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  • Durch Montenegro, Kosovo und Albanien

Balkan-Fernwanderweg: Diese Tour ist der Gipfel!

Zehn Tage lang auf dem Fernwanderweg »Peaks of the Balkans« durch Albanien, Montenegro und Kosovo: Von zerklüfteten Bergen, großer Herzlichkeit und den Freuden eines Aufstiegs am frühen Morgen

  • Thomas Bauer
  • Lesedauer: 7 Min.
Begegnung auf 2000 Metern Höhe: Einheimische sind in den Bergen gerne zu Pferd unterwegs.
Begegnung auf 2000 Metern Höhe: Einheimische sind in den Bergen gerne zu Pferd unterwegs.

Schon die Fahrt in das albanische Bergdorf Theth ist ein kleines Abenteuer. Stundenlang quälen wir uns die kurvenreiche Straße hinauf, ehe es endlich in ein enges Tal geht. Immer wieder springen Schafe vor das Auto. Kein Wunder, dass das Navi für die 70 Kilometer über zwei Stunden veranschlagt hat. Theth ist für die meisten Wanderer der Ausgangspunkt der Tour »Peaks of the Balkans« (Gipfel des Balkans): zehn Tage Wandern im Prokletije, dem höchstgelegenen Teil der Dinarischen Alpen. Die erstrecken sich von der Adria bis hinein nach Serbien.

Regen und Erosion haben hier spektakuläre Bergformationen aus dem Karst geschnitten. Den Tälern sieht man bis heute an, dass sie einst von Gletschern bedeckt waren. Vor allem aber bringt der Wanderweg zusammen, was seit je zusammengehört. Auf alten Hirtenpfaden und Handelsrouten wandert man durch drei Länder, die allen Streitigkeiten zum Trotz immer schon eng miteinander verbunden waren: Albanien, Montenegro und Kosovo.

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Schon am ersten Tag geht es unablässig bergan; eng schmiegt sich der Weg an den Hängen entlang. Zuweilen ist der Pfad kaum erkennbar, dann wiederum zeigt die rot-weiß-rote Markierung unmissverständlich nach oben – bis sich unvermittelt das Tal von Valbona auftut. An dieser Stelle begehe ich den Fehler, zu meinen, dass der anstrengende Teil des Weges geschafft sei. Ist er nicht: Stundenlang in ein Tal abzusteigen ist anspruchsvoller und belastender für die Gelenke als der Aufstieg. So sollte es von nun an jeden Tag sein: Auf einen Anstieg von über 1000 Metern folgt ein gigantisches Hochgefühl; anschließend geht es hinab in ein Dorf, das manchmal nur aus drei oder vier Häusern besteht.

Wanderer müssen sich mit dem Einfachsten begnügen.
Wanderer müssen sich mit dem Einfachsten begnügen.

Findige Gästehausbetreiber haben auf dem Weg nach Valbona die Abzweigung zu ihren Hütten mit den rot-weiß-roten Markierungen des Wanderwegs markiert. Wenn man schon mal da ist, so spekulieren sie, könne man doch gleich für eine Stärkung bleiben. Zu essen gibt es morgens, mittags und abends Gurken, Tomaten, Weißbrot und einen beinahe geschmacksneutralen Käse. Man gewöhnt sich daran. Wettgemacht wird das überschaubare Angebot durch einen herzlichen Empfang und einen ansteckenden, bodenständigen Humor. Und gar nicht selten führt der selbstgebrannte Raki dazu, dass man am Ende des Tages miteinander singt, während der Gastgeber auf einem einsaitigen Instrument spielt, das in Albanien Lahutra und in Montenegro Gusle genannt wird.

Eine Wette auf die Zukunft

Schon seltsam, wenn Orte, von denen man einen Tag zuvor noch nie gehört hatte, zu einer Verheißung werden. Wann komme ich endlich in Dobërdol an? Dieses kosovarische Dörfchen liegt auf knapp 2000 Metern am Ende eines langgezogenen Tals. Im Krieg wurde es vollständig zerstört; mittlerweile weist es als einziges Dorf im Umkreis von Dutzenden Kilometern drei Gästehäuser auf. In einem davon komme ich heute unter. Ob es hier einen WLAN-Empfang gäbe, will ich bei meiner Ankunft wissen und bekomme zur Antwort, dass man nicht einmal über Strom verfüge. Es gebe lediglich einen Schlafplatz im Trockenen. Lektionen in Genügsamkeit.

Spektakuläre Wolken versammeln sich am Himmel, als ich am nächsten Morgen einen Bergrücken erklimme. Anschließend geht es den Grat entlang. Die Temperatur fällt in Richtung Gefrierpunkt. Eisige Winde umtosen mich, ich schlüpfe in zwei Pullover und wickele mir einen dritten um den Kopf. Unten im Tal scheint unbeirrt die Sonne; hier aber stoßen die Wolken an die Hänge, anschließend gleiten sie darüber hinweg. Schroff ist der Bergrücken, steinig, kompromisslos und wunderschön. Ein alpines Hochgefühl breitet sich in mir aus! Doch ebenso abrupt geht es wieder hinunter in die nächste Senke. Büsche und Bäume halten den Wind von mir fern; die Temperatur steigt mit jedem Schritt hinab, ich bin spürbar unterwegs in Richtung Zivilisation mit ihren kuscheligen Annehmlichkeiten.

Tipps
  • Peak of the Balkans: Der Fernwanderweg führt über knapp 200 Kilometer, insgesamt ca. 10 000 Höhenmeter hinauf und ebenso viele wieder hinunter. Dauer ca. 10 Tage.
    www.peaksofthebalkans.com
  • Anreise: mit dem Bus nach Plav oder per Flugzeug nach Tirana, Podgorica oder Prishtina; Einstiegsmöglichkeiten insbesondere in Theth und Plav.
  • Wanderzeit: Juni bis September, Hauptsaison Juli/August.
  • Verpflegung: Einkaufsmöglichkeiten in Theth und Plav, Gästehäuser bieten Essen und Lunchpakete, Wasser holt man sich aus den Quellen und Flüssen.
  • Übernachtung: in rustikalen Gästehäusern, wild campen außerhalb ausgewiesener Schutzgebiete problemlos möglich.
  • Gefahren: unbeständiges Wetter, insbesondere nachmittags Gewitterneigung, keine organisierte Bergrettung o.Ä., im Kosovo Restrisiko durch Landminen.

Im Örtchen Guri I Kuq (Roter Fels) zwingt mir am nächsten Morgen ein heftiges Gewitter einen Pausentag auf. Nachmittags kommen Dutzende Autos die Serpentinen zu unserem Gästehaus hinauf. Eine Hochzeit, erklärt man mir. Bis halb drei Uhr nachts spielt die Kapelle Balkan-Swing, unterbrochen von Bon-Jovi-Covern mit starkem albanischem Akzent. Keine acht Meter Luftlinie davon entfernt suche ich umsonst nach Schlaf.

Kein Wunder, dass ich mich tags darauf mehrfach verlaufe. Oder liegt es an den zahlreichen Wegvarianten und Abstechern, die die Orientierung erschweren? Zuweilen verwechsle ich die rot-weiß-roten Markierungen auch mit jenen des Fernwanderwegs Via Dinarica, die aus unerfindlichen Gründen weiß-rot-weiß sind. Es gibt auch runde Markierungen, in Rot-Weiß. Wer hat das eigentlich festgelegt? Wollte man das Geld für weitere Farben sparen, oder war auf der Sitzung des örtlichen Wandervereins noch Farbe übrig?

Dessen ungeachtet erreiche ich bald darauf das Tal von Babino Polje. Hier komme ich bei einer Bauernfamilie unter. Stolz erzählt mir der Vater, dass er sechs Kühe und einen Bullen habe. Im Sommer grast sein Vieh auf den Almen; im Winter treibt er es in die Täler. Die Großmutter redet derweil unbeirrt montenegrinisch auf mich ein, obwohl ich erkennbar kaum etwas verstehe. Hier gefällt es mir.

Hätten sie mehr Geld, würden sie einen Skilift bauen, bedeutet mir der Familienvater: Um auch im Winter Einnahmen erzielen zu können! Denn die Wandersaison ist allzu kurz; sie reicht von Juni bis September. Ich stelle mir das Tal in zehn Jahren vor: Eine Asphaltstraße, auf der Touristenbusse nach Babino Polje rollen. Strommasten im ganzen Tal, am Anfang und Ende des Skilifts stünden Kioske, vielleicht sogar eine Bar, mit Jagertee und Après-Ski-Gedröhne, und im Advent gibt »Anton aus Tirol« ein Konzert … Brrr!

Ich schaue auf die unbebaute Wiese. Ganz hinten streicht eine Katze durchs Gras. Natürlich will ich, dass alles so bleibt wie bisher, authentisch und unaufgeregt. Und natürlich ist das selbstsüchtig: Immerhin werde ich schon in wenigen Tagen wieder in Deutschland sein. Die Leute hier wollen Fortschritt; sie wollen Wanderer, Snowboarder und Reisebusse.

Und sie sind sich sicher, dass sie kommen werden. Darum bauen sie, was das Zeug hält. Es ist eine Wette auf die Zukunft; sie vertrauen der Anziehungskraft des Fernwanderwegs. Es bleiben ihnen wenig andere Optionen. Etwas in mir wünscht ihnen den ersehnten Erfolg. Zugleich aber bin ich froh, dass ich jetzt hier bin und nicht in zehn Jahren: Die »Peaks of the Balkans« können noch immer entdeckt werden.

Wege durchs Leben

Am nächsten Tag erlebe ich den schönsten Moment der Tour und auch den schwersten: Kurz hinter dem Städtchen Plav quäle ich mich zweieinhalb Stunden lang im strömenden Regen bergauf. Der Blick verändert sich drastisch angesichts so einer heftigen Wetterlage. Man sucht nicht länger nach der besten Aussicht, sondern nach Unterschlupf: einem Gebüsch, einer dicht bewachsenen Stelle im Wald, die Schutz bieten könnte.

Schon nach kurzer Zeit sind meine Schuhe und Socken durchweicht, die Füße kalt. Zu allem Überfluss höre ich, wie in den Tälern geschossen wird. »Damit vertreiben wir Raubtiere, wenn sie sich unserer Herde nähern«, hatte mir der Familienvater in Babino Polje erklärt. Wenig beruhigend.

Irgendwann bricht zum Glück die Sonne wieder durch: Zwischen Wiesen voller Blumen und Kräutern wandere ich einen Höhenrücken entlang. Vor mir erhebt sich das Bergmassiv des Prokletije – gewaltig und formvollendet. Schroff ragen die 2500 Meter hohen Felsformationen in den Himmel. Sie verströmen eine Kraft, die augenblicklich auch mich erfüllt. Diese Kraft wird zu einer abrufbaren Erinnerung werden: Eine Form, ein Geräusch, ein Geruch wird sie emporholen können und mir einen wertvollen Moment lang Mut machen.

»Peaks of the Balkans« ist, so sehe ich es, auch ein Abbild unseres Lebensweges. Auch der führt schließlich oft steiler bergauf und bergab, als es einem lieb ist. Zuweilen müssen wir uns gegen Windböen stemmen, mitunter setzt uns ein Regenschauer fest. Manchmal aber erleben wir ihn: den Moment, der uns unmittelbar klarmacht, dass es sich lohnt, diesen Weg zu gehen. Einen Augenblick lang dürfen wir der Erde ins Antlitz sehen und erkennen ihre Schönheit. Nur kurz, ehe es hinab ins nächste Tal geht. Einen längeren Blick würden wir nicht aushalten.

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