- Kommentare
- Gastbeitrag
Berliner CDU will Mobilitätsgesetz »zerschreinern«
Linke-Politiker Kristian Ronneburg über den fahrradfeindlichen Gesetzesentwurf der Berliner CDU
Das von Rot-Rot-Grün gemeinsam mit der Zivilgesellschaft erarbeitete Mobilitätsgesetz war ein Meilenstein der sozial-ökologischen Verkehrswende. Erstmals machte sich eine Landesregierung daran, den Vorrang des Umweltverbundes nicht nur gesetzlich festzuschreiben, sondern dabei auch qualitative und quantitative Ausbauziele festzulegen.
Dieses historische Verdienst der rot-rot-grünen Koalition fand ein jähes Ende, als die SPD mit Franziska Giffey als Bürgermeisterkandidatin eine Kehrtwende vollzog. Es folgte ein konservativer Rollback in der SPD, um dem Auto-Populismus von CDU und FDP etwas erwidern zu können.
Nachdem sich die SPD nach den Wiederholungswahlen zum Juniorpartner der CDU »verzwergen« ließ, beschworen beide Koalitionspartner ein neues »Miteinander« – eine Chiffre, um Position gegen die sozial-ökologische Mobilitätspolitik der Vorgänger-Regierung zu beziehen. Nun hat sich die CDU darangemacht, das »Miteinander«, das sie meinen, konkret auszubuchstabieren. Vorgenommen haben sie sich dafür das Mobilitätsgesetz, von dem nur noch die Überschrift übrig bleiben soll.
Die CDU-Fraktion möchte nicht weniger, als das Mobilitätsgesetz faktisch abzuschaffen und die Umsetzung weiter zu erschweren. Über allem steht die Entkernung des Mobilitätsgesetzes, indem es dazu genutzt wird, Benachteiligungen für den motorisierten Individualverkehr möglichst zu vermeiden. Wenn Fuß- und Radverkehr sowie der öffentliche Nahverkehr – wie im Mobilitätsgesetz festgelegt – Vorrang haben sollen, dann muss der motorisierte Individualverkehr »etwas abgeben«. Dieses Kernelement des Gesetzes höhlt die CDU bewusst aus.
Ganz praktisch versucht sie, gegenüber der eigenen Verwaltung und den Bezirken ein Stopp-Zeichen auszusenden. Nach Vorstellung der CDU soll künftig nur noch eine Stelle für den Radverkehr in den Bezirken vorgegeben werden. Wie so das Ziel von CDU-Verkehrssenatorin Manja Schreiner erfüllt werden soll, mehr Radwege zu bauen als der Vorgängersenat, bleibt schleierhaft. Daher sollte man auch die Ausbauziele der CDU genauer unter die Lupe nehmen. Ob das angedachte Radverkehrsnetz überhaupt einmal realisiert werden soll, kann nämlich getrost bezweifelt werden.
nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik - aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin - ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.
Die Reduzierung von Zielen führt so weit, dass die CDU nunmehr nicht das gesamte Radverkehrsnetz, sondern nur noch das Vorrangnetz bis 2030 errichten will: Eine glatte Zielreduktion um über 70 Prozent. An die Umsetzung eines zusammenhängenden Radverkehrsnetzes ist nicht mehr zu denken, stattdessen will sich die CDU mit Zwei-Jahres-Plänen behelfen und lieber alte Radwege sanieren, statt neue zu bauen.
Den Gipfel des Zynismus erreicht der Gesetzesentwurf, wenn es um die Regelbreiten der Radverkehrsanlagen geht. Die CDU wurde nicht müde, faktenwidrig zu behaupten, dass die Radverkehrsplanung zu unflexibel sei. Mit »flexibel« meint die CDU nun, dass der Radverkehr mit schlechten Breitenmaßen klarkommen soll und selbst Regelwerke, die höhere Maße vorschreiben, außer Kraft gesetzt werden sollen.
Auch der Fußverkehr hat es nicht leicht. Es wird nirgendwo Vorrang vor dem Auto geben, weder bei der Schaltung von Ampeln noch bei der Raumaufteilung. Überraschenderweise soll auch das Ziel, die Busflotte bis 2030 elektrisch umzurüsten, aufgegeben werden – ob CDU-Finanzsenator Stefan Evers die Kosten zu sehr aufs Gemüt schlagen? Zumindest weniger überraschend ist die Streichung der Straßenbahn aus dem Flächennutzungsplan, die der CDU sowieso zu »ostig« und autofeindlich ist.
Wenn es nicht so ernst wäre, könnte man auch über einige Passagen lachen, denn die CDU schwebt mit dem Gesetzesentwurf in ungeahnten Höhen. Man gerät ins Staunen, welche Vorstellungen sie von der Mobilität der Zukunft hat: Flugtaxis, Drohnen und Hyperloops. Derweil wird ihr verkehrspolitischer Sprecher mit den Worten zitiert, dass man sonst die Zukunft verschlafe, wenn man nur über Busse und Straßenbahnen rede. Die Berlinerinnen und Berliner, die auf dem Boden geblieben sind, werden bei der CDU wohl noch lange auf mehr Busse und Bahnen warten müssen.
Kristian Ronneburg ist verkehrspolitischer Sprecher der Linksfraktion und Mitglied des Abgeordnetenhauses.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.