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Vom Gauck zum Wir

Vom Ex-Bundespräsidenten können wir lernen, den rechten Rand mit unseren großen Herzen zu schlucken und ihn mit seinen eigenen Ideen zuzuscheißen

  • Andreas Koristka
  • Lesedauer: 3 Min.

Lange war es ruhig um den ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck. Jetzt hat sich der brillanteste Pastor, den die Hansestadt Rostock je zu Gesicht bekam, und der Preisträger in der Kategorie »Bestgekleideter Gebissträger des Jahres 2014« wieder zu Wort gemeldet. Mit einem flammenden Appell im ZDF für eine etwas robustere Flüchtlingspolitik.

»Wir müssen Spielräume entdecken, die uns zunächst unsympathisch sind, weil sie inhuman klingen«, sagte er in diesem Zusammenhang und sprach uns damit aus der Seele. »Wir«, das ist die ganze Volksgemeinschaft. Wir sind der Alkoholiker auf dem Penny-Parkplatz, der cholerische Mechatroniker in der VW-Vertragswerkstatt und die polyamorös lebende rothaarige Komponistin von Zwölftonmusik, die im Haus gegenüber mit vier Rhodesian-Ridgebacks und zwei Nestpartnern lebt.

Jetzt ist es an uns, das uns Unsympathische in die Hand zu nehmen. Wir haben leider keine Wahl, denn »wir müssen«. Das ist wie ein dringender Toilettengang, der keinen Aufschub gewährt. Die inhuman klingenden Spielräume müssen entdeckt werden. Daran geht leider kein Weg vorbei. Denn was haben wir für eine Wahl? Freundlich und gelassen bleiben ist jedenfalls keine Option.

Andreas Koristka

Andreas Koristka ist Redakteur der Satirezeitschrift Eulenspiegel. Für »nd.DieWoche« schreibt er alle zwei Wochen die Kolumne »Betreutes Lesen«. Alle Texte unter dasnd.de/koristka.

Laut Gauck müssen die politischen Milieus »von ihren Wunschvorstellungen Abstand nehmen und in der demokratischen Mitte das entwickeln, was wir wirklich wollen«. Und was »wir« wollen, ist ja klar, da muss man nur mal die Leute fragen! Dann kristallisiert sich schnell heraus, dass »wir« barbusige Weiber wollen, die lasziv auf den Tischen tanzen! Wir wollen manchmal aber auch nur einen Tee trinken oder uns das zusammenhanglose Geschmarre von protestantischen Gottesmännern im Fernsehen zu Gemüte führen. So unterschiedlich sind wir manchmal!

Joachim Gauck ist auch einer von uns. Sein Herz ist zwar weit, aber seine Lust auf Flüchtlinge ist endlich. Darauf müssen wir Rücksicht nehmen. Wenn Gauck sagt, dass er zu der Überzeugung gekommen ist, »dass es vielleicht auch moralisch überhaupt nicht verwerflich ist und politisch sogar geboten, eine Begrenzungsstrategie zu fahren«, dann müssen wir seine Äußerung als unsere Meinung begreifen und nicht als Symptom einer Gehirnschädigung, die durch lebenslangen Konsum von protestantischen Schriften hervorgerufen wurde.

Dieses Gemeinschaftsgefühl macht eine Gesellschaft schließlich aus! Da sind wir mit Gauck einer Meinung. Die Paranoia vorm Messer-Muselmann, müssen wir von den Rändern in die Mitte zurückholen, damit es den Rechtsradikalen noch schwerer fällt, sich von dieser Mitte abzugrenzen. Wir schlucken, und das ist das Christliche an Gaucks Wortmeldung, mit unseren großen Herzen den rechten Rand, überschütten ihn mit Liebe und scheißen ihn mit seinen eigenen Ideen zu. Halleluja!

Wenn dann eines Tages weniger Flüchtlinge zwischen uns stehen, können wir noch weiter zusammenrücken. Dann gewöhnen wir uns vielleicht an, dass wir alle nur noch in der ersten Person Plural von uns sprechen, wie es Joachim Gauck schon tut. Dann wird es uns leichter fallen, unsere Wünsche zu artikulieren. Wir können dann endlich ohne Umschweife sagen, dass es uns eine große Freude wäre, wenn am Wochenende die Großeltern unsere Kinder betreuen könnten, damit wir ins Stadion An der Alten Försterei gehen können, um den 1. FC Union Berlin anzufeuern. Denn wir sind schon sehr lange Fan dieses Vereins.

So, jetzt müssen wir aber diese Kolumne langsam zum Ende bringen. Unsere Frau erwartet nämlich von uns, dass wir gleich den Müll runterbringen und sie sich ins Arbeitszimmer setzen kann, um noch ein bisschen Homeoffice zu machen. Wir werden ihr diesen Wunsch erfüllen.

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