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VW-Beschäftigte in Zwickau wehren sich gegen Abgesänge
IG Metall fordert politischen Rückhalt und konkrete Maßnahmen für Übergang zur Elektromobilität
An den Werkhallen von VW in Zwickau hängt ein großes Transparent. »Elektromobilität aus Sachsen« ist darauf zu lesen und darunter: »Tradition und Zukunft«. Dass Ersteres stimmt, bestreitet keiner in der Stadt, in der 1904 der Automobilhersteller Horch gegründet wurde und wo seither von dessen Fahrzeugen über den Trabant bis zu Fahrzeugen von VW immer Autos gebaut wurden. Ob Letzteres zutrifft, daran wurden zuletzt Zweifel gesät, nachdem bekannt wurde, dass die Absatzflaute bei E-Autos von VW in Zwickau erste Jobs kostet. Der Konzern hat das sächsische Werk zum Vorreiter beim Umstieg auf batteriebetriebene Autos erkoren; seit Anfang 2022 laufen dort keine Verbrenner mehr vom Band. Dass die Nachfrage in Deutschland jetzt stockt, hat unmittelbare Konsequenzen. Zunächst wurden Verträge von 270 der rund 2000 befristet Beschäftigten nicht verlängert; weitere Einschnitte scheinen nicht ausgeschlossen. Die Region, sagt Thomas Knabel, örtlicher Bevollmächtigter der IG Metall, jetzt bei einer Automobilkonferenz der Gewerkschaft, sei »in Aufregung«.
Von der Landespolitik hätten die Beschäftigten in einer solchen Situation moralische Unterstützung erwartet, sagt der Gewerkschafter. Das Gegenteil war der Fall. CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer sagte zwar, man sei »stolz« auf das gewesen, was bei VW in Sachen Elektromobilität passiere. Aber »ganz so erfolgreich ist es dann am Ende doch nicht«, setzte er hinzu und schob die rhetorische Frage nach: »Musste das so mit 0 und 1, also absolut nur Elektromobilität, gemacht werden?« Eine verheerende Äußerung, entgegnete Knabel und kritisierte einen Regierungschef, der »sich beim ersten Windzug vom Acker macht«. Es sei »geradezu fahrlässig, wenn die Transformation der Branche zum Spielball politischer Interessen gemacht wird«. Kretschmers Äußerung sorgte auch in der Koalition für Entsetzen. Thomas Kralinski, Staatssekretär im SPD-geführten Wirtschaftsministerium, sagte in Zwickau, es sei »absurd, einen Abgesang auf die Elektromobilität anzustimmen«. Wer das dennoch tue, der habe »etwas anderes im Sinn als das Wohl der Beschäftigten«.
Den Gewerkschaftern und Belegschaftsvertretern ist klar, dass die Absatzprobleme vor allem deutscher Hersteller teils hausgemachte Ursachen haben. So setzte VW bislang vorwiegend auf teure Mittelklasse-E-Autos. Daneben aber erwarten die Beschäftigten von der Politik neben ideellem Beistand auch konkrete Schritte, um den Übergang zur Elektromobilität voranzutreiben. Allen voran brauche es wieder finanzielle Anreize. Die Kaufprämie für dienstlich genutzte E-Autos abzuschaffen war »ein Fehler«, sagte Dirk Schulze, Bezirksleiter der IG Metall in Berlin, Brandenburg und Sachsen: »Das gefährdet Arbeitsplätze und gehört korrigiert.« Zudem fordert die IG Metall den zügigen Ausbau des Ladenetzes, einheitliche Bezahlsysteme und verbilligten Ladestrom. Nach dem erfolgreichen Umbau des Zwickauer Werks, für den VW 1,2 Milliarden Euro investiert hat, müsse man jetzt dafür sorgen, »dass sich die Autos auch in der Breite verkaufen«.
Dazu braucht es freilich Grundlegenderes als Ladesäulen oder Förderprogramme, sagte der Automobilforscher Weert Canzler vom Wissenschaftszentrum Berlin bei der Konferenz. Was der Branche und den Beschäftigten vor allem helfen würde, sei Planungssicherheit. Diese aber sei nicht gegeben, wenn Politiker aus ideologischen Gründen »Technologieoffenheit« propagierten und die Hoffnung schürten, dass E-Fuels dem Verbrennungsmotor eine Zukunft bescherten. Canzler rechnete vor, dass ein batteriebetriebenes Auto auf 100 Kilometer 15 Kilowattstunden Strom benötige, der aus Gründen des Klimaschutzes aus erneuerbaren Quellen stammen sollte. Ein Fahrzeug, das Wasserstoff in einer Brennstoffzelle umsetzt, benötige wegen der energieintensiven Herstellung des Gases 31 Kilowattstunden Strom. Bei E-Fuels steige der Strombedarf sogar auf 103 Kilowattstunden – das Siebenfache eines Batteriefahrzeuges. »Wenn wir das wollen, müssen wir die Landschaft komplett mit Windrädern zupflastern«, sagte der Wissenschaftler. Auch dem Ausbau der Windkraft allerdings steht Kretschmers CDU skeptisch gegenüber.
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