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DFB-Elf: Neuanfang mit Nagelsmann
Der DFB stellt seinen zwölften Bundestrainer vor – und ordnet im Hintergrund seine Direktion Sport völlig neu
Wenn die Fotografen bereits in den Morgenstunden neben dem Parkdeck zum Campus des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) im Frankfurter Stadtteil Niederrad in Stellung gehen, ist ein besonderer Tag angebrochen. Und tatsächlich konnte der Verband am Freitag auch offiziell seine wichtigste Personalfrage in Präsenz klären: Zur Mittagsstunde wurde Julian Nagelsmann als neuer Bundestrainer vorgestellt, vorerst nur mit einem bis zum 31. Juli 2024 ausgestatteten Vertrag. Dem 36 Jahre alten Fußballlehrer assistieren mit Sandro Wagner und Benjamin Glück zwei Assistenten, die nur ein Jahr jünger beziehungsweise älter sind. Die Botschaft: voller Fokus auf die Heim-EM im nächsten Sommer. Weiter reicht der Masterplan bei der A-Nationalmannschaft nicht.
Nach dem Blitzlichtgewitter auf der Pressekonferenz richtete Nagelsmann seine Vorfreude auf diese herausfordernde Aufgabe aus: »Wir haben eine Europameisterschaft im eigenen Land. Das ist etwas Besonderes – etwas, das alle paar Jahrzehnte mal vorkommt. Dieser Tatsache, ein großartiges Turnier in einem großartigen Land zu haben, ordne ich alles unter.« Dass ein sicherlich hochtalentierter, aber auch nicht fehlerfreier Trainer die Nachfolge von Hansi Flick antritt, hatte sich seit Tagen abgezeichnet. Aufsichtsrat und Gesellschafterversammlung der DFB GmbH & Co KG signalisierten ihre Zustimmung, wobei Sportdirektor Rudi Völler gleich klarstellte, dass Nagelsmann dem Verband »bei der wirtschaftlichen Entscheidung unglaublich entgegengekommen« sei.
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Der nach dem 1:4-Debakel gegen Japan freigestellte Hansi Flick soll zwischen sechs und sieben Millionen Euro jährlich verdient haben. Kolportiert wird bei Nagelsmann nun ein Monatsgehalt von weniger als 400 000 Euro, wobei der FC Bayern den im Frühjahr entlassenen Nagelsmann ohne Entschädigung ziehen ließ – dort soll Nagelsmann das Doppelte bekommen haben. Die kurze Laufzeit seines neuen Arbeitsvertrags ist eine Lehre, die Nagelsmann noch aus München mitnimmt. Die Arbeit solle gegenseitiges Vertrauen wecken. Nächsten Sommer werde man einfach gemeinsam Bilanz ziehen: »Wenn es befruchtend für beide Seiten ist, dann ist nichts ausgeschlossen.«
Er wolle in der Zusammenarbeit mit der Mannschaft »nichts verkomplizieren«, aber dennoch »attraktiven Fußball« anbieten. Sein Versprechen: »Wir werden keine verschiedenen Grundordnungen spielen – keine Sorge.« Weil er nicht täglich mit den Spielern arbeiten könne, werde sein Plan »nicht so komplex« sein. Eine griffige Philosophie hatte der sehr selbstbewusst wie ausgeruht wirkende »Bauchgefühlsmensch« (Nagelsmann) auch parat: »Eine gesunde Aggressivität Richtung gegnerisches Tor – nicht nur im eigenen Ballbesitz.« Hörte sich auf jeden Fall gut an.
DFB-Präsident Bernd Neuendorf gab sich nach der Vertragsunterzeichnung in seinem Büro überzeugt, »eine starke und überzeugende Lösung« gefunden zu haben. »Wir haben eine gemeinsame Mission«, postulierte der Verbandschef. Derweil sprach sein Sportchef Völler sogar von einem »Glücksfall«, dass solch ein Trainer auf dem Markt gewesen sei. Bezugnehmend auf das Alter von Nagelsmann bemerkte der in Ehren ergraute Volkstribun, dass der Wunschkandidat doch bitte »acht Jahre Trainererfahrung auf höchstem Niveau« besitze. Jünger war auf diesem verantwortungsvollen Posten der Volksschullehrer Otto Nerz, als er 1926 zum ersten Trainer der deutschen Nationalelf ernannt wurde.
Nagelsmann erinnert die Situation ein bisschen an seine Anfangszeit im Winter 2016 als jüngster Bundesligacoach bei der TSG Hoffenheim. Aber: »Ganz so düster wie damals sieht es nicht aus.« Sein Kapitän soll übrigens Ilkay Gündogan bleiben, diese Entscheidung seines Vorgängers wird beibehalten. Die Amtszeit von Flick muss ansonsten aber als Irrtum verbucht werden; zu eng folgte der frühere Assistent von Joachim Löw noch einer Philosophie, die sich überholt hatte.
Warum der gerade in der Türkei entlassene Stefan Kuntz nie wirklich auf die Kandidatenliste rückte, obwohl seine Titelgewinne mit der U21 bei der EM 2017 und 2021 eigentlich für ihn sprechen, ist ein bisschen verwunderlich. Aber vielleicht hat sich der DFB auch vom Zeitdruck treiben lassen, denn bis zur nächsten Länderspielreise ist es nicht mehr so lange: Am 9. Oktober geht der Flieger zur nicht unumstrittenen Amerika-Reise mit den Länderspielen gegen die nächsten WM-Gastgeber USA in East Hartford am 14. Oktober und gegen Mexiko in Philadelphia am 17. Oktober.
Der vierfache Weltmeister ist aktuell nur noch Mittelmaß, steht in der Weltrangliste auf Platz 15 irgendwo zwischen Marokko, der Schweiz, Kolumbien und Uruguay. Und den Rückhalt der Fans muss sich die Mannschaft erst erarbeiten. Kann Nagelsmann derjenige sein, der Sympathien zurückgewinnt? An dieser Stelle sind vielleicht die meisten Zweifel erlaubt. Das neue Gesicht auf der Trainerbank soll schließlich eine Aufbruchstimmung schüren und gleichzeitig den Ballast von der WM in Katar endgültig vertreiben.
Im Hintergrund wird gerade der Machtapparat des danach geschassten Oliver Bierhoff nach und nach zerschlagen – personell und strukturell. Mit Andreas Rettig ist der größte Kritiker der kommerziellen Auswüchse des Profifußballs als Geschäftsführer Sport installiert. Ihm arbeiten nun Völler, Wolf und ein noch zu bestimmender Direktor vor, der den Fußball der Frauen verantworten soll. Der mit den DFB-Frauen zum Nations-League-Auftakt nach Dänemark gereiste Joti Chatzialexiou, offiziell noch Sportlicher Leiter Nationalmannschaft, wird den letzten vakanten Job dieser 200 Mitarbeiter umfassenden Direktion nicht besetzen. Mit Akademieleiter Tobias Haupt ist ein weiterer Bierhoff-Intimus kaum mehr sichtbar. Diesem Zirkel trauen die DFB-Oberen offenbar nicht mehr.
Es ist sicherlich diskutabel, auf die Expertise solcher Fachleute zu verzichten, doch eines spricht gegen sie: der latente Misserfolg dieses ernüchternden Sommers. Erst setzte die A-Nationalmannschaft ihre Juni-Freundschaftsspiele gegen die Ukraine, Polen und Kolumbien in den Sand, dann schied die U21 bei der EM in Georgien und Rumänien aus, ehe die Frauen bei der WM in Australien das erste Vorrundenaus der Geschichte beklagten. Der Ansehensverlust für den Ausrichter der EM 2024, vielleicht auf absehbare Zeit das letzte große Fußballturnier in Deutschland, hätte nicht größer sein können. Dass Neuendorf eine Neuordnung wollte, ist nachvollziehbar. Ob Nagelsmann der Richtige für den Neuanfang ist, muss sich erst noch zeigen.
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