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AfD-Affäre im Thüringer Landtag: Keine Brandmauer, nirgends
CDU-Spitze kann bei der Thüringer Kooperation mit Rechtsaußen weiter keinen Tabubruch erkennen
In den letzten Monaten waren Aussagen von CDU- und CSU-Politikern oft kaum von denen ihrer Kollegen in der AfD zu unterscheiden. Zum Beispiel was die Forderungen nach mehr und schnelleren Abschiebungen angeht oder die Einführung einer Arbeitspflicht für Erwerbslose, die nicht ausreichend mit den Jobcentern kooperieren. Bei letzterer gehen die Vorschläge von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sogar noch über das hinaus, was etwa der sozialpolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Bundestag, René Springer, vorschlägt.
Ein weiterers Beispiel: »Klimakleber« werden sowohl von Konservativen als auch von der extremen Rechten als »Terroristen« bezeichnet, die juristisch hart verfolgt und deren Organisationen verboten gehörten. Etwas, was man mit Blick auf rechte Brandstifter und ihre mörderischen Vollstrecker von CDUlern nur extrem selten hört.
Und in diesen Tagen gibt es bislang nur wenige CDU-Politiker, die es problematisch finden, dass die Thüringer CDU-Fraktion die von ihr geforderte Absenkung der Grunderwerbsteuer von 6,5 auf fünf Prozent mit Hilfe der AfD und ihrer aktuell 19 Abgeordneten am Donnerstag durch den Landtag brachte. In aller Deutlichkeit hat das aus der Riege der Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins Regierungschef Daniel Günther kritisiert. »Ich halte das für eine schwerwiegende Fehlentscheidung, die da getroffen worden ist«, sagte er dem ZDF. Eine Abweichung von der Parteilinie offenbar, denn der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz reagierte auf eine entsprechende Nachfrage in einem Fernsehinterview am Sonntagabend gereizt: Günthers Äußerungen seien eine »Einzelmeinung in der CDU«, erklärte er. Es gebe »niemanden sonst, der das teilt«.
Die Mehrheitsmeinung wiederholte Merz gebetsmühlenartig: »Wir richten uns nicht danach, wer zustimmt, sondern wir richten uns danach, was wir in der Sache für richtig halten, und dabei bleibt es.« In Thüringen habe es vor der Abstimmung am vergangenen Donnerstag »keine Gespräche, keine Verhandlungen, keine Absprachen« zwischen CDU und AfD gegeben, beteuerte Merz.
Dem schloss sich am Montag auch die CDU-Spitze an. Generalsekretär Linnemann und CDU-Vizechefin Karin Prien erklärten auf einer Pressekonferenz, Thüringens CDU-Chef Mario Voigt habe im Bundesvorstand »viel Zustimmung erfahren«. Linnemann betonte: »Wir dürfen uns nicht abhängig machen von anderen, wenn es um unsere Überzeugungen geht und um unsere Initiativen.« Es sei um die Entlastung von Familien gegangen.
Ganz einsam ist Günther indes nicht. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Kai Whittaker bezeichnete auf der Plattform X das Verhalten der Thüringer als Verstoß gegen den Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU. Dies bedeute das »Ende der ›Brandmauer‹ zur AfD«. Und Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst betonte am Wochenende auf der »Westfälischen Friedenskonferenz« in Münster, Thüringens AfD-Landes- und Fraktionschef Björn Höcke sei ein »Nazi«, mit dem man »gar nichts machen« dürfe.
Thüringens CDU-Chef Voigt hatte sich indes auch auf Bundeskanzler Olaf Scholz berufen. Der SPD-Politiker hatte im August in der »Thüringer Allgemeinen« gesagt: »Niemand sollte sich davon abhängig machen, wie die AfD abstimmt.« Wenn die AfD am Ende dafür sorge, dass ein Antrag einer anderen Partei eine Mehrheit bekomme, dann sei das »doch keine Zusammenarbeit«.
Selbst wenn man das so sähe: Wie notwendig die Grunderwerbsteuersenkung mit Hilfe der AfD nun war, darüber lässt sich streiten. Und ebenso darüber, ob die erst im November im Erfurter Landtag von CDU, FDP und AfD gemeinsam durchgesetzte Vorschrift, der zufolge Thüringer Behörden in ihren Texten künftig keine gendersensible Sprache mehr benutzen dürfen, keinen Aufschub duldete.
Thüringens CDU hatte bereits im Februar 2020 bundesweit für einen Aufschrei gesorgt, als sie zusammen mit AfD und FDP den FDP-Mann Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten wählte. Sie ruderte damals auch nach Intervention von Bundeskanzlerin Angela Merkel zurück, die den Vorgang als »unverzeihlich« bezeichnet hatte.
Nicht nur in Thüringen glaubt die CDU, auch in Bayern glauben die CSU und Freie Wähler, die AfD einhegen zu können, indem sie sie rechts überholen. Bislang nützte das vor allem im Osten dem Original: Die AfD kommt in den aktuellen Umfragen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg auf Werte von mehr als 30 Prozent und ist damit stärkste Partei. In diesen Bundesländern werden im nächsten Jahr neue Landtage gewählt.
In Thüringen kommt hinzu, dass nach den aktuellen Umfragewerten kaum eine Option ohne die AfD existiert. Die amtierende Minderheitsregierung von Linkspartei, Grünen und SPD käme zusammen nur noch auf 38 Prozent der Stimmen. Auch für ein Bündnis von Linke und CDU – für das sich Linke-Regierungschef Bodo Ramelow prinzipiell offen gezeigt hatte – würde es derzeit nicht reichen. Beide Parteien kämen zusammen nur auf 43 Prozent der Stimmen. Und selbst ein Bündnis von CDU, SPD und Grünen wie in Sachsen wäre in Thüringen derzeit nicht möglich. Die drei Parteien kommen momentan zusammen nur auf 37 Prozent.
Auf kommunaler Ebene haben CDU-Leute ohnehin seit langem keine Berührungsängste mit der AfD. Sie setzen mit deren Hilfe eigene Projekte um, übernehmen Forderungen der Rechten und machen mit ihrer Unterstützung Personalpolitik, wie eine umfängliche Auflistung solcher Fälle durch die Heinrich-Böll-Stiftung zeigt. Sie belegt auch, dass solche Kooperationen in Ostdeutschland häufiger, aber auch im Westen keine Einzelfälle mehr sind. Und dass auch einzelne SPD- und Linke-Kommunalpolitiker die »Brandmauer« nicht so wichtig finden.
Letztlich hat auch die Ampelkoalition mit ihrer Flucht- und Migrationspolitik rechte Positionen übernommen. Auf AfD-Veranstaltungen werden die Ankündigungen von Innenministerin Nancy Faesers in Sachen Abschiebungen und sichere Herkunftstaaten als Erfolge der eigenen Politik gefeiert.
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