Robert Fico siegt in der Slowakei

Ex-Premier hat beste Chancen für eine schwierige Regierungsbildung

  • Jindra Kolar, Prag
  • Lesedauer: 3 Min.

Kurz vor Mitternacht ging ein Aufatmen durch die westlichen Medien: Die Wahllokale in der Slowakei hatten am 30. September geschlossen, und erste Hochrechnungen sahen die liberale Partei »Progressive Slowakei« (PS) Michal Šimeckas, eines der 14 Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments, deutlich vorn. Der proeuropäische Kurs des Landes, einschließlich seiner Unterstützung für die Ukraine, schien gerettet.

Doch bereits die ersten Auszählungen der Wählerstimmen zeigten dann ein anderes Bild: Von Beginn an, als die ersten Stimmergebnisse im Wahlzentrum eintrafen, lag »Richtung – Slowakische Sozialdemokratie« (Smer-SSD), die sozialdemokratische Partei des Linksnationalisten und früheren Regierungschefs Robert Fico, deutlich vorn. Von Wahlkreis zu Wahlkreis erhöhten sich die Stimmanteile der Partei mit Moskau-freundlichen Kurs, etwa ein Viertel der Wähler, die zu den Urnen gingen, schienen auf Fico zu setzen. Das vorläufig endgültige Wahlergebnis sah die bisherige Oppositionspartei Smer-SSD dann bei 22,94 Prozent, gefolgt von der PS mit 17,96 Prozent. Die sozialdemokratische Abspaltung Hlas (Stimme) Peter Pellegrinis errang schließlich den dritten Platz mit 14,7 Prozent der Wählerstimmen und könnte mit diesem Resultat die Rolle des »Königsmachers« einnehmen.

Entgegen den Umfragen, die die seit drei Jahren in Regierungsverantwortung – und somit auch für die chaotischen Zustände im Lande – verantwortlichen »Gewöhnlichen Leute« (Olano) schon außerhalb des Parlaments sahen, zogen sie mit immerhin neun Prozent an vierter Stelle ins Parlament ein. Das Bündnis um Igor Matovic liegt damit vor den Christdemokraten (KDH, 6,82 Prozent), den Wirtschaftsliberalen um Richard Sulik (SaS, 6,32 Prozent) und der nationalistischen SNS (5,62 Prozent). Nicht im Nationalrat vertreten sind die Familienpartei des bisherigen Parlamentspräsidenten Boris Kollár, die Vertretung der ungarischen Minderheit sowie die neofaschistische Republika. Auch die rechtsextreme Volkspartei-Unsere Slowakei (LSNS), von der sich Republika abgespalten hatte, konnte die Parlamentshürde bei weitem nicht überwinden. Die Wahlbeteiligung unter der etwa 4,4 Millionen Berechtigten erreichte mit 68 Prozent das höchste Niveau der vergangenen zwei Jahrzehnte.

Erwartet wird, dass Staatspräsidentin Zuzana Caputová den Wahlsieger Fico mit der Regierungsbildung beauftragen wird. Keine einfache Aufgabe. Zwar hatte sich Peter Pellegrini beeilt, Fico zum Wahlsieg zu gratulieren und erklärt, Hlas werde sich verantwortungsvoll an einer Regierungsbildung beteiligen, doch ist der Streit zwischen beiden Politikern längst nicht beigelegt: Robert Fico musste nach den Korruptionsskandalen und schließlich nach dem Mord am Enthüllungsjournalisten Ján Kuciak und dessen Verlobten Martina Kušnírová 2018 zurücktreten. Sein langjähriger Mitstreiter und Parteikollege Pellegrini trat die Nachfolge an, Spannungen führten dann zu einer Abspaltung von Smer und Gründung der neuen sozialdemokratischen Hlas. Dass jetzt beide Parteien aufeinander zugehen, braucht erhebliche Überzeugungskraft, zumal Fico sich deutlich gegen weitere Waffenlieferungen in die Ukraine ausspricht, Pellegrini hingegen seine Treue zu den Bündnisverpflichtungen gegenüber EU und Nato bekundet.

Eine Koalition zwischen Smer-SSD und PS scheint von vornherein ausgeschlossen. Der prowestlich orientierte Michal Šimecka gratulierte Fico zwar zum Sieg, erklärte jedoch gleichermaßen, es sei »ein trauriger Moment für die Slowakei«. Olano-Chef Matovic erklärte in einer ersten Stellungnahme, seine Partei werde in die Opposition gehen.

Ficos Smer-SSD wird im neuen Nationalrat über 42 Mandate verfügen, gemeinsam mit KDH, SaS und SNS könnten die Sozialdemokraten genau die Hälfte der 150 Parlamentssitze erhalten. Einer ähnlichen Konstellation hat Robert Fico bereits vorgestanden, doch ohne eine klare Mehrheit lässt sich schwer regieren.

Sowohl in Brüssel sowie den europäischen Hauptstädten als auch in Moskau wird man die Entwicklung in Bratislava in den kommenden Wochen aufmerksam verfolgen. Die Stimmung im Lande ist von starker moralischer und militärischer Unterstützung der Ukraine umgeschlagen in Skepsis und Zurückhaltung. Eine Slowakei unter Fico könnte sich in die Phalanx der Visegrad-Staaten wie Ungarn und Polen einreihen, die sich mit Brüssel über Kreuz befinden.

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