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Andrew Tate: Das Geschäft mit dem Frauenhass im Internet
Veronika Kracher gefällt nicht, dass die Bundesregierung Gelder für Demokratieprojekte kürzt
Ich habe kürzlich einen Vortrag in Hamburg gehalten zu den Themen, die ich bearbeite: gekränkte Männlichkeit und Antifeminismus als Radikalisierungsfaktoren nach rechts außen und welche Rolle das Internet dabei spielt. Im Rahmen der Veranstaltung sprach ich auch kurz über Andrew Tate. Für alle, die das Privileg haben, den Namen dieses Mannes bisher nicht zu kennen: Bei Tate handelt es sich um einen ehemaligen Kickboxer, der inzwischen als misogyner Influencer pickligen Teenagerjungs erklärt, wie sie zu echten Alpha-Männern und »Top Gangstern« werden.
Das läuft über klassische Social-Media-Plattformen (von denen Tate stellenweise gebannt und im Falle von der in besseren Zeiten als »Twitter« bekannten Plattform »X« wieder reinstitutionalisiert worden ist) als auch über private Chaträume mit hochtrabenden Namen wie »Hustler University« oder »War Room«. Dort können Tate-Anhänger für eine bestimmte Summe (50 US-Dollar pro Monat bei der »Hustler University«, 8000 US-Dollar bei dem Zugang zu Tates innerem Zirkel versprechenden »War Room«) lernen, was diese Alpha-Männlichkeit so ausmacht: in der Regel brutale Frauenverachtung und -ausbeutung, dicht gefolgt von neoliberaler Selbstzurichtung und der Teilnahme an ausgesprochen dubiosen Geschäftsideen. Andrew Tate ist einer der beliebtesten und bekanntesten Influencer unter männlichen Jugendlichen.
Inzwischen sind Andrew und sein Bruder Tristan Tate in ihrer Wahlheimat Rumänien angeklagt worden: wegen Menschenhandel, sexueller Nötigung und Vergewaltigung. Tates Millionenvermögen soll auf systematischer sexueller Ausbeutung basieren. Im August 2023 wurde von rumänischen Behörden ein über 1200 Seiten langes, verschlüsseltes Dokument aus dem »Kriegsraum« veröffentlicht. In diesen Chatlogs plauschen Andrew Tate und seine Mannen offenherzig über die Anwendung der sogenannten PhD-Methode. »PhD« steht für »Pimpin’ Hoes Degress«, also »Zuhälter-Abschluss.« Konkret bedeutet das: junge, oftmals aus prekären Verhältnissen stammende Frauen in die Sexarbeit zu manipulieren, sie sexuell und finanziell auszubeuten und dabei vor emotionaler und auch körperlicher und sexueller Gewalt nicht Halt zu machen.
Veronika Kracher, geboren 1990, hat Soziologie und Literatur studiert und ist seit 2015 regelmäßig als Autorin und Referentin mit den Arbeitsschwerpunkten Antifeminismus, Rechtsextremismus und Online-Radikalisierung tätig. Zudem ist sie Expertin für belastende Männer im Internet. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Jenseits des Patriarchats«.
Nach dem Vortrag kam eine junge Frau zu mir, 18 oder 19 Jahre alt. So gut wie alle ihre Mitschüler im Abiturjahrgang seien Tate-Jünger, erzählte sie mir. Sie und ihre Mitschülerinnen seien im Umgang damit alleine gelassen worden: Die wenigsten Lehrkräfte wüssten, wer Andrew Tate und ähnliche »Online-Persönlichkeiten« überhaupt sind. Sie haben generell wenig Ahnung von reaktionärer Radikalisierung im Netz.
Die Adoleszenz ist eine Phase der Identitätssuche, und diese ist oftmals an hegemoniale Geschlechterperformances gekoppelt, weil Abweichungen davon in der Regel bestraft werden. Hegemoniale Männlichkeit basiert nun einmal auf der Abwertung des Weiblichen und Queeren, was Männer wie Tate sehr aggressiv vermitteln.
Um diesen Mangel an Fachwissen auszugleichen, können engagierte Lehrkräfte sich Unterstützung von Trainer*innen und Sozialarbeiter*innen externer Organisationen ins Klassenzimmer holen und für Workshops mit Schüler*innen oder dem Lehrpersonal engagieren. Projekte wie die »Firewall« der Amadeu Antonio-Stiftung oder die »Respekt Coaches« arbeiten seit Jahren daran, jungen Menschen zu vermitteln, dass zynische Menschenverachtung vielleicht doch nicht so cool ist.
Nun aber werden vielen dieser Demokratieprojekte – unter anderem »Hate Aid«, die Betroffene von digitaler Hassgewalt betreuen – und auch der Bundeszentrale für politische Bildung die Gelder gekürzt. Die Gelder müssen offenbar in wichtigere Projekte als den Erhalt der Demokratie gesteckt werden, in die Förderung von Auto- und Kriegsindustrie zum Beispiel. Reiche besteuern, um Demokratiearbeit zu finanzieren, will die Ampel-Regierung auch nicht. Das Privatvermögen von Nachkommen ehemaliger NS-Profiteure ist in Deutschland seit je her wichtiger als die Sicherheit marginalisierter Menschen.
Eine Diskussion über »feministische Inhalte im Schulunterricht« wird ebenso wenig geführt – und ich verwette eine Niere darauf, dass auch nur die zarteste Diskussion darüber mittels einer lautstark geführten Empörungskampagne über »männerfeindliche Meinungsdiktatur an unseren Schulen« im Keim erstickt wird. Dies führt dazu, dass der Kampf gegen chauvinistisches Mackergehabe und gegen Frauenhass in Klassenzimmern zunehmend an Einzelpersonen hängen bleibt. Die Konsequenzen: Vereinzelung, Erschöpfung und Frustration. Die Lösung kann nur sein, das (pro-)feministische Inhalte systematisch in Lehrpläne aufgenommen werden. Und wenn dafür Gelder umverteilt werden müssen und CDU und AfD das Jammern anfangen, umso besser.
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