- Politik
- EU-Sanktionen
EU-Sanktionen: Brüssel ist scharf auf Russen-Autos
Die EU hat ihre Sanktionen aktualisiert und will alles konfiszieren, was vermeintlich den Krieg finanziert
Eigentlich gelten die Sanktionen gegen russische Staatsangehörige bereits seit Juli 2014, nachdem Moskau die Schwarzmeerhalbinsel Krim annektiert hat. Bislang wurden Menschen mit russischem Pass allerdings kaum von den europäischen Behörden bedrängt. Am vergangenen Freitag jedoch stellte die Europäische Union mit einem Update des Sanktionskatalogs klar: Wer Russe ist, darf bestimmte Gegenstände nicht einführen. Ganze 160 Positionen stehen auf der Liste, vom Auto über Laptops bis hin zu Rasierzeug und Kosmetika.
Die härteren Maßnahmen hatten sich bereits im Sommer angekündigt. Ende Juni berichtete das Petersburger Nachrichtenportal Fontanka von einem Dutzend Fällen, in denen der deutsche Zoll Fahrzeuge von Russen einkassiert hatte, sowohl von Touristen als auch von Menschen, die länger in Deutschland lebten. Laut Fontanka konfiszierte der Zoll bei Hamburg etwa das Auto eines Paares auf der Durchreise direkt auf der Autobahn. In einem anderen Fall wurde der Pkw eines Russen mit Aufenthaltsgenehmigung direkt vor dessen Haus abgeschleppt. Später kippten Richter jedoch die Beschlagnahmungen, weil sie juristisch nicht haltbar waren.
Sinn der Sanktionen unklar
In der Denkweise Brüssels dienen Autos und alle anderen Gegenstände, die Menschen aus Russland mit sich führen, nur einem Zweck: Sie sollen zu Geld gemacht werden, um damit Moskaus Krieg in der Ukraine zu finanzieren. Wie die EU darauf kommt, erklärt sie nicht. Vielmehr nimmt sie all diejenigen, die aus Russland fliehen wollen, und Menschen, die bereits seit vielen Jahren in der EU Schutz suchen, für die Taten von Kremlchef Wladimir Putin in Sippenhaft und liefert damit eine Steilvorlage für die Propaganda der Staatsmedien.
Gegen dieses wahllose Vorgehen gibt es Kritik. In einem Brief an die Finanzkommissarin Mairead McGuinness beschwerte sich der russische Oppositionspolitiker Maxim Katz, der in Abwesenheit zu acht Jahren Haft in Russland verurteilt worden war, dass die Maßnahmen mit Menschenrechtsaktivisten, Studenten und Angestellten die Falschen träfen, deren Einreise auf diese Weise erheblich erschwert werde. Zudem, so Katz, sei das Auto eine der wenigen Möglichkeiten, Russland schnell zu verlassen.
Sanktionen treffen die Falschen, sagen Kritiker
Ähnlich äußerte sich auch der Europaabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, Sergey Lagodinsky, in einem Brief an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, aus dem das russischsprachige Nachrichtenportal Meduza zitiert. Lagodinsky bezeichnet die Maßnahmen als »juristisch und politisch fehlerhaft«, die das Embargo als politisches Instrument diskreditierten. Brüssels Vorgehen helfe nicht, die russische Aggression zu beenden, heißt es weiter. Statt Gegenstände von Russen zu konfiszieren, die dauerhaft in der EU wohnten, solle man sich auf Waren konzentrieren, die wirklich für den Krieg notwendig seien, so Lagodinsky, der von der Leyen auffordert, die Interpretation der Sanktionen zu überdenken.
Eine Anfrage von »nd« konnte Lagodinsky nicht beantworten, weil die EU am Mittwochabend von ihrem kategorischen Nein zur Einfuhr der aufgelisteten Gegenstände abwich. Vielmehr sollen die Mitgliedsländer im Einzelfall entscheiden können. Autos sollen nur kontrolliert werden, wenn der Verdacht besteht, dass sie für die Umgehung der Sanktionen genutzt werden. Persönliche Gegenstände sollen auf »angemessene und zumutbare Weise« behandelt werden. Aus Sicht der russischen Vertretung bei der EU ist das nicht genug. Die Sicherheit von Russen werde sich trotzdem nicht verbessern, heißt es dort.
Balten und Deutsche wollen Autos konfiszieren
Juristen, die vom Nachrichtenportal Agenstwo befragt wurden, gehen davon aus, dass insbesondere in Nordeuropa die Wahrscheinlichkeit hoch sei, dass Zollbeamte Autos konfiszierten. Während Finnland die aktualisierten Vorgaben vorerst nicht umsetzen will, schlossen die baltischen Republiken Estland, Lettland und Litauen am Donnerstag ihre Grenzen für Pkw mit russischen Kennzeichen. Litauen gab zudem an, persönliche Gegenstände konfiszieren zu wollen, und verweigerte sogar einem litauischen Staatsbürger in einem in Russland zugelassenen Auto die Einreise. Auf X (Twitter) schrieb Estlands Außenminister Margus Tsahkna, Russen seien nicht willkommen, solange die Ukraine nicht gesiegt habe.
Auch in Deutschland sollen die Beschränkungen »unmittelbar nach Inkrafttreten der Regelungen im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags umgesetzt« werden, schreibt die Pressestelle der Generalzolldirektion auf Anfrage von »nd«. Wer genau ins Visier der Fahnder gerät, will der Zoll »aus einsatztaktischen Erwägungen« nicht verraten. Man werde »risikoorientierte Kontrollen« durchführen, heißt es lediglich aus Bonn.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.