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Kubas Banken geht das Bargeld aus
Auf die galoppierende Inflation und den informellen Wechselkurs reagiert die kubanische Regierung mit drastischen Maßnahmen
Victor Rodríguez (Name geändert) versteht die Welt nicht mehr. Am Schalter seiner Bankfiliale in Havannas zentralem Stadtteil Centro Habana wollen sie ihm nur 5000 Kubanische Pesos (CUP) auszahlen, und das auch nur in 10er- und 20er-Scheinen. Dabei hat er eine viel größere Summe auf dem Konto und hätte auch gern einen höheren Betrag abgehoben. Denn mit 5000 Pesos – in etwa ein kubanisches Durchschnittsgehalt, das nach offiziellem Wechselkurs rund 40, nach inoffiziellem Wechselkurs rund 20 Euro entspricht – kommt man heute in Kuba nicht mehr allzu weit. In anderen Bankfilialen gebe es zum Teil nur 2000 oder 3000 CUP, sagt die Bankangestellte, und größere Scheine, wenn überhaupt, nur noch am Geldautomaten.
Kubas Banken geht das Bargeld aus. Die Geldmenge außerhalb der Banken hat dagegen beträchtlich zugenommen, wie Statistiken zeigen. Lange Warteschlangen vor Banken und Geldautomaten sind an der Tagesordnung. Angesichts der Bargeldknappheit hat sich bereits vor Wochen ein informeller »Bargeldmarkt« gebildet. In den sozialen Netzwerken wird Bares mit einem Aufschlag von zehn Prozent angeboten, d.h., wer 1000 CUP in bar möchte, muss 1100 überweisen.
Die Gründe für die Bargeldknappheit sind schnell auf den Punkt gebracht: Wegen der galoppierenden Inflation und der Abwertung des informellen Wechselkurses des CUP werden immer größere Geldmengen zur Bezahlung von Waren und Dienstleistungen und zum Kauf von Devisen benötigt. Angesichts ausgedünnter staatlicher Geschäfte findet ein Großteil der Geldzirkulation im privaten Einzelhandel und auf dem Schwarzmarkt statt.
Anfang August verkündete die kubanische Zentralbank (BCC) daher eine Reihe von Maßnahmen, um die Nutzung elektronischer Zahlungswege »zwischen allen Akteuren der Wirtschaft und der Bevölkerung« zu fördern, wie es hieß. Erklärtes Ziel: Die Geldströme auf der Insel neu zu ordnen, um die Inflation zu bremsen und Korruption und Steuerhinterziehung einzudämmen.
Der Zahlungsverkehr zwischen staatlichen Betrieben, privaten kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) und Selbständigen soll bald nur noch digital stattfinden; die Bargeldausgabe am Bankschalter und auch an Geldautomaten wird auf 5000 CUP pro Tag begrenzt. Geldautomaten sollen vor allem durch die Bevölkerung genutzt werden, um Gehälter und Renten abzuheben, nicht mehr, um größere Summen für gewerbliche Transaktionen bereitzustellen.
Darüber hinaus sollen Bezahl-Apps wie »EnZona« oder »Transfermóvil« schrittweise in allen Geschäften einsetzbar werden. Dies schließt den Privatsektor ausdrücklich ein. Die Maßnahmen sollen nach den Vorstellungen der Zentralbank bis Anfang Februar umgesetzt werden. Bereits jetzt kann die Stromrechnung in einigen Stadtvierteln Havannas nur noch elektronisch bezahlt werden; auch an Tankstellen wird seit dem 1. September Barzahlung nach und nach abgeschafft. »Wir beschleunigen einen Prozess, der internationalen Standards entspricht, elektronische Zahlungen gehören in jedem Land zum Alltag der Bürger«, erklärte BCC-Vizepräsident Alberto Quiñones.
Die Theorie ist das eine, zur Wahrheit gehört aber auch: Weder Kubas Bankensystem noch die technologische Infrastruktur sind ausreichend entwickelt. Oft sind Geldautomaten kaputt oder nicht vorhanden, ist das Internet instabil, gerade auf dem Land. Stromausfälle gehören zum Alltag und ein nicht unbedeutender Teil der alternden Bevölkerung Kubas verfügt schlichtweg über kein internetfähiges Smartphone.
Dazu gehört Rodríguez. »Ich möchte mein Geld weiter am Bankschalter abheben«, sagt der 83-Jährige, der schlecht sieht, weshalb selbst das Geldabheben per Karte für ihn nur mit fremder Hilfe möglich ist. »Kuba ist überhaupt nicht vorbereitet auf einen solchen Schritt«, kommentiert ein Mann in der Warteschlange vor der Bank den Vorstoß der Zentralbank. »Hier bricht ständig die Verbindung zusammen und Zahlungen schlagen fehl. Bevor sie diese Dinge nicht in Ordnung bringen, sollten sie elektronische Zahlungen nicht verpflichtend machen.« Solche und ähnliche Kommentare hört man immer wieder.
Die Regierung dagegen verteidigt die Bankarisierung – die stärkere Rolle der Finanzinstitute – als weiteren Schritt der Neuordnung des Währungssystems nach der Abschaffung des Konvertiblen Pesos (CUC) Anfang 2021. So betonte die Spitze der Zentralbank in mehreren Sondersendungen im kubanischen Fernsehen, dass es sich um einen »schrittweisen Prozess« handele. Es gehe nicht darum, das Bargeld komplett abzuschaffen; auch werde die Maßnahme nur angewandt, wenn und wo die Bedingungen es zulassen. Warum nicht erst die technischen Voraussetzungen geschaffen werden, könnte man fragen.
Die Beteuerungen aber haben kaum zur Beruhigung der Bevölkerung beigetragen. Kurz nach der Veröffentlichung der Resolution der Zentralbank stiegen die Provisionen für Bargeld von 10 auf 15 Prozent. Auch die Warteschlangen an den Banken sind seitdem eher noch länger geworden. Einige Bankfilialen haben aufgrund des großen Andrangs begonnen, auch an Sonntagen zu öffnen.
»Wenn der Prozess der Bankarisierung für die Bevölkerung so vorteilhaft, so sicher und modern ist, warum weigern sich die Menschen dann, daran zu glauben und warten stattdessen in langen Schlangen, um immer mehr Bargeld von den Banken abheben zu können?«, fragt der unabhängige Ökonom Omar Everleny Pérez in einem Artikel. Er erinnert an die wirtschaftliche Situation eines Landes, »in dem die Preise steigen und steigen«, die Landeswährung jeden Tag an Wert verliert und die Banken Schwierigkeiten haben, Bargeld auszugeben und ihren Zahlungsverpflichtungen in Devisen nachzukommen.
In den staatlichen Läden gebe es nicht genügend Produkte, weder für CUP noch Devisen, sodass die Bevölkerung auf nichtstaatliche Geschäfte und den Schwarzmarkt angewiesen ist, trotz der hohen Preise. »Es ist logisch, dass die Bevölkerung misstrauisch ist und ihre Ersparnisse in Sicherheit bringen will«, sagt er.
Auf den Bankkonten »verbrennt« das Geld angesichts der hohen Inflation. Kubas Wirtschaftsminister Alejandro Gil bezifferte die jährliche Preissteigerung kürzlich mit 45 Prozent, eine Zahl, die nach Ansicht vieler Wirtschaftsexperten zu niedrig angesetzt ist, da sie den wachsenden informellen Markt auf der Insel nicht angemessen berücksichtigt. Bankguthaben in CUP haben seit der Währungsumstellung Anfang 2021 gut 90 Prozent ihres Wertes verloren.
Als »Löschen eines Feuers mit Benzin«, bezeichnet der kubanische Wirtschaftswissenschaftler Oscar Fernández die Maßnahmen der BCC in einem Facebook-Post. »Eine stärkere Rolle des Bankensektors ist für unsere Wirtschaft unabdingbar, aber die von der Zentralbank verabschiedete Resolution 111 ist selbstmörderisch. Diese Verordnung zum jetzigen Zeitpunkt umzusetzen, wäre ein verheerender Schlag für alle Menschen: Rentner, Arbeiter, kleine Landbesitzer, Studenten, Arbeitslose, Empfänger von Überweisungen, für alle.«
Den Finger in die Wunde legt auch der unabhängige Wirtschaftsberater Oniel Díaz. Die Resolution der Zentralbank gebe keine Antwort auf eine der wichtigsten Fragen: »Wie werden die Wirtschaftsakteure auf legale Weise an Devisen kommen?« Denn Fakt ist: Kuba importiert einen Großteil seiner Lebensmittel, Gebrauchsgüter und Maschinen – und die müssen in Devisen bezahlt werden.
Dr. Juan Triana vom Studienzentrum der kubanischen Wirtschaft (CEEC) veranschaulicht das in einer Kolumne des Onlineportals »OnCuba« an einem Beispiel: Um Hähnchen zu importieren, müssen die KMU eine Anzahlung beim Zulieferer leisten. Bei einem 25-Tonnen-Container zu einem Preis von 1,50 US-Dollar pro Kilogramm bedeutet dies, dass sie mindestens die Hälfte der fälligen 37.500 US-Dollar vorstrecken müssen. Den Rest des Betrags bezahlen sie bei Erhalt der Ware und verkaufen dann das »dollarisierte« Huhn auf dem heimischen Markt in CUP.
Da es aber keinen offiziellen Devisenmarkt gibt, der Staat also keine Devisen in größerem Umfang tauscht, sind die KMU gezwungen, auf den »informellen Markt« zurückzugreifen, um die eingenommenen CUP in Devisen zu tauschen und ihre Importe bezahlen zu können. Da das Dollarangebot begrenzt ist, steigt der Dollarkurs.
Vielen gelten die KMU deshalb als Hauptschuldige für Inflation und Bargeldknappheit. Für den in Kolumbien lehrenden kubanischen Ökonomen Pavel Vidal verkehrt dies aber Ursache und Wirkung. Das Grundproblem seien vielmehr das wachsende Staatsdefizit, das durch expansive Geldpolitik, also die Ausweitung der Geldmenge, finanziert wird und die geringe Produktivität der kubanischen Wirtschaft. »Wenn mehr Geld im Umlauf ist und weniger im Inland produziert wird, hat dies zwei Auswirkungen. Erstens treibt die übermäßige Inlandsnachfrage die Inlandspreise in die Höhe. Zweitens erhöht sie die Einfuhren, steigert die Nachfrage nach Devisen und lässt den Wert des CUP sinken«, analysiert Vidal in einem Beitrag für die Columbia Law School, die juristische Fakultät der privaten Columbia-Universität in New York.
Die Abwertung des Peso erhöhe die CUP-Kosten für Importe, die wiederum auf die Endverbraucherpreise umgelegt werden. Der Anreiz für KMU, zu produzieren, zu exportieren und Importe zu substituieren, fehle. »Wie kann der Kreislauf durchbrochen werden?«, fragt Vidal und liefert die Antwort gleich mit: »Indem wir die Ursachen der Inflation angehen.« Die Abgeordneten des kubanischen Parlaments hätten in ihrer letzten Sitzung anerkannt, »dass die Lösung für die Inflation bei der Produktion und der Verringerung des Haushaltsdefizits liegt«, so Vidal. »Sie brachten zum Ausdruck, dass wirtschaftliche Maßnahmen nachhaltiger sind als administrative.« Doch statt »substanzieller Vorschläge zur Ankurbelung der Produktion« griff die Zentralbank lieber zu administrativen Maßnahmen.
Es herrsche Konsens, »dass die begrenzte Verfügbarkeit von Bargeld im Bankensystem nicht ignoriert werden kann«, so Ökonom Triana. »Es besteht jedoch auch Einigkeit darüber, dass hinter der Entscheidung andere Gründe stecken und dass sie in gewisser Weise politische Untertöne hat, die darauf abzielen, die Dynamik von KMU und anderen nichtstaatlichen Akteuren einzuschränken.«
Dabei hat sich in den vergangenen Monaten gezeigt, dass durch die Ausweitung des Warenangebots durch untereinander konkurrierende importierende KMU die Preise für Hähnchen, Speiseöl oder Bier sukzessive wieder gesunken sind. Der Zwang zu elektronischen Transaktionen aber wird den Zugang zum (informellen) Devisenmarkt erschweren, sodass KMU Probleme bekommen werden, ihre Einfuhren zu bezahlen. Einige werden ganz aufgeben.
»Das Angebot an privaten Importen wird stark zurückgehen (die Stornierung von vertraglich vereinbarten Containern hat bereits begonnen), da sie nicht in der Lage sein werden, den Kreislauf zu schließen, da es keinen bankgestützten Devisenmarkt gibt«, skizziert Fernández das zu erwartende Szenario. »Die Preise für Produkte, die bereits zu fallen begonnen hatten, werden erneut in die Höhe schnellen.« Leidtragende werden vor allem die einkommensschwächsten Bevölkerungsschichten sein, schätzt Fernández ein.
Er und andere Experten sehen die kubanische Wirtschaft auf dem Weg der Dollarisierung. »Es wird zu einer Ausweitung der informellen Märkte und zu einer Vertiefung des Dollarisierungsprozesses kommen. Die Bankarisierung wird den Bargeldumlauf in CUP einschränken, aber sie wird die Bargeldwirtschaft nicht verringern. Der Dollar wird diese Funktion übernehmen«, prognostiziert er. Der CUP werde als Zahlungsmittel weiter an Bedeutung verlieren.
Triana spricht von einer »regressiven Maßnahme«, die wie schon die Währungsneuordnung Anfang 2021 »zum falschen Zeitpunkt« und »ohne die zur Verringerung der negativen Auswirkungen erforderlichen Mindestbedingungen« durchgeführt werde. Die Bankarisierung »wird das Warenangebot verringern, die Inflation anheizen – sowohl weil sie den CUP weiter abwerten wird als auch wegen der Verringerung des Angebots, des Wettbewerbs und der Konkurrenz. Sie wird eine größere Informalität im monetären Sektor der Wirtschaft fördern und neue informelle Finanzierungskanäle schaffen; sie wird die Dollarisierung vorantreiben und die Unsicherheit verstärken.«
Für Bankkunde Rodríguez bedeutet die neue Obergrenze für Bargeldauszahlungen, dass er sich nun im Wochentakt zum Teil mehrere Stunden an der Bank wird anstellen müssen, wo er früher mit einer größeren Barabhebung zum Teil mehrere Monate über die Runden kam. An sein Geld auf dem Bankkonto kommt nun noch schwerer heran, während es jeden Tag weiter an Wert verliert. Als die Resolution 111 Anfang August verkündet wurde, lag der informelle Wechselkurs bei 1:230 zum US-Dollar, Ende September bei 1:250. Tendenz steigend.
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