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Das Spiel mit dem Bündnisfall in der Ostsee
Großmanöver unter deutscher Führung läuft in der Ostsee
In den kommenden zwei Wochen ist der östliche Ostseeraum wieder Schauplatz einer militärischen Machtdemonstration – zu Wasser, zu Lande und in der Luft. »Northern Coasts« steht unter deutscher Leitung. Die über 3000 Manöverteilnehmer kommen aus Anrainerstaaten der Ostsee sowie den USA, Italien, Frankreich und Kanada. Im Einsatz seien 30 Schiffe und Boote, Luftfahrzeuge sowie eine Reihe von Bodentruppen, teilte der deutsche Marineinspekteur Jan Christian Kaack mit.
Manöver unter dem Codenamen »Northern Coasts« gibt es seit 2007. Doch die aktuelle Übung, die vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges stattfindet, weist eine grundlegende Besonderheit auf. Erstmals liege dem Szenario ein Bündnisfall zugrunde, betont der Übungsleiter, Flottillenadmiral Stephan Haisch. Bewusst hat man den Schwerpunkt des Trainings vor die Küste Estlands und Lettlands gelegt.
Angenommener Ausgangspunkt ist die feindliche Blockade eines Handelsschiffes. Es folgt ein Angriff auf Nato-Schiffe – die Eskalation nimmt ihren Lauf. Eine Begrenzung des Konflikts scheint nicht möglich, denn im Übungsszenario ist sogar das Anlanden von Nato-Truppen im Baltikum vorgesehen. Kaack unterstreicht, man wolle ein »klares Signal der Wachsamkeit aller Partner« in Richtung Russland senden.
Dessen militärischer Spielraum ist seit der deutschen Einheit, der anschließenden Nato-Osterweiterung und der jüngst erfolgten Aufnahme Finnlands und Schwedens in die Allianz sehr eingeengt. Allerdings weiß man in den Nato-Stäben auch, dass die russische Enklave um Kaliningrad militärstrategisch durchaus ins Gewicht fällt. Die dort stationierten Flugabwehrraketen haben eine große Reichweite und mit den in Stellung gebrachten Mittelstreckenflugkörpern könnte Moskau zumindest teilweise die Ostseezugänge abriegeln. So hätte die Nato Schwierigkeiten, über den maritimen Weg Nachschub in ein mögliches Konfliktgebiet oder in die neuen Mitgliedsstaaten Schweden und Finnland zu bringen.
Übungen im freien Seegebiet bieten stets Möglichkeiten für Missverständnisse. Moskau betrachtet den westlichen Aufmarsch als eine Provokation und beobachtet das Geschehen sehr aufmerksam, allerdings auch mit großer Zurückhaltung. Beide Seiten verhielten sich »seemännisch ganz sauber«, kämen sich gegenseitig nicht zu nahe und grüßten sich freundlich, sagt Übungschef Haisch.
Deutschland verknüpft »Northern Coasts« mit weitergehenden politischen Interessen. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine hatte man wiederholt betont, eine stärkere Führungsrolle in der Nato und in Europa einnehmen zu wollen. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) machte dabei im Juni Nägel mit Köpfen. Er versprach, eine kampfstarke deutsche Heeresbrigade in Litauen zu stationieren. Das wirft bereits in der Planungsphase einige Probleme auf. Noch fehlen Unterkünfte für die Mannschaften, Übungsplätze sowie Wohnungen samt Umfeld für Familien. Zudem ist in der Truppe keinerlei Vorfreude auf einen langen Auslandseinsatz an der Nato-Ostflanke zu verspüren.
Da hat es die Marine mit ihrem Vorschlag für deutschen Bedeutungszuwachs leichter. Sie hat angeboten, in Rostock ein regionales Marinehauptquartier für die Ostsee einzurichten. Der dafür vorgesehene Stab leitet bereits das derzeitige Kriegsspiel. Doch bislang blieb die Idee eines neuen Ostsee-Kommandos ohne Resonanz. Deshalb nutzte Kaack den Manöverbeginn, um mit Hilfe der dpa daran zu erinnern, dass »ein Brief des Generalinspekteurs beim Stellvertreter des Nato-Oberbefehlshabers Europa« liege. In dem sei dargelegt, »dass wir die Fähigkeit bereitstellen können, ein regionales Hauptquartier für die Ostsee zu machen«.
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Die Ostsee ist nur ein Gebiet, in dem Nato und Russland aufrüsten. Moskaus Nordflotten, die ihre Basen nahe Murmansk haben, sind ein weitaus gewichtigerer Gegner. Die Arktis wird immer mehr zum Schauplatz widerstreitender nationaler Interessen. Das schmelzende Eis ermöglicht den Zugang zu bislang unerreichbaren Bodenschätzen, neue Seewege öffnen sich. Zwar haben sich die Anrainerstaaten 2008 darauf geeinigt, mögliche Konflikte um den Kontinentalsockel friedlich zu lösen, doch der Angriff Russlands auf die Ukraine hat auch in dieser Region Argwohn erzeugt. Unlängst übten deutsche »Eurofighter« über Island.
Bislang wäre es auch nicht einmal eine Protokollmeldung wert gewesen, dass Pascal Hector, deutscher Botschafter in Dänemark, Grönland besucht. In der aktuellen Situation schaut man aber genauer hin, zumal Hector bei einem Treffen mit dem arktischen Kommando der dänischen Streitkräfte erklärte: »Es ist sehr wichtig, dass Europa auch in sicherheitspolitischen Fragen engere Verbindungen zu Grönland knüpft.«
»Northern Coasts« wird noch bis zum 23. September fortgeführt. Für das kommende Frühjahr ist dann an der Ostflanke der Nato eine noch größere Übung geplant. Bei »Steadfast Defender 2024« sollen 50 Schiffe und 41 000 Soldaten zum Einsatz kommen.
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