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Linksfraktionschef Sebastian Walter soll Spitzenkandidat werden
Sebastian Walter informiert beim Strausberger Friedensfest über Empfehlung von Landesvorstand und Landesausschuss
Brandenburgs Linksfraktionschef Sebastian Walter soll bei der Landtagswahl am 22. September 2024 der Spitzenkandidat seiner Partei sein. Dafür haben sich Landesvorstand und Landesausschuss der Linken am Samstag ausgesprochen, wie Walter das »nd« im Anschluss informierte. Walter war bereits bei der Landtagswahl 2019 Spitzenkandidat, damals in Doppelspitze mit der Landtagsabgeordneten Kathrin Dannenberg. Diesmal soll er alleiniger Spitzenkandidat sein.
Beim Strausberger Friedensfest am Samstag erzählte Walter den Besuchern von dieser einstimmigen Empfehlung von Landesvorstand und Landesausschuss. Nominiert wird der Spitzenkandidat Ende Januar in Templin durch eine Vertreterversammlung. Walter führt nicht nur die Linksfraktion im Landtag, er ist auch Landesvorsitzender seiner Partei. Er werde sich für eine starke Linke einsetzen, die konsequent für Frieden und soziale Gerechtigkeit streite, versprach der 33-Jährige. Zur schnellen Beendigung des Krieges in der Ukraine seien ein sofortiger Waffenstillstand und Friedensverhandlungen notwendig, appellierte er.
Ähnlich äußerten sich auch andere Gäste des Friedensfestes. So sagte die Landtagsabgeordnete Bettina Fortunato (Linke) gleich zur Eröffnung, das Töten müsse ein schnelles Ende finden. Bundestagsfraktionschef Dietmar Bartsch verurteilte den russischen Überfall. Deutschland sollte sich in einen Friedensdialog einbringen, anstatt immer mehr Waffensysteme ins Kriegsgebiet zu liefern, sagte er.
Im Vorfeld des Friedensfestes gab es bereits am Donnerstagabend ein Friedensforum in der Stadt. Dabei erläuterte der Wirtschaftswissenschaftler Kai Kleinwächter vor etwa 60 Zuhörern die desolate wirtschaftliche Lage der Ukraine. Sie sei mittlerweile der ärmste Staat Europas, ärmer noch als der Kosovo, Moldova und Albanien. Das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner betrage nur noch 3700 US-Dollar. Im Kosovo seien es 4300 Dollar, in Russland 10 100 und in Deutschland 46 200 Dollar. In der Sowjetunion der 1970er und 1980er Jahre sei die Ukraine eine der führenden Republiken gewesen. Doch während sich Polen, Rumänien und Russland seit 1991 einigermaßen entwickelten, habe die Ukraine zunächst bis zur Jahrtausendwende in einer lange anhaltenden Krise gesteckt und seit 2008 stagniere die Wirtschaft. Eine EU-Mitgliedschaft sei nach den geltenden Kriterien für einen Beitritt »ausgeschlossen«, sagte Kleinwächter.
In den von Russland kontrollierten Gebieten Donezk und Luhansk sehe es keineswegs besser aus, betonte er. Die Ukraine sei vom Ausland abhängig. EU und USA pumpten seit 2014 pro Jahr durchschnittlich zehn Milliarden Euro hinein. »Zu Russland haben wir keine Zahlen, aber es sind wahrscheinlich ähnliche Summen.« Kleinwächter rechnete hier auch die Krim hinzu. Die Annäherung an das Ausland, ob nun an den Westen auf der einen Seite oder Russland auf der anderen, habe zu einer weiteren Verarmung geführt.
Seit Herbst 2022 verschiebe sich die Frontlinie kaum noch, erinnerte Kleinwächter. Aber die Wirtschaft werde nach wie vor wechselseitig zerstört. 40 Prozent der Bevölkerung benötige dringend humanitäre Hilfe. Zum Vergleich: In Afghanistan seien es 30 Prozent. Bei einem Wachstum von 2,5 Prozent würde die Ukraine mehr als 80 Jahre benötigen, um aufzuholen. Schätzungsweise eine Million Zivilisten seien schon umgekommen. »Wie viele Opfer sind genug, bis der Begriff ›Souveränität‹ sinnlos wird?« So fragte Kleinwächter. Seine Antwort: »Aus meiner Sicht ist der Punkt längst überschritten. Der Krieg muss ein Ende haben.«
Die Journalistin Kathrin Gerlof widmete sich der Frage, wer am Krieg in der Ukraine verdient. Gerlof zufolge ermöglichen Kriege, dass Regierungen die Demokratie zeitweise oder auf Dauer abbauen und Bevölkerungen auf eine Militarisierung einschwören. Gerlof erklärte: »Es gibt viele Branchen, die infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine hohe Gewinne einstreichen.« Sie nannte den Rüstungskonzern Rheinmetall, dessen Aktie mit über 200 Euro mehr als doppelt so viel wert sei wie in den Tagen vor dem russischen Überfall im Februar 2022. Der Ostasienexperte Wolfram Adolphi informierte über chinesische Friedensbemühungen, die im Westen fast unbekannt seien.
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