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Das Märchen von der CO2-Kompensation
Studie belegt, dass Waldschutzprojekte kaum Emissionen vermeiden
Plötzlich schien es ganz einfach, grün und nachhaltig zu konsumieren. Auf dem Schweinesteak im Supermarkt glänzte das Siegel »Klimaneutral«, die Luxusmodemarke Gucci warb mit Klimaneutralität und selbst der Billigflug in den Sommerurlaub – so stand es auf dem Ticket – war klimaneutral. Denn dem Klima sei es schließlich egal, wo Emissionen eingespart würden, so lautete das Mantra.
»Der Begriff ›klimaneutral‹ auf Produkten ist nicht gesetzlich geschützt«, schreibt das Umweltbundesamt. Er lässt demnach keine Rückschlüsse darüber zu, ob die gesamten Emissionen ausgeglichen wurden oder nur Teile. Ebenso bleibt offen, ob es auch beim Hersteller Bemühungen gab, Umweltbelastungen zu verringern, und über welches Klimaschutzprojekt die Kompensation stattgefunden hat.
Wegen der Gefahr von Greenwashing legte die EU-Kommission im März einen Gesetzentwurf vor, laut dem Produkte nur dann als klimaneutral oder umweltfreundlich gelten dürfen, wenn dies wissenschaftlich belegt werden kann. Mittlerweile haben die großen Klimaberatungsfirmen Climate Partner, Myclimate und South Pole reagiert und neue Label eingeführt. Jetzt steht zum Beispiel »Climate-Partner-zertifiziert« anstelle von »klimaneutral« auf diversen Produkten. »Das ist natürlich in erster Linie eine kosmetische Veränderung«, sagt Carsten Warnecke, Experte für CO2-Märkte beim New Climate Institute. »Im Hintergrund läuft vermutlich zunächst alles weiter wie bisher.«
Das eigentliche Problem liegt tiefer. In der Kritik sind besonders Waldschutzprojekte – von ihnen stammt ein Großteil der CO2-Zertifikate, mit deren Hilfe sich Unternehmen von Netflix bis Volkswagen noch bis vor kurzem Klimafreundlichkeit erkauft hatten. Sie sollen zum Beispiel tropischen Regenwald vor der Abholzung retten. Wie viele Emissionen vermieden werden, beruht auf spekulativen Prognosen der Projektbetreiber*innen. Die Prognosen sollen sich an der Rodungshistorie von Vergleichsgebieten orientieren. Je höher die vermutete zukünftige Abholzung ist, desto mehr CO2-Zertifikate können für ein Waldschutzprojekt verkauft werden.
Eine im Fachjournal »Science« erschienene Studie belegt nun, was viele Expert*innen vermutet hatten: Solche Waldschutzprojekte vermeiden in der Regel wesentlich weniger Emissionen, als sie angeben. Nur sechs Prozent der ausgestellten CO2-Zertifikate führten laut der Forschungsgruppe um den Umweltgeografen Thales West von der Vrije Universiteit Amsterdam tatsächlich zu einer CO2-Vermeidung. Nur bei einem Drittel der 26 untersuchten Projekte war die Abholzungsrate geringer als auf Kontrollflächen. Ein Großteil schützte den Wald also überhaupt nicht.
»Die Projekte sind ineffektiv für den Klimaschutz, aber ökonomisch effektiv für die Betreiber«, sagt der Forstwissenschaftler Michael Köhl. »Solange Projektbetreiber ihre Referenzflächen selbst auswählen können, wird sich daran nichts ändern.«
Bereits im Mai hatten internationale Medienrecherchen ergeben, dass nicht nur viele Kompensationsprojekte wertlos sind, sondern auch das dahinterliegende System geradezu zum Betrug einlädt. Mittlerweile haben einige Konzerne Aussagen zu ihren Klimabilanzen zurückgezogen, die auf Waldschutzprojekten beruhten. Der Markt für die freiwillige CO2-Kompensation ist weltweit eingebrochen.
Doch gibt es nicht auch sinnvolle Kompensationsprojekte, etwa bei Aufforstung oder Moorwiedervernässung? Wenn man Carsten Warnecke folgt, gibt es sie nicht. Da wäre einmal das Problem der doppelten Inanspruchnahme. Nicht nur das Unternehmen, das sich die Zertifikate kauft, schreibt sich die Emissionen gut, sondern auch das Land, in dem sich das Projekt befindet. Gleichzeitig setzt der Mechanismus falsche Anreize: Um Finanzströme aus dem Ausland für die Projekte zu garantieren, lohnt es sich für die Länder, anspruchslose Klimapläne aufzustellen. Dann lässt sich gut nachweisen, dass sich die Klimaprojekte nicht mit staatlichen Bemühungen überlappen. Falsche Anreize setzt die vermeintliche Klimaneutralität auch bei den Konsument*innen.
Ein spezielles Problem bei Aufforstungsprojekten ist ihr unsicheres Fortbestehen. Niemand kann garantieren, dass nicht in einigen Jahren ein Waldbrand über das Gebiet hinwegzieht. Und wenn es in 30 Jahren doch gerodet wird, wird kein Unternehmen daraufhin seine Klimabilanz korrigieren.
Der freiwillige CO2-Markt sei komplett unreguliert, sagt Warnecke. »Ich könnte mir heute ein Zertifikat basteln, weil ich mit dem Fahrrad in die Arbeit gefahren bin, und das über den Markt verkaufen. Niemand kontrolliert, was dort gemacht wird.«
All das heißt nicht, dass Unternehmen keine Klimaschutzprojekte mehr unterstützen sollten. Das Problem ist das Narrativ: Statt sich mit dem Geld angebliche Klimaneutralität zu erkaufen, sollte es als Beitrag für Klimaschutz verstanden werden. Zertifikate, die das belegen, existieren bereits: Die »Contribution Claims« können nicht auf die Klimabilanz des Unternehmens angerechnet werden. Bisher wird das Modell noch nicht großflächig genutzt, aber das Interesse daran wächst.
Das New Climate Institute selbst zahlt zum Beispiel 120 Euro für jede Tonne CO2, die die Organisation nicht vermeiden kann, in einen internen Fonds. Mit diesem Geld werden schließlich Projekte unterstützt. Der selbst gesetzte CO2-Preis soll nach und nach auf 200 Euro ansteigen. Das ist der Betrag, der laut Berechnungen des Umweltbundesamts dem Schaden entspricht, den eine Tonne CO2 verursacht.
Wichtig sei, ergänzt Warnecke, dass das Geld nicht in Projekte fließe, die das Projektland auch selbst stemmen könnte, zum Beispiel bei Waldschutz oder Aufforstung, sondern in anspruchsvolle Vorhaben, die aufgrund von fehlendem Fachwissen oder hohen Kosten für das Projektland selbst nicht realisierbar wären. Mit den Spenden werde das New Climate Institute zwar nicht klimaneutraler, betont Warnecke. Aber es werde damit zumindest so gut wie möglich seiner Verantwortung gerecht.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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