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- Radikaler Klimaaktivismus
Klimaaktivist*innen, radikalisiert euch!
Für Tadzio Müller sind Teile der Klimabewegung zu handzahm
Das waren noch schöne Zeiten, als die Klimabewegung mit geeinter Stimme rufen konnte: »Tell the truth!« (Sagt die Wahrheit) »Follow the science!« (Folgt der Wissenschaft). Als wir uns als die Hüterin der gesellschaftlichen Wissenschaftlichkeit und moderner Rationalität feiern konnten. Als die Anderen immer die waren, die verdrängten, wie schlimm es um das Klima steht. Wie lächerlich unzureichend, gelegentlich gar kontraproduktiv alle real-existierende »Klimapolitik« ist. Und wie schnell nun gehandelt werden müsste. Wissenschaftliche Klimarationalität auf der einen, nationalegoistische Verdrängungsgesellschaft auf der anderen Seite. Klare Fronten.
Dumm nur, dass nach dem offensichtlichen Scheitern aller Klimapolitik im Sinne klimarelevanter, dauerhafter Emissionsreduktionen jetzt auch bei uns »Klimas« immer mehr Verdrängungsdiskurse stattfinden. Es ist im Grunde genau wie in der »traditionellen« Gesellschaft: Es geht darum, das Scheitern an den eigenen Ansprüchen zu verdrängen. So lebt es sich nämlich glücklicher. Und darum geht es ja: glücklich zu leben.
Das aber wird immer schwieriger. Denn das Klima kollabiert. Gerade jetzt überschreiten wir den Makrokipppunkt des globalen Klimasystems, dessen Übergang von einem stabilen in einen instabilen Zustand eine unkalkulierbar lange Phase des Klimachaos’ einläutet. Das globale Extremwetter des Sommers 2023 wird schon bald die neue Normalität sein. Die Extreme werden immer extremer.
Und trotzdem hören wir von den Größen der Klimawissenschaft wie Stefan Rahmstorf, von den Expert*innen der sozialökologischen Transformation wie Maja Göpel und natürlich von Luisa Neubauer und dem moderaten Flügel der Klimabewegung immer wieder: Nein, der Kollaps ist noch nicht da. Ja, es gibt noch eine Chance, ihn abzuwenden. Auf jeden Fall gibt es Mehrheiten für Klimaschutz, wenn nur die böse Letzte Generation nicht alle Menschen vom Klimaschutz abturnen würde.
Wissen die es nicht besser? Immerhin ist Rahmstorf, nicht ich, der Experte für Kipppunkte. Besser als Göpel kenne auch ich mich nicht in der Klimapolitik aus. Und bei allen Meinungsunterschieden würde ich Neubauer nie unterstellen, die Realität nicht im Blick zu haben. Um ehrlich zu sein, glaube ich, hier wird wider besseres Wissen kommuniziert: Ich kenne Klimaaktivist*innen, die genau wissen, wie mies die Situation ist. Die sich aber mit der Wahrheit zurückhalten, weil sie glauben, es sei besser, den Leuten Märchen aufzutischen, da die Wahrheit die Menschen demotivieren könnte.
Tadzio Müller, Jahrgang 1976, ist in der Klimabewegung aktiv.
Die bekannte US-Aktivistin Rebecca Solnit zum Beispiel, sonst von mir hochgeschätzt, schrieb im »Guardian« gegen uns radikale Klimaaktivist*innen an: »Manchmal denke ich, wenn wir den Klimakampf verlieren, dann liegt das nicht zuletzt an diesem Defätismus der Bequemen im globalen Norden, während die Menschen in den Gemeinden an vorderster Front weiter wie wild ums Überleben kämpfen. Deshalb ist der Kampf gegen Defätismus auch Klimaarbeit.« Und ich dachte immer, wir Linken sollten die Leute nicht anlügen, denn das machen schon die Rechten.
Renaee Churches kontert diese Auffassung: »Wir haben die Klimaschlacht verloren, und es sind Geschichten wie die (von Solnit), die viele abhalten, dies zu begreifen, und die uns davon abhalten, die Art von kollektiven Anpassungsmaßnahmen zu ergreifen, die angemessen sind.« Für uns ist die Einstellung, es sei noch nicht zu spät, höchst gefährlich: Sie bedeutet, dass immer mehr von uns sich der Illusion hingeben, dass »von oben« noch irgendwelche Lösungen zu erwarten seien.
Wer nicht sagt, wie mies die Situation wirklich ist, wird sich im besten Fall mit Allgemeinplätzen von der Art aufhalten, mit der man Kinder beruhigt. Aber wir brauchen keine Bevölkerung von eingelullten Kindern. Wir brauchen verantwortliche Erwachsene (nicht im Sinne des biologischen Alters), die wissen, was Sache ist. Und dementsprechend handeln.
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