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Brasilien: Regenwaldschutz im eigenen Interesse
Brasiliens Klima-Staatssekretärin Ana Toni über die Rettung Amazoniens und Kooperation mit der EU
Frau Toni, mehrfach hat ihr Chef, Präsident Lula da Silva, die Industrienationen aufgefordert, mehr für den Schutz des Regenwaldes zu zahlen. Was halten Sie davon?
Den Regenwald zu retten, ist eine Riesenaufgabe. Länder wie Deutschland und Norwegen helfen bereits, weil sie in den Amazonas-Fonds einzahlen. Brasilien ist souverän, aber wir brauchen Hilfe, um diese Jahrhundertaufgabe zu stemmen. Den Wald retten und der lokalen Bevölkerung ein würdevolles Leben bieten, das hat einen Preis. Aber es geht nicht nur um Geld, sondern auch um den Import nachhaltiger Produkte aus Amazonien und um Technologietransfer.
Beim EU-Mercosur-Abkommen gibt es durchaus Differenzen. Lula hat einen Zusatzvertrag der EU kritisiert. Er sehe zu strenge Umweltauflagen vor. Ist diese Kritik nicht ein Widerspruch zur Agenda Ihrer Regierung?
Nein, ganz im Gegenteil. Wir kämpfen nicht gegen die Zerstörung des Regenwaldes, weil wir Druck aus dem Ausland bekommen. Lula wurde gewählt, weil eine Mehrheit der brasilianischen Bevölkerung das will. Wenn die EU-Länder uns helfen wollen, sollen sie mit uns kooperieren und uns nicht drohen. Wir brauchen Respekt und müssen uns gegenseitig wie Partner behandeln. Lula hat recht, wenn er sagt: Eine Hochzeit sollte nicht mit einer Drohung beginnen.
Streitpunkt sind Sanktionsmöglichkeiten bei Umweltvergehen, die im Zusatzvertrag der EU gefordert werden. Was ist denn daran zu kritisieren?
Ana Toni ist im brasilianischen Umweltministerium als Staatssekretärin für Klimawandel tätig. Zuvor leitete die Ökonomin mehrere Umweltschutzorganisationen und war Vorstandsvorsitzende von Greenpeace International.
Seit Amtsantritt hat die brasilianische Umweltbehörde Ibama Tausende Einsätze durchgeführt und viele Strafen verhängt. Umweltverbrechen zu bekämpfen, ist bereits eine Priorität unserer Regierung. Das müssen wir nicht in einem Handelsvertrag festhalten. Die Europäer müssen endlich verstehen: Wir Brasilianer sind es, die das größte Interesse daran haben, die Abholzung zu beenden.
Vor einigen Wochen kamen die Staatschefs der Amazonas-Staaten in der brasilianischen Stadt Belém zusammen. Es gab Kritik, dass kaum konkrete Maßnahmen beschlossen wurden. Was halten Sie davon?
Aus unserer Perspektive war der Gipfel ein großer Erfolg. Seit 14 Jahren waren wir nicht zusammengekommen. Nun stand Amazonien endlich wieder im Fokus, und nicht, weil es uns aus dem Ausland diktiert wurde. In der gemeinsamen Erklärung haben wir deutlich gemacht: Es gibt ein Problem, aber wir werden es lösen.
Ganz so harmonisch war es aber nicht. Kolumbiens Staatschef Gustavo Petro kritisierte die Ausbeutung fossiler Brennstoffe und forderte einen kompletten Stopp der Ölförderung in Amazonien. Das verstanden viele als einen Seitenhieb in Richtung Ihres Chefs.
Die einzelnen Länder haben unterschiedliche Ansichten, und das ist okay. Partnerschaften entstehen durch Dialog. Und nicht alles kann in einem ersten Gespräch geklärt werden. Auch in der EU wird seit Jahren über bestimmte Themen verhandelt, es gibt immer wieder große Kontroversen.
Indigene kritisierten im Nachhinein, sie seien von den zentralen Diskussionen des Gipfels ausgeschlossen gewesen.
Es gab Tausende Veranstaltungen, an vielen nahmen indigene Vertreter teil. Für uns sind Indigene normale Bürger, und sie werden deshalb von den Staatschefs vertreten. Wir sind froh, dass wir am 5. September, dem Amazonas-Tag, die Ausweisung von zwei weiteren indigenen Schutzgebieten verkünden konnten. Das zeigt die Verpflichtung, die Präsident Lula gegenüber der indigenen Bevölkerung hat.
Lula suchte in letzter Zeit aber auch wieder verstärkt die Nähe zum Agrobusiness. Wie ist das zu bewerten?
Brasilien ist der größte Lebensmittelproduzent der Welt. Einige Firmen sind an Umweltverbrechen beteiligt, aber es gibt etliche Unternehmen, die in keiner Weise mit Abholzung in Verbindung stehen. Wir dürfen nicht generalisieren und müssen mehr Unternehmen auf unsere Seite holen.
Die brasilianische Umweltbehörde führt wieder mehr Einsätze durch. Laut indigenen Aktivist*innen kehren Eindringlinge wie Goldgräber*innen häufig aber schon nach wenigen Tagen wieder zurück. Wie kann man die Zerstörung langfristig aufhalten?
Während der Bolsonaro-Regierung hat die Hälfe der Ibama-Mitarbeiter ihre Jobs verloren, deshalb mussten wir die Behörde komplett neu aufbauen, viele Mitarbeiter einstellen. Die Ibama macht nun wieder hervorragende Arbeit. Es kann aber nicht die Lösung sein, einfach nur mehr Kontrollen durchzuführen und in ganz Amazonien Stationen aufzubauen. Wir müssen an die Wurzel des Problems und Eindringlinge wie Goldgräber stoppen, bevor sie in den Regenwald ziehen.
Wie denn das?
Die Frage ist: Wer kauft Rohstoffe wie Gold? Wer investiert in die Zerstörung? Es gibt Ideen, noch stärker die Herkunft von Rohstoffen zu überprüfen und zudem den Verkauf von Maschinen einzuschränken, die man zum Goldabbau braucht. Der einfache Goldgräber ist nur ein kleiner Teil einer viel größeren Struktur. Wir müssen den Menschen in Amazonien wirtschaftliche Alternativen bieten und ihnen klarmachen, dass die Umweltzerstörung auch ihnen schadet.
Im Dezember soll Lula nach Berlin kommen. Was sind die Erwartungen?
Meiner Meinung nach gibt es insbesondere zwei Themen, die uns verbinden: den Kampf gegen den Klimawandel und den Kampf gegen die Ungleichheit. In den vier Jahren unter Bolsonaro wurde unsere historisch gute Beziehung zu Deutschland erschüttert. Nun gilt es, unsere Partnerschaft erneut zu stärken.
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