, nimmt die PSOE-Führung positiv auf. Regierungssprecherin Isabel Rodríguez erklärte, dass die Positionen der Regierung »antipodisch« seien zu denen Puigdemonts.
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