Untersuchungsausschuss Neukölln-Komplex: Polizei packt aus

Zum dritten Mal sagen Polizeibeamte im Untersuchungsausschuss zur Neuköllner Anschlagserie aus

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 4 Min.

Wie konnten Nazis jahrelang Neukölln terrorisieren? Warum wurden die rechtsextremen Brandanschläge nicht verhindert, nie jemand auf frischer Tat ertappt? Diesen Fragen rund um den Neukölln-Komplex geht am Freitag erneut der Untersuchungsausschuss auf den Grund. Nachdem die ersten sieben Sitzungen sich auf die Perspektiven von Betroffenen konzentrierten, lädt nun zum dritten Mal das Abgeordnetenhaus Vertreter*innen aus den Sicherheitsbehörden als Zeug*innen vor.

Am Freitag kommen die Kriminalhauptkommissare W. und T. in den Ausschuss. W. leitete die Ermittlungen der »Bao Fokus«. Diese Sonderermittlungsgruppe wurde im Mai 2019 durch den damaligen SPD-Innensenator Andreas Geisel eingerichtet, um gezielt gegen die Neuköllner Anschlagserie vorzugehen. W. hatte bereits davor in der »EG Resin« (Ermittlungsgruppe Rechtsextremistisch motivierte Straftaten in Neukölln) gearbeitet. Die hatte zwei Jahre zuvor die Ermittlungen zum Neukölln-Komplex gebündelt.

Als zweiter Zeuge soll Kommissar T. aussagen. T. war in der »Bao Fokus« für die Auswertung zuständig, also für die Sammlung und Analyse von Ermittlungsergebnissen. Vasili Franco erhofft sich von den Polizisten W. und T. Hinweise, warum die »Bao Fokus« keine Erfolge einbrachte. Der Innen-Experte und Grünen-Politiker im Abgeordnetenhaus hat seit Mai den Vorsitz im Untersuchungsausschuss inne. Franco will T. vor allem in Hinblick auf mögliche Datenlecks befragen. »Bisher hieß es sowohl von der ›BAO Fokus‹ als auch von Sonderermittlern, dass keine Auffälligkeiten gefunden wurden. Wir werden nachfragen, wie genau mögliche Datenabfragen über Betroffene überprüft worden sind.« Denn offen bleibe bisher, wie bestimmte Informationen über Antifaschist*innen an das rechtsextreme Netzwerk gelangten.

In der vorvorherigen Sitzung Ende Juni hatte Andreas Majewski, früherer Leiter der »Bao Fokus«, bereits Probleme seiner Ermittlungsgruppe geschildert. So hätte es an Zeit und Ressourcen gemangelt, um sich alle verdächtigen Taten und Anschläge seit 2009 anzuschauen. »Er musste deshalb den Untersuchungszeitraum begrenzen und die Serie erst ab 2016 ermitteln«, berichtet Franco. Daraus ergibt sich für Franco eine wichtige Erkenntnis: »Zu allem, was vor 2016 passiert ist, sind die Ergebnisse der Polizei sehr dürftig.«

Zudem bemängelte Majewski die schleppende Datenauswertung. Weil das Landeskriminalamt nicht mehr Personal zur Verfügung stellte, das im Umgang mit dem Computerprogramm »Casa« geschult war, hätte sein Team Daten nicht optimal auswerten können.

Muckefuck: morgens, ungefiltert, links

nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik - aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin - ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.

So etwa im Fall von Ferat Koçak: Im Februar 2018 wurde ein Brandanschlag auf Auto und Carport des Linke-Politikers verübt. Die Polizei hatte im Vorfeld Neuköllner Nazis dabei observiert, wie sie das Grundstück ausspionierten. Doch weil diese Informationen nicht in »Casa« landeten, wurde das Muster nicht erkannt und Koçak nicht gewarnt.

Matthias Müller von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin weist außerdem auf die Aussagen des ehemaligen Leiters der EG Resin, Michael E., hin. Der hatte in der vergangenen Sitzung die Vermutung geäußert, dass Polizeibeamt*innen Ermittlungsschritte an Nazis durchsteckten. »Diesen Aussagen muss der Ausschuss nachgehen«, fordert Müller gegenüber »nd«. Neu sei der Verdacht zwar nicht. »Aber er wurde noch nie in dieser Deutlichkeit aus der Polizei heraus geäußert.«

Außerdem sollte der Ausschuss den Sachverhalt rund um die Droh-Grafittis beleuchten, so Müller. Zu einer Tatnacht im März 2019 tauchte später ein Oberservationsvideo auf, das zwei Täter zeigt, die von der Polizei identifiziert wurden. »Hier stellen sich die Fragen, ob die Personen auch für die Drohsprühereien im Dezember 2016 und Februar 2017 verantwortlich sein könnten und weswegen eine Person bislang gar nicht belangt wurde«, so Müller. Außerdem äußerte der Betroffene des Droh-Grafitti vor Gericht die Vermutung, seine Daten seien aus Ermittlungsakten in die Hände der Rechtsextremen gelangt.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -